20. Alte Dokumente

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Wenig später schließe ich die Haustür auf, froh nun endlich wieder zu Hause zu sein. Jim ist schon da, das verrät mir sein Auto in der Einfahrt und seine Jacke an der Garderobe.
"Jim?", rufe ich fragend während ich meine Jacke ebenfalls aufhänge, da ertönt eine Antwort aus der Küche.
"Ich mache gerade Tee."
Augenblicklich renne ich in die Küche und zu Jim, der gerade an der Ablage steht und heißes Wasser in eine Teekanne füllt.
Ohne ein Wort zu sagen, gehe ich auf ihn zu, schlinge von hinten meine Arme um ihn und lehne meine Wange gegen seine Schulter.
"Vorsicht Mel, das Wasser ist heiß", meint Jim lachend, doch ich lasse ihn nicht los. Stattdessen strecke ich mich ein wenig und küsse ihn sanft auf den Nacken, woraufhin er leicht zusammenzuckt.
"Meins", flüstere ich und lehne meinen Kopf wieder gegen ihn, während Jim leise lacht. Ich spüre seinen warmen, weichen Bauch unter meinen Armen, seine ruhigen Atemzüge und seinen gleichmäßigen Herzschlag.
"Ich habe dich auch vermisst Mel", antwortet Jim flüsternd und streichelt meinen Arm mit einer Hand, während er mit der anderen die Teebeutel in der Kanne bewegt. Kurz lasse ich locker damit er sich zu mir herumdrehen kann, und er legt seinerseits seine Arme um mich. Für eine Weile stehen wir schweigend da, unsere Nasen berühren sich und Jim lehnt seine Stirn sacht gegen meine. Es tut so gut wieder bei ihm zu sein, ihm wieder so nahe sein zu können. Ja, es war meine eigene Entscheidung unsere Beziehung wegen Molly zu pausieren, aber nichtsdestotrotz habe ich ihn vermisst.
"Willst du mich nicht küssen?", frage ich irgendwann und Jim grinst.
"Und ich dachte schon du fragst nie", murmelt er zurück, da fühle ich schon seine Lippen auf meinen. Automatisch erwidere ich den Kuss, während sich ein heftiges Kribbeln in mir ausbreitet. Ein bisschen fühlt es sich so an wie mein erster Kuss mit Jim.
Dieser zieht mich nun enger an sich, sodass nicht mal ein Blatt zwischen uns passen würde, bis ich keuchend nach Luft schnappe.
"Also, du küsst definitiv besser als Molly", meint mein Ehemann mit einem Grinsen und ich boxe ihm lachend in die Seite.
"Haha, vielen Dank."
Ich gebe ihm noch einen schnellen Kuss auf die Lippen bevor er sich wieder um den Tee kümmern muss. Kurzerhand entscheide ich, mich auf die Ablage zu setzen und schaue Jim von dort aus zu. Er wirft eben noch den Teebeutel in den Müll, dann stellt er sich vor mich hin und legt seine Hände wieder an meine Taille. Dadurch, dass ich hier auf der Ablage sitze, bin ich ein bisschen größer als Jim, was nur selten vorkommt.
Mit einer Hand streiche ich ihm durch die Haare, die andere lege ich an seine Wange.
"Und? Bist du jetzt davon überzeugt dass ich mich freue?", erkundige ich mich und Jim schaut mich liebevoll an.
"Mhm."
Anstatt seine Antwort weiter auszuführen, lehnt er sich ein wenig vor und küsst mich erneut. Irgendwie fühle ich mich, als wären Jim und ich frisch verliebt, und nicht schon seit Jahren zusammen.
Später, nachdem wir jeweils eine Tasse Tee getrunken haben, sitzen wir im Wohnzimmer auf dem Sofa und hören Musik.
Jedenfalls bis Jim mich urplötzlich auf die Füße zieht und beginnt mit mir zu tanzen, etwas, was wir schon länger nicht mehr getan haben. Ich bin so froh dass das mit Molly endlich vorbei ist, und auch, dass Sybille und ich einen Plan haben wie wir Wulf die Stirn bieten können. Momentan könnte mein Leben nur schwer besser sein.

***

Allerdings muss ich schon am Montag diese Ansicht ablegen, und das für die ganze nächste Woche. Mister Wulf scheut sich nicht, mir noch mehr Aufgaben aufzutragen als er letzte Woche getan hat, sodass ich kaum Zeit habe an etwas anderes zu denken als an meine Arbeit. Zwar versuche ich zu halbwegs menschlichen Zeiten Feierabend zu machen, besonders da Jim zu Hause auf mich wartet, aber das gelingt mir längst nicht immer.
Mein Ehemann arbeitet seit Montag wieder in seiner 'Firma', was ich persönlich teils gut, teils schlecht finde. Wenigstens arbeitet er nicht mehr ganz so lange, außerdem kann ich nicht leugnen dass mir Jim im Anzug echt gefehlt hat. Die stehen ihm halt am besten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bekomme ich auch endlich eine Nachricht von Katie, wegen ihres Vaters. Hamish hatte wohl nicht diagnostizierte Diabetes Typ 2, und wäre durch Überzuckerung beinahe in ein tödliches Koma gefallen. Mittlerweile geht es ihm wieder besser, aber nichtsdestotrotz sind Katie und ihre Familie nachwievor geschockt. Und ich auch. Zum Glück hat Hamish das überlebt.
Am Ende der Woche haben Sybille und ich es geschafft, drei Leute für unsere Sache zu gewinnen. Drei hört sich zwar nach verdammt wenig an, aber es ist immerhin ein Anfang. Damit die Aussagen der Leute auch etwas wert sind, wollen wir sie schriftlich festhalten, also kleine Berichte über die Dinge schreiben, die Wulf getan hat. Diese Art von Arbeit müssen wir irgendwie nebenher erledigen, aber das mache ich fast schon gerne.
Freitags schaffe ich es um halb fünf aus dem Büro zu sein und den Bus nach Hause zu nehmen, zusammen mit Sybille.
"Und wie geht's Jamie?", erkundige ich mich im Bus und lehne mich gegen die Fensterscheibe. Wir haben zwei Plätze nebeneinander ergattert und können so bequem quatschen.
"Ach, ihr geht es prima. Sie ist tagsüber bei einer Tagesmutter bis mein Mann oder ich sie nach der Arbeit abholen."
Sie lächelt als sie von ihrer kleinen Tochter erzählt und ich höre ihr aufmerksam zu. Irgendwie interessiert es mich sehr, mehr von Jamie zu erfahren und ich spüre wie sich das Glücksgefühl von Sybille auf mich überträgt. Wahrscheinlich ist eben dieses Gefühl der Auslöser dafür, dass man sich ein Kind wünscht.
Leider muss die junge Mutter wenig später aussteigen, sodass ich wieder alleine bin. Jedoch nur bis zu Hause.
"Jim, ich bin wieder da!", rufe ich als ich zur Haustür hereinkomme, und sofort ertönt von oben eine Antwort.
"Komme gleich!"
Mit einem Lächeln stelle ich meinen Rucksack in den Flur, hänge meine Jacke auf und strecke mich einmal ausgiebig. Da kommt Jim die Treppe herunter, gekleidet in einen dunkelblauen Anzug.
"Schön dich wieder hier zu haben", meint er und gibt mir einen Kuss auf die Wange, dann holt er einen braunen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts hervor.
"Deine Überraschung."
Verblüfft schaue ich ihn an.
"Habe ich Geburtstag?"
"Nein", antwortet er mit einem geheimnisvollen Grinsen, während ich neugierig den Umschlag betrachte. Ich kann beim besten Willen nicht erraten was darin sein könnte.
"Komm, wir setzen uns aufs Sofa und ich erkläre es dir", schlägt Jim vor und ich nicke nachdenklich. Kaum haben wir uns hingesetzt, beginne ich den Umschlag zu öffnen und mein Mann fängt an zu reden.
"Ich habe schon vor geraumer Zeit, eigentlich schon vor unserer Hochzeit und deiner Entführung, angefangen Nachforschungen anzustellen, aber es war viel schwieriger als gedacht fündig zu werden. Seb hat mir nicht unerheblich geholfen und, naja... mal sehen ob du dir einen Reim drauf machen kannst."
Nun ist der Umschlag endlich offen und ich ziehe ein paar Papiere, sowie alte Fotos hervor. Mit gerunzelter Stirn betrachte ich die Fotos, drei Stück an der Zahl. Das erste ist schon verblichen und zeigt eine Gruppe von sechs Soldaten vor einem Jeep, irgendwo in einer staubigen Ebene, von denen einer mit einem Kuli eingekreist wurde. Das zweite ist nicht ganz so alt, aber darauf sieht man wie ein Mann gerade eine Wohnung verlässt. Es könnte von gestern sein, aber auch von vor ein paar Jahren. Das letzte Foto ist die Fotokopie eines alten Mietvertrags, auf den Namen Sam Michael Smith. Die Wohnung lag in der Nähe von Mums alter Wohnung, von der sie manchmal gesprochen hat. Sie musste damals da raus, weil das gesamte Haus einfach verkauft worden war.
Prüfend schaue ich Jim an, doch der beobachtet mich nur aufmerksam. Also widme ich mich den Papieren.
Das erste ist der Marschbefehl eines Soldaten, der auch Sam Michael Smith heißt, offensichtlich also derselbe. Laut des Befehls musste er sieben Monate vor meiner Geburt auf einen Einsatz im Irak.
Die nächsten zwei Papiere sind Kopien zweier Mietverträge, einer von meiner Mutter, der einen Monat vor meiner Geburt abgeschlossen wurde, und wieder einer von diesem Sam Michael Smith, allerdings mehr als ein Jahr später. Der von meiner Mum ist der unserer ersten Wohnung, in der ich aufgewachsen bin, der andere von einer Wohnung am anderen Ende der Stadt.
Langsam lege ich all diese Papiere und Fotos vor mich auf den Couchtisch, dann denke ich nach. Dieser Sam Michael hat in der Nähe meiner Mutter gewohnt, er könnte sie also gekannt haben. Und als er dann seinen Marschbefehl bekommen hat, hat er seine Wohnung aufgegeben, sodass er eine neue gebraucht hat als er wieder zurückkam. Das eine Foto beweist dass er dort noch immer wohnt, aber dadurch dass die Wohnung am anderen Ende der Stadt liegt, weit weg von meiner Mum, heißt das, dass er sie entweder nicht wiedersehen wollte, sie nicht kannte oder...
... sie nicht mehr gefunden hat.
Plötzlich geht mir ein Licht auf und mir stockt der Atem. Sollte das wirklich...?
"Jim, glaubst du etwa... dass dieser Sam... mein... Vater ist?"
Ich schaue ihn mit großen Augen an, unsicher über meine eigene Schlussfolgerung, doch da lächelt Jim.
"Ich bin mir beinahe zu 100% sicher dass er es ist, denn es gibt auch noch alte Hinweise darauf, dass er versucht hat deine Mutter, Rachel Grand, zu finden, es aber nie geschafft hat. Außerdem passen die Zeiten und alles, auch sein Alter ist-"
Weiter kommt er nicht, denn ich werfe mich fast schon an seinen Hals und drücke ihn so fest ich kann an mich.
"Oh Jim! Dankedankedanke!"
Meine Stimme wird von seiner Schulter gedämpft und klingt dazu noch so als wäre ich den Tränen nahe, weil ich angefangen habe vor Freude zu weinen.
"Gern geschehen", antwortet dieser, anstatt zu protestieren dass ich seinen Westwood-Anzug verknicke.
"Ich habe übrigens auch noch seine Adresse aufgeschrieben."
Ich fühle wie er mir etwas in meine hintere Hosentasche schiebt und gebe ihm einen Kuss, den er sofort erwidert. Doch da unterbreche ich ihn so abrupt, dass Jim mich überrascht anschaut.
"Und was mache ich jetzt?"
Was soll ich mit der Information, dass dieser Sam Michael Smith mein Vater ist, anfangen? Sie ignorieren kann ich nicht, das geht einfach nicht. Immerhin ist er mein Vater. Ihn anrufen? Und was soll ich dann sagen?
"Geh zu ihm", unterbricht Jim meine Gedanken und ich zucke fast schon zusammen.
"Aber... was ist wenn er mich nicht sehen will? Wenn er mich eigentlich gar nicht wollte? Wenn er-"
"Honey, mach dir keine Sorgen über solche Dinge. Natürlich wird er dich sehen wollen, immerhin hat er eine ganze Weile lang versucht deine Mutter wiederzufinden. Außerdem, du hast ein Recht deinen Vater kennenzulernen", schneidet mein Mann mir das Wort ab und schaut mich ernst an.
"Du solltest es wenigstens versuchen, ich komme auch mit dir."
Sanft streicht er mir mit einer Hand über die Wange während ich ihn hoffnungsvoll anschaue.
"Wirklich?"
Er schmunzelt.
"Klar, ich lasse dich doch nicht alleine zu so einem fremden Mann fahren, vorallem wenn du so nervös bist."
Verlegen werde ich rot.
"Lass mich", murmele ich und Jim lacht.
"Und wann wollen wir hinfahren?"
"Wie wäre es mit jetzt gleich?"
Erschrocken lasse ich Jim los, dann schüttle ich vehement den Kopf.
"Nein, das geht doch nicht, ich-"
"Shh, beruhige dich. Komm schon, wenn wir morgen fahren, kannst du die ganze Nacht nicht schlafen, oder schiebst es ewig vor dir her."
Ich weiß, dass Jim sowas von Recht hat, aber in mir sträubt sich etwas, noch heute zu meinem Vater zu fahren. Und das ist Angst.
"Ich... ich weiß aber nicht ob ich das wirklich will", murmele ich und ziehe die Beine an. Eigentlich will ich auf jeden Fall zu meinem Vater, aber ich habe auch Zweifel und Sorgen, mehr als die die ich Jim bereits genannt habe. Dieser legt mir nun sanft eine Hand auf die Schulter, während ich meine Knie umarme.
"Ich werde dich nicht zwingen, Mel. Aber ich... spüre dass es dich verfolgen würde wenn du es nicht tust."
Überrascht schaue ich ihn an. Normalerweise bin ich immer diejenige die etwas 'spürt', und nicht er.
"Na gut. Aber du bleibst bei mir, oder?"
"Natürlich."
Jetzt lächelt er, beugt sich vor und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
"Ich ziehe mir noch etwas bequemeres an, dann können wir losfahren."
Er steht auf, da folge ich ihm und nehme seine Hand.
"Sollte ich vielleicht auch machen."
Noch habe ich die Sachen an, die ich immer auf der Arbeit trage, ich bin also recht förmlich, und das scheinen mir nicht die angemessenen Klamotten für mein erstes Treffen mit meinem Vater zu sein.
Wenig später sind wir beide fertig, Jim in Jeans, T-shirt und einer leichten Jacke, ich in einem Shirt und ebenfalls in Jeans.
"Wir können los."
Damit nehmen wir unsere Jacken, beziehungsweise Jims schwarzen Mantel, und gehen aus dem Haus zum Auto. Auf zu meinem Vater.

Das ist wahrscheinlich der mieseste Cliffhänger den ich je geschrieben habe xD
Aber ich freue mich schon so aufs nächste Kapitel, das hat mir so viel Spaß gemacht zu schreiben *-*

Was meint ihr? Wird er sich freuen Melody zu sehen? Wird sie sich freuen ihn zu sehen? Ist er nett? Ist er überhaupt zu Hause xD?

Bin gespannt auf eure Vermutungen, denn ich weiß ja wie es sein wird *böse grins*

Bye! :D

Moriarty In Love - The GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt