#30 'Ich mache mir Sorgen'

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Nach dem Essen gehe ich noch raus um den Kopf frei zu bekommen. Ann wollte nicht mit spazieren kommen, was mir auch ganz recht ist. Ich laufe in den Wald, der mittlerweile in einem warmen Orange getaucht ist. Die Sonne geht gerade unter.

Du musst noch viel für die Schule machen.

     Weiß ich.

Du hast bei Isaac verkackt.

     Ich werde es wieder gut machen.

Er wird dir aber nicht verzeihen.

Vielleicht aber doch.

Er wird dich so sehr hassen, wie du dich selbst.

Meine Gedanken machen sich wieder selbstständig und meine Stimmung schlägt um. Ich hasse mich so sehr. Ich trete gegen einen kleinen Stein. Und dann gegen noch einen. Meine Augen füllen sich mit Tränen und ich schlage wütend gegen einen Baum. Ich schreie entnervt auf und boxe immer wieder, immer härter gegen diesen gottverdammten Baum. Ich schluchze laut und höre nicht auf, bis meine Hände rot sind und sich taub anfühlen. Verzweifelt nehme ich einen großen Ast und prügle immer weiter auf den Baum ein, bis der Ast nachgibt. Ich werfe ihn weg und lasse mich auf meine Knie fallen.
Mein Körper fühlt sich so unendlich leer an, dass ich einen Moment in dieser Position verharre. Und dann, dann entwischt mir wieder ein kehliger Schluchzer. Ich höre mich an wie ein Walross, aber das kann ich schon lange nicht mehr zurückhalten oder beherrschen. Ich wippe vor und zurück, verstecke mein Gesicht in meinen dreckigen Händen, um es im nächsten Moment wieder nach oben zu strecken. Gott bitte lass den Schmerz endlich vergehen.
Doch dann höre ich ein ungewöhnliches knacken hinter mir. Mein Kopf zuckt herum und ich kann eine Person neben einem hohen Baum ausmachen. Durch den leichten Tränenschleier, kann ich jedoch nicht mehr als den Umriss erkennen. Aber mehr muss ich aus nicht sehen.
Ruckartig stehe ich auf und laufe rückwärts, bis ich fast über das Geäst stolpere. Dann drehe ich mich um und renne wieder nachhause.
Dort angekommen, laufe ich schnell nach oben ins Bad.
Das Blut rauscht noch in meinen Ohren und ich kann nur schwer meine Gedanken ordnen. Unbewusst greife ich abermals zu meinen Klingen und lasse sie über meine Haut fahren. Meine Lippen zittern unkontrolliert und ich gebe mir Mühe nicht versehentlich doch zu tief zu schneiden. Erst als diese sanfte Bestätigung eintritt, höre ich auf und säubere mich in einer kurzen Dusche. Als ich aus dem Bad trete Blick mir ein unerwartetes Gesicht entgegen. "Du hast geweint", stellt Isaac fest. Erschrocken fahre ich mir mit einer Hand über meine Augen, doch sie sind längst wieder trocken.
"Oder du hast gekifft", murmelt er leise und blickt dann auf meine Hände. Zögernd greift er nach ihnen und betrachtet sie mit traurigen Augen. 
"Darf ich?", fragt er dann seufzend, als ich immer noch nichts sage und zeigt auf meine Zimmertür. Ich zucke leicht mit meinen Schultern und halte mein Handtuch so fest es geht.
Also geht Isaac voraus, öffnet die Tür und steht unschlüssig in der Raummitte rum. Ich hingegen nehme mir frische Kleidung, ziehe mich drüben um und kehre zurück in mein Zimmer. "Ich mache mir Sorgen um dich", gesteht Isaac leise und schaut mich an. Ich räuspere mich und setze mich mit einem kleinen Lächeln auf mein Bett. "Wieso das denn?", frage ich. Isaac guckt auf seine Füße und sieht nervös aus. "Deine Hände?", fragt er und ich zucke nur mit den Achseln. "Ich hab dich gerade gesehen", meint er dann. Mir stockt der Atem.
Jetzt gerade? Im Bad? Oh Gott. Oh Gott bitte nicht. Nein, nein, bitte nicht.
"Im Wald", setzt er fort.
Erleichtert atme ich aus, um gleich wieder erschrocken drein zu gucken.
Das ist besser, aber nicht viel. Das ist fast genauso schlimm.
"Als ich da... äh?", stammle ich und streiche nervös meine Bettdecke glatt.
"Rede mit mir. Bitte", Isaac kniet sich vor mich und greift nach meinen Handgelenken.
"Was soll ich denn sagen?", frage ich verunsichert. Ich hasse es über Gefühle zu reden. Das kann ich einfach nicht.
"Du... Du hasst mich doch eh, also was interessiert es dich noch?". Ich starre auf seine Hände, damit ich ihn nicht angucken muss.
Isaac schweigt eine Weile, bis er sagt: "Ich war verletzt, ja. Aber ich hasse dich nicht. Das könnte ich nie."
"Dann ist ja alles gut", meine ich mit einem schwachen Lächeln.

Gar nichts ist gut.

"Ich kenne dich. Also rede. Was ist los?", fragt er eindringlich und hält mein Kinn in seiner warmen Hand, sodass ich ihn angucken muss.
Ich schüttle energisch meinen Kopf und weiche zurück, weiter auf mein Bett.
Isaac hebt eine Augenbraue und grinst verschmitzt. "Dann also auf die harte Tour", nuschelt er und krabbelt ebenfalls auf mein Bett. Er kommt mir immer näher bis er direkt über mich gebeugt ist und ich hilflos da liege. Seine Hände stützen neben meinem Kopf und nehmen mir jeglichen Fluchtweg. "Du bist so stur", fährt er leise fort. "Und du doof", kontere ich wie ein kleines Kind. Er kommt mir nah und sagt leie: "Ich habe dich wirklich vermisst". Ich lächle ich leicht an und streiche ihn über die Schläfe. "Ich dich auch"
Plötzlich packt er mich an meinen Hüften und zieht mich ruckartig auf seinen Schoß. Ein gequälter Schrei entfährt mir. Schrill und kurz. Ich springe auf und sehe wie Isaac entsetzt auf seine Hände und dann zu mir guckt. "Du blutest", seine Stimme ist ganz hohl und er kommt besorgt auf mich zu. Er will nach meinem Shirt greifen, doch ich weiche ihm aus. "Lass mich sehen", fordert Isaac besorgt und immer noch fassungslos.
"Du musst gehen", erwidere ich mit belegter Stimme. "Du blutest verdammt", sagt er laut mit Nachdruck. "Es ist alles gut", erwidere ich mindestens genauso kräftig.
"Chloe hör auf damit. Ich seh' doch, dass hier was nicht stimmt", als Beweis zeigt er mir seine Linke Hand welche rot vom Blut ist. Es ist nicht viel, aber dennoch erschreckend.

"Ich sagte: Es ist alles gut", schluchze ich und schubse ihn zu meiner Tür.
Isaac guckt mich ungläubig an, greift nach meinen Händen und schiebt mich gegen die Wand. Seine Finger wandern zu meiner Schulter und er legt seinen Kopf auf meinem ab. "Bitte", fleht er leise an meinem Ohr. Ich traue mich nicht zu reden, genauso wenig ihn anzugucken. Also halte ich meine Augen geschlossen und versuche meinen Inneren Schmerz zu unterdrücken und irgendwie diese Situation zu verstehen.
Von meiner Schulter, wandert seine linke Hand meinen Arm hinunter bis zur Hüfte. Er hebt den Saum meines Shirts an und fährt leicht über meine Haut. Ich zucke kurz zusammen, als er über meine Wunden fährt und öffne ängstlich wieder meine Augen, um seine Reaktion beobachten zu können. 

Isaacs Point of View

Chloe guckt mich mit Vorsicht an. Ihr Atem ist ganz flach und stockend als ich meine Hand unter den Stoff schiebe. Ihre Haut ist warm und irgendwie unebenmäßig, als würde sie aus einer Hügellandschaft bestehen.

Was ist das?

Ich mache vorsichtig weiter bis ich eine feuchte Wunde ertaste. Feine Linien zeichnen sich ab und ich blicke sie fragend an. Chloe kaut auf ihrer Lippe rum und weicht meinen Blick aus, indem sie mein Hemd anstarrt. "Was ist passiert?", frage ich, doch sie schüttelt nur ihren Kopf. "Hast du dir im Wald weh getan? Bist du hingefallen? Wie ist das passiert?", frage ich nochmal mit mehr Nachdruck. Chloe atmet tief ein und nimmt schnell meine Hände in ihre kleinen Hände. "Nein ich habe mich nicht im Wald verletzt".

Ich verstehe gar nichts mehr.

"Du musst gehen. Es ist schon spät", sie sieht mich mit einem undefinierbaren Blick an. Ihre Augen sind dunkel und leer.
"Man rede jetzt mit mir!", genervt reiße ich meine Hände in die Luft. "Wie kann man nur so stur sein?", fluche ich und schüttle sie leicht an ihren Schultern. "Komm schon,", murmle ich, "Bitte."
"Nein."
"Also soll ich einfach gehen und fertig?", frage ich.
"Ja."
Genervt lasse ich sie los und werfe ihr einen enttäuschten Blick zu. "Weist du was scheiße ist? Ich glaube echt dich zu kennen wie niemanden zuvor, aber dann verschließt du dich wieder vor mir und stößt mich weg. Warum? Wieso kannst du mir so wenig vertrauen?", ich bereue meine Worte sofort, weil ich sehe wie tief ich sie damit verletze. Ihr mentaler Schmerz scheint in diesem Moment so viel größer, obwohl sie hier mit offenen blutenden Wunden vor mir steht.
Sie regt sich keinen Zentimeter vom Fleck weg. Es ist, als wäre sie physisch nicht mal Anwesend.
"Es tut mir leid", sage ich, "Aber bitte rede mit mir." Noch immer macht sie keine Bewegung, weswegen ich nun nach der Klinke greife. "Tschüss", murmle ich, bevor ich ihr Zimmer verlasse und mir unten schnell die Schuhe anziehe. "Du gehst schon?"Ich wirble herum und sehe Ann im Flur stehen. "Äh..", stottere ich unschlüssig. "Ja morgen ist Schule", erkläre ich schnell mit fester Stimme und verlasse das Haus, ohne eine Antwort zu bekommen.

Was für ein scheiß Tag!

Ich trotte nachhause, mit dem Wissen, dass ich dort auch keine bessere Laune bekommen werde. Das Haus ist dunkel, was heißt, dass niemand da ist. "Auch gut", murmle ich und schließe auf.  Auf dem Küchentresen liegt ein kleiner Zettel worauf steht:
Ich bin auf Geschäftsreise. Ich bin nächste Woche wieder da.
Dad.

Wütend zerknülle ich das Stück Papier und werfe es weg.

Was ist denn heute los mit allen?
Nur noch Verrückte unterwegs!

Keine Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt