#60 'Frei von Sorgen'

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Es ist merkwürdig, als wir später unsere Klamotten vom Boden aufheben und ins Bad tapsen. Wir brauchen eine Weile um den Mund wieder zum Reden zu gebrauchen und nicht für andere Dinge.
„Duschen?", frage ich und Isaac stimmt mir grinsend zu. Wir quetschen uns zu zweit in die kleine Kabine und lachen unbeholfen. Der Wasserstrahl ist angenehm lauwarm und Gott sei dank hat Isaac Duschgele da zu stehen, die nicht ausschließlich für Männer bestimmt sind. „Warte ich helfe dir", sagt er und schäumt meinen Rücken ein. Seine Hände fühlen sich gut an. Viel zu gut, verboten gut. Ich seufze und lehne mich gegen ihn. Isaac knabbert vorsichtig an meinem Ohr und seine Hände wandern an meinen Seiten um mich rum zu meinem Bauch. „Ich..", setze ich an.
„Ja?", summt er an meinem Ohr und schiebt seine Hände weiter nach oben.
„Ich", mein Kopf spuckt mir keinen Satz aus. Isaac fährt weiter nach oben und atme tief ein. „Du fühlst dich so schön an", murmelt Isaac und ich spüre, wie meine Beine wieder zu Wackelpudding werden. Ich lache und drehe mich wieder um, um ihn anzusehen. „Für heute ist aber genug", tadele ich mit breitem Grinsen und wasche mir die Seife vom Körper.

Als wir angezogen in seinem Zimmer sitzen ist die Stimmung locker und entspannt. Isaac macht einen Film an und wir lachen und reden. In diesem Moment bin ich glücklich. Bei Isaac bin ich frei von Sorgen.
„Das kann doch wohl nicht war sein", ruft Isaac genervt auf. „Das ist doch total unlogisch!", beschwert er sich über den Film, „Wenn die sich lieben, dann sollen sie halt zusammen kommen, was ist denn das Problem?".
„Das ist halt nicht immer so leicht", lache ich, „Das Leben besteht aus ständigen Missverständnissen".
„Ist doch scheiße", er schüttelt seinen Kopf, „Man macht sich das doch nur selber schwer".
„Ja stimmt wohl", meine ich nachdenklich. Das Leben ist eigentlich gar nicht so kompliziert, aber Gefühle machen es dazu. Mein Blick huscht zu Isaac. Er ist vollkommen auf den Film fokussiert. Ich wünschte, ich könnte in seinen Kopf rein gucken.
„Was sind wir eigentlich?", frage ich, als ich etwas Mut angesammelt habe. „Hm?", Isaac dreht sein Gesicht zu mir und blickt mich fragend an. „Was sind wir?", wiederhole ich.
Verwundert beißt sich Isaac auf seine Lippe. „Freunde", meint er schließlich, „Oder nicht?". Langsam nicke ich.

Ja, leider.

„Freunde", wiederhole ich leise zu mir selbst. „Alles ok?", fragt Isaac. „Ja, ja klar", ich lächle ihn an. Den restlichen Film über bleibe ich ruhig. Direkt danach stehe ich auf und verabschiede mich. Ich fühle mich komisch.

Es ist nur noch eine Woche bis zu den Weihnachtsferien. Es ist eine entspannte Woche, denn in der Schule sind selbst die Lehrer schon mit ihrem Kopf im Urlaub und lassen den Unterricht ruhig angehen. Ich sehe Isaac öfters in der Schule und einmal, in der Pause, hält er mich im leeren Klassenraum auf und legt seine Hände auf meine Taille. „Was wird das?", frage ich mit gespieltem Misstrauen. Isaac grinst mich verschmitzt an und schon küssen wir uns. Ich weiß ja nicht, was Isaac für eine Freundschaft haben will, aber normal ist das nicht. Störend tut es mich aber auch nicht. Ich weiß zwar, dass ich mir am Ende selbst ins Bein schneide, weil ich emotionale und körperliche Liebe miteinander vermischen lasse, aber ich brauche das; ich brauche ihn. Es ist ok, wenn er in dem Glauben ist, dass wir beide nichts füreinander empfinden. Es ist für den Moment ok.

Mama fährt mit uns über Weihnachten nach Hause. Nachhause nach Boston. Es ist schön wieder hier zu sein. Wir gehen zur Eisbahn, wie früher und erinnern uns gemeinsam zurück an die Zeit, als Dad noch da war. Mama sieht besser aus, irgendwie ausgeglichener. Ich freue mich für sie und spüre auch in mir eine Veränderung. Langsam verarbeite ich Daddys Tod und kann nach vorne blicken. Ich meine, ich bin ganz am Anfang und der Weg ist noch lang, aber der Startblock ist da.

„Das war schön", sage ich im Auto, als wir auf der Rückfahrt sind. Mama lächelt, „Finde ich auch, Spatz. Und ich bin froh, dass ich euch habe". Es ist eine emotionale Autofahrt und mir kullern ein paar Tränen über mein Gesicht. Sowohl Tränen der Trauer, als auch der Freude. Ich liebe meine Familie.
„Wäre es in Ordnung, wenn ich an Silvester bei Freunden aus der Schule bin?", frage ich vorsichtig. Mama überlegt kurz und sagt dann: „Wenn wir davor den Tag zusammen verbringen, dann gerne". Ich bin erleichtert, „Gerne".

Keine Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt