28. Eine Diagnose

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Nur eine Stunde später gebe ich Jim einen Abschiedskuss bevor ich aus dem Auto steige.
"Warte kurz, wann kommst du wieder nach Hause?", hält er mich noch auf und ich denke kurz nach.
"Keine Ahnung, aber ich denke lange werde ich nicht bleiben. Immerhin muss ich noch ein wenig Schlaf nachholen", antworte ich mit einem leichten Grinsen und Jim erwidert das.
"Okay, dann bis nachher."
Ich schließe die Autotür, trete von der Straße weg und mein Mann fährt davon. Einen Moment lang schaue ich dem schwarzen Auto hinterher, dann drehe ich mich zu dem Hauseingang um. Dieses Mal fällt mir das Klingeln wesentlich leichter als noch beim ersten Mal.
Es dauert nicht lange bis sich die Haustür vor mir öffnet, doch mein anfängliches Lächeln verschwindet als ich meinen Vater anschaue. Er wirkt eingefallen, müde, grau. Überhaupt nicht so wie ich ihn kennengelernt habe.
"Hey..."
Meine Stimme versagt und ich schlucke.
"Was ist los?"
"Hey Melody", antwortet Sam mit matter Stimme und bedeutet mir hereinzukommen, ohne auf meine Frage direkt einzugehen. Ich merke dass er mir etwas verschweigt, aber wahrscheinlich will er es mir gleich erzählen. Sonst hätte er mich doch nicht angerufen, oder?
Kaum habe ich meine Schuhe ausgezogen, folge ich ihm ins Wohnzimmer, wo er sich mit einem Seufzen auf einen Sessel sinken lässt.
"Setz dich", meint er und reibt sich mit einer Hand über die Stirn. Unsicher nehme ich auf dem Sofa Platz, dann warte ich gespannt darauf, dass Sam anfängt zu sprechen. Doch dieser schweigt eine ganze Weile lang, was mir die Gelegenheit gibt ihn gründlicher zu mustern. Die Stärke, die ich vorher bei ihm gesehen habe, scheint beinahe weg zu sein, er wirkt traurig, resigniert. Als hätte er einen schweren Schicksalsschlag akzeptiert. Dieser Gedanke macht mir Angst.
"Ich habe ehrlich keine Ahnung wie ich dir das sagen soll", unterbricht mein Vater schließlich die Stille zwischen uns.
"Wir kennen uns erst so kurz, und doch..."
Seine Stimme verliert sich, wodurch er mich noch mehr auf die Folter spannt. Allerdings wage ich es nicht ihn zu drängen, vorallem da es ihm unglaublich schwer zu fallen scheint mit mir darüber zu sprechen.
"Schon darüber nachzudenken wie... wie das für dich sein wird, tut mir weh, obwohl ich dich kaum kenne", fährt Sam fort, schaut mir dabei aber nicht in die Augen.
Er holt tief Luft.
"Vor zwei Tagen war ich beim Arzt, wegen einer Sache die schon Monate her ist. Ich hab mir nichts dabei gedacht, ich meine, mit sowas rechnet man ja nicht."
Schon wieder macht er eine Pause, und schon wieder macht mich die Anspannung fast wahnsinnig.
"Mein Arzt hat... hat mir Leukämie diagnostiziert. Es ist wohl schon sehr fortgeschritten, weswegen sie nicht genau wissen ob eine Behandlung noch viel helfen wird. Laut der Ergebnisse meines Blutbildes kann ich eine Chemotherapie machen, oder auf einen passenden Knochenmarkspender hoffen, allerdings hasse ich Krankenhäuser."
Er verzieht das Gesicht, während ich stocksteif auf dem Sofa sitzen bleibe ohne einen Muskel zu rühren. Die Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht: Mein Vater wird sterben wenn er nicht in Behandlung geht, was er anscheinend auch nicht vorhat.
"K-kann ich nicht spenden?", frage ich mit schwacher Stimme, doch mein Vater schüttelt den Kopf.
"Das habe ich den Arzt auch schon gefragt, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein naher Verwandter der passende Spender ist, ist äußerst gering."
"Dann mach doch eine Chemo!"
Meine Stimme wird schrill, ohne dass ich das beabsichtige. Allein der Gedanke, meinen Vater zu verlieren, lässt mich panisch werden.
"Melody, ich habe seit Jahren kein Krankenhaus betreten, geschweige denn eins angesehen. Selbst zum Arzt gehe ich nur im äußersten Notfall, ansonsten halte ich mich von solchen Orten fern", meint Sam ernst.
"Von solchen Orten? An solchen Orten wird dir geholfen, da werden Menschen geheilt-"
"Aber da sterben auch Menschen! Ich habe das schon einmal erlebt, nie wieder", unterbricht Sam mich mit einem Ton in der Stimme, der nach Angst klingt.
Fassungslos starre ich ihn an.
"Du hast Angst. Panische Angst", stelle ich leise fest und er nickt seufzend.
"Vor Krankenhäusern, ja. Schon der Geruch macht mich wahnsinnig. Alles dank der Army."
Für einen Moment schweigen wir beide, und in diesem Moment kommen mir die Tränen. Leise tropfen sie auf meine Beine, hinterlassen dunkle Flecken auf dem Stoff. Mit einer Hand wische ich mir schniefend über die Wangen.
"Du willst also gar nichts machen? Einfach sterben?", frage ich mit erstickter Stimme nach, da lehnt mein Vater sich nach vorne.
"Nein, natürlich nicht. Noch ist längst nicht alles verloren, mein Arzt hat Proben von mir genommen und momentan wird nach einem passenden Spender gesucht. Es gibt noch eine Chance dass ich nicht sterbe."
In einer ungewohnt väterlichen Geste steht er auf, setzt sich neben mich aufs Sofa und legt mir eine Hand auf die Schulter.
"Aber ich verstehe es nicht, wieso machst du keine Chemo? Die könnte dein Leben retten! Und du müsstest gar nicht mal dauerhaft ins Krankenhaus."
"Darum geht es nicht, leider. Ich würde es ja machen, aber ich kann da nicht nochmal hin. Melody, ich habe Freunde vor meinen Augen langsam im Lazarett und nachher auch im Krankenhaus sterben sehen. Sie sind einfach eingegangen, danach hat man sich nicht mehr um sie gekümmert. Glaub mir, wenn du gesehen hättest was ich sah, dann würdest du mich verstehen."
Er schaut mir in die Augen, da beginne ich richtig zu weinen. Schluchzend lehne ich mich gegen meinen Vater, der nun einen Arm um mich legt und sein Kinn gegen meinen Kopf lehnt.
"Es tut mir leid", sagt er leise, während ich in seinen Pulli schluchze. Meine Hand krallt sich in den Stoff seines Oberteils, so als könnte ich so verhindern dass er jemals geht.
"Ich will dich nicht verlieren, nicht dich auch noch", flüstere ich halbwegs verständlich, da seufzt Sam leise.
"Denkst du, ich will das?"
Schließlich höre ich auf zu weinen, sodass Sam mich loslässt. Seltsam dass wir uns erst zweimal vorher getroffen haben und schon so miteinander umgehen können.
"Komm, ich mach uns einen Tee", meint er und schaut mich aufmunternd an. Ich nicke, wische mir nochmal über die Wangen und folge ihm dann in seine Küche. Bemerkenswert, er versucht mich aufzuheitern obwohl er eventuell bald sterben wird. Das muss Stärke sein.
Irgendwie schaffen wir es ein halbwegs angenehmes Gespräch anzufangen, bei einer Tasse Tee und einer Kleinigkeit zu essen. Wir sprechen aber auch darüber, was er als nächstes machen wird, obwohl es da nicht viel zu bereden gibt. Er wird keine Chemo machen, es sei denn ich zwinge ihn. Und so egoistisch will ich nicht sein, auch wenn es mir wehtut daran zu denken dass er schon bald tot sein könnte.
"Ich sollte langsam nach Hause, Jim wartet bestimmt schon auf mich", meine ich später und Sam nickt.
"Fahr du ruhig, versprich mir aber dass du mich besuchen kommst."
Ich lache ein ersticktes Lachen.
"Klar, jetzt erst recht."
Mein Vater bringt mich zur Tür und wartet bis ich fertig zum gehen bin, dann nimmt er mich fest in den Arm.
"Es wird alles gut, du wirst schon sehen."
Darauf antworte ich nichts, sondern streiche ihm nur über den Rücken. Wenn Erwachsene dir sagen, es wird alles gut, sollte man auf der Hut sein. Naja, ich bin auch erwachsen, aber trotzdem.
"Ich komme morgen nochmal vorbei", sage ich stattdessen als wir uns loslassen und er lächelt erfreut. Ich glaube es hat ihm gut getan mit mir darüber zu reden.
"Ich freue mich schon."
Mit einem bedrückendem Gefühl verlasse ich seine Wohnung, winke ihm noch einmal zu und gehe dann die Straße entlang zum Bus.
Der leichte Wind weht mir meine Haare ins Gesicht, spielt mit ihnen bevor er sich wieder davonmacht um die Blätter in den Bäumen rascheln zu lassen. Es ist warm, die Abendsonne scheint auf die Häuser herab und lockt deren Bewohner nach draußen. Auf meinem Weg rieche ich immer mal wieder gebratenes Fleisch und den Geruch nach einem Grillfeuer im Garten. Lachen dringt an meine Ohren, Gespräche, Besteckklirren. Geräusche des alltäglichen Lebens, während ich durch die Straßen gehe, versunken in düsteren Gedanken. Rein theoretisch könnte ich Jim anrufen damit er mich abholt, aber das möchte ich nicht. Jetzt gerade möchte ich niemanden um mich herum haben der mich ablenkt, sondern einfach nur nachdenken können. Auch wenn meine Gedanken nicht die schönsten sind, und mir sogar teilweise die Tränen wieder in die Augen treiben.
Der Bus ist leer als ich einsteige, die meisten Leute sind draußen, zu Hause oder mit dem Fahrrad unterwegs. Eigentlich Schade, dass ein ganzer Tag mit wundervollem Wetter an mir vorbeigegangen ist.
Als ich aussteige und nach Hause gehe, ist meine Laune etwas besser. Klar bin ich traurig, aber ich beginne zu hoffen, dass es noch Heilung für meinen Vater gibt.
Sobald unser Haus in Sicht kommt, spüre ich wie sich ein bekanntes Gefühl in mir ausbreitet: das Gefühl von Geborgenheit, Schutz und Liebe, obwohl man davon im Haus eines Psychopathen eigentlich kaum ausgehen kann. Ich bin gespannt was Jim in meiner Abwesenheit gemacht hat.
Doch als ich die Haustür aufschließe, höre ich von drinnen Stimmen, die allerdings nicht vom Fernseher kommen. Es ist die Stimme einer Frau, sowie die von Jim aus dem Wohnzimmer. Was sie sagen kann ich nicht verstehen, aber ich werde sofort misstrauisch. Ist das vielleicht Molly?
Ich schließe die Tür hinter mir und hänge meinen Mantel auf, da verstummt das Gespräch im Wohnzimmer und ein mir fremder Mann tritt in den Durchgang am Ende des Flur. Augenblicklich erstarre ich, nun enorm verunsichert.
"Nun Miss Adler, ich schlage vor wir führen dieses Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fort, wenn Sie nichts dagegen haben."
Die Stimme von Jim klingt förmlich, also muss es ein geschäftliches Gespräch sein.                     
"Mit Vergnügen, Mister Moriarty", antwortet die Frau, aber in einem Tonfall, als würde sie mit meinem Mann flirten.
Der Mann schaut mich finster an.
"Moran, bring Miss Adler zur Tür", weist Jim nun Seb an, da treten dieser und eine Frau neben den finster dreinblickenden Mann. Seb wirkt ernst und steif, ganz anders als ich ihn gewohnt bin, aber die Frau neben ihn erstaunt mich noch mehr.
Elegant, aber verführerisch gekleidet, sofern man das sagen kann, ist sie. Ihr roter Lippenstift lässt ihren Mund größer erscheinen und ihre geröteten Wangen verleihen ihr eine erotische Note. Ihre Frisur mit den schwarzen, kurzen, lockigen Haaren sitzt perfekt, und ihr schönes Gesicht ist gepflegt. Diese Frau weiß, dass sie gut aussieht und nutzt dies gezielt aus, denn ihre ganze Ausstrahlung hat etwas verführerisches an sich.
Verdutzt schaue ich sie an, da kommt sie lächelnd auf mich zu.
"Sie müssen Melody sein."
Sie streckt mir keine Hand hin, aber ich besinne mich dennoch.
"Ja, die bin ich tatsächlich. Und Sie sind?"
"Irene Adler. Entschuldigen Sie, aber ich muss jetzt leider gehen, vielleicht sehen wir uns nochmal."
Verwirrt trete ich auf Seite, damit sie an mir vorbeikann und öffne ihr die Tür. Da lehnt sie sich plötzlich nah an mein Ohr, sodass ich ihren Atem auf meiner Haut spüren kann.   
"Mit ihrem Mann haben Sie wahrlich einen Glückstreffer gelandet. Ich frage mich, ob Sie genauso gut im Bett sind."
Vollkommen überrumpelt will ich etwas erwidern, doch da ist die Frau schon durch die Tür geschritten, hinter ihr Seb und der andere Mann. Ich spüre wie meine Wangen anfangen zu glühen, während mein Kopf nicht mehr weiß was ich denken soll. Was sollte das denn?

So, das für mich mit Abstand unangenehmste Kapitel ist endlich raus >.<
Ich hafte nicht für irgendwelche Fehler, was die Leukämie betrifft, aber falls euch schwerwiegende auffallen (warum auch immer ihr das wisst) seid ihr eingeladen mir dies mitzuteilen.

Bye

*drops mic*

Moriarty In Love - The GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt