Kapitel 10

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Ich blickte in die Richtung der Bar. Alle Gäste und auch meine Klassenkameraden, tranken und sangen fürchterlich schrecklich irgendwelche 08/15 Lieder. Es wäre sicherlich lustig gewesen, mit ihnen zu singen, aber ich hatte keine Lust verspürt, mitzumachen. Ich wusste nicht so reicht, wie ich mich in ihrer Mitte verhalten sollte. Sie kannten mich nicht und ich kannte sie nicht. Darum hätte ich nicht gewusst, über was ich mit ihnen hätte reden sollen. Außerdem waren sie alle Teil eines Lebens, das ich hinter mir gelassen hatte. Schon während des Essens vorher hatte ich keine Ahnung gehabt, über was ich mit den anderen reden sollte. Darum hatte ich die meiste Zeit einfach nur zugehört und hin und wieder etwas eingeworfen, wenn ich aufgefordert wurde. Es war nett gewesen, sie alle wieder zu sehen, aber auch nicht mehr. Die Einsamkeit war wohl doch noch mein bester Freund. Dieser Gedanke war deprimierend.

Ich schaute wieder zu Hugh und sagte: „Ich passe auf den Hund auf." Dabei zeigte ich auf den kleinen braunhaarigen Jack Russel neben mir. Hugh folgte meiner Handbewegung und sah den Hund an. Kurz darauf lag sein Blick wieder auf mir.

„Darf ich dich etwas fragen?" fragte er daraufhin. Ich lachte leicht.

„Warum lachst du?" Hugh sah mir prüfend in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick. Es war schon dunkel, sodass ich das Dunkelbraun seiner Augen nicht sehen konnte. Aber die leichte Beleuchtung reichte aus, um erahnen zu können, was sich in Hughs Augen wiederspiegeln würde. Es war wirklich faszinierend. Ich hatte Menschen schon immer gern in die Augen gesehen, weil sie einem sehr viel sagen konnten. Hughs Augen wirkten viel ausdruckstarker als alle anderen, die ich je gesehen hatte. Vielleicht lag es ja daran, dass er sonst keine Emotionen öffentlich zeigte.

„Wenn ich nein sage, wirst du mir dann trotzdem eine Frage stellen?"

„Nein."

„Du nimmst ernst, was du sagst." Hugh sah mich einen Augenblick nur stumm an, dann nickte er. „Wörter können viel bewirken. Gutes und Schlechtes."

Was sollte das bedeuten? War das ein Hinweis darauf, was ihn so schweigsam hat werden lassen? Oder hatte er einfach selber erkannt, das Wörter mehr wert waren als vieles andere? Dieser Mann war mir ein Rätsel. Das würde er wohl auch bleiben, denn ich bezweifelte, dass ich ihn in 24 Stunden besser verstehen würde und viel mehr Zeit stand mir nicht zur Verfügung.

„Das stimmt wohl. Wörter bedeuten mehr, als viele denken." Wieder ein stummes Nicken von Hugh.

„Was wolltest du mich denn fragen?" Ich war neugierig.

„Aus welchen Grund benutzt du diese Phrasen wie 'es geht mir gut' nicht?"

„Aus demselben Grund, aus dem ich auch keine Fragen wie 'geht es dir gut' stelle, wenn ich es nicht wissen will oder es offensichtlich ist, wie sich mein Gegenüber fühlt." Hugh sah mich wieder schweigend an und wartete darauf, dass ich weiterredete. Es hatte mich verwundert, warum er mir ausgerechnet diese Frage gestellt hatte, aber irgendwie auch nicht. Hugh hatte seine eigenen Gedanken, die wohl keiner so schnell verstehen würde. Ich fragte mich nur, ob ihm meine Antwort gefiel oder nicht.

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah in den sternenklaren Himmel. Es war noch immer sehr warm, aber was erwartete man anderes im Sommer auf Fuerteventura? „Menschen benutzen Wörter achtlos und wissen meist gar nicht, was sie in einem anderen Menschen auslösen können."

„Zum Beispiel?" fragte Hugh. Ich spürte, dass er mich noch immer ansah, auch wenn ich seinen Blick schon längst nicht mehr erwiderte. Geistesabwesend streichelte ich Bailey über den Kopf. „Mein Liebe." Es entstand eine kurze Pause. Da Hugh keine Anstalten machte etwas zu sagen, ergriff ich wieder das Wort. Es war schon seltsam, dass er nun den Part übernahm, den ich vorhin bei dem Klassentreffen eingenommen hatte und ich jetzt das Gespräch aufrechterhielt. Es störte mich aber nicht. „Meistens wird es im sarkastischen Zusammenhang verwendet, aber eigentlich sollte es doch etwas ganz Anderes bedeuten. Man sollte es nur zu der Person sagen, die man liebt. Die einem mehr bedeutet, als alles andere auf der Welt." Da Hugh darauf wieder nicht antwortete, schaute ich zu ihm herüber. Ich hatte die Befürchtung, dass er vielleicht gar nicht mehr da oder eingeschlafen war. Aber Hugh sah mich noch immer aufmerksam an. Sein Blick war aber nicht so durchdringend wie die meiste Zeit. Er sah mich einfach nur an. Nicht, als wolle er ein Rätsel lösen.

Bis du wieder LächelstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt