Jeden Morgen um fünf Uhr stehe ich auf.
Jeden Morgen um fünf Uhr reibe ich mir den Schlaf aus den Augen, steige aus dem Bett und gehe in die Küche.
Jeden Morgen um fünf Uhr werfe ich die Kaffeemaschine an, um in den Tag zu starten.
Jeden Morgen um fünf Uhr verfluche ich für einen klitzekleinen Moment die frühe Uhrzeit.
Jeden Morgen um fünf Uhr laufe ich zum angrenzenden Kinderschlafzimmer hinüber, um nach meiner wundervollen Tochter zu sehen.
Jeden Morgen um fünf Uhr bin ich froh, Kassandra dort liegen zu sehen.
Bis ich es eines Morgens nicht mehr kann.
Lasst mich eines direkt von Anfang an klarstellen: Als ich beschlossen hatte, ein Hotel zu eröffnen, Vater zu werden, die Liebe meines Lebens zu heiraten und gleichzeitig auch noch meiner Schwester und meiner Mutter-Schrägstrich-Tante ein Zuhause bei mir zu geben, hätte ich nie ahnen können, wie seltsam das Leben noch werden könnte.
Ich meine, hey, ich bin Elias Moon, mein Leben war schon immer mehr als merkwürdig. Meine leibliche Mutter gab mich nach der Geburt zu ihrer Schwester, die mich dann als ihren Sohn großzog. Mit ihrer Frau. Sodass ich direkt zwei Mütter bekam. Eigentlich sogar drei, wenn man es ganz genau nimmt. Meine Familie besteht zudem noch aus zwei adoptieren Geschwistern, die sich mehr recht als schlecht bei uns integriert hatten. Meine Kindheit und Jugend bestand aus einem anhaltenden Wechsel aus Pflegekindern, die bei uns ein und aus gingen, weil meine Adoptivmutter Mum im sozialenBereich tätig war.
Meine Ma, die streng genommen meine leibliche Tante ist, hatte anfänglich ein 24-h-Café, das sie dann aber erweiterte und zu einer kleinen aber feinen Kette managte. Bis zu ihrem Tod jedenfalls.
Und jetzt trete ich in ihre Fußstapfen, leite aus der Ferne die MoonHour-Cafés und baue mir ein kleines Hotel am Rande der Stadt auf.
Es läuft alles ziemlich gut ... Aber wie das Leben einem so spielt ...
Nein, keine Sorge, ich höre jetzt nicht auf, zu erzählen. Ich wollte euch nur ein bisschen ärgern.
Es ist so: Meine Tochter Kassandra ist jetzt fast 18. Das ist kein leichtes Alter, besonders nicht für die Väter. Sie ist erwachsen. Ein bisschen. So irgendwie. Erwachsener als ich in dem Alter. Und genau 18 Tage vor ihrem Geburtstag betrete ich ihr Zimmer, wie ich es seit Jahren mache. Ich drücke die Klinke herunter, halte meine Kaffeetasse fest in der Hand und erwarte sie dort schlafen zu sehen. Oder mit Kopfhörern über ihr Notebook gebeugt. Oder auf der Fensterbank sitzend, mit einer Zigarette in der Hand. Ich hätte mich sogar gefreut, sie mit einem Jungen dort zu sehen. Alles wäre besser gewesen, als sie gar nicht zu sehen und stattdessen nur eine Kiste vorzufinden, die mir sehr vertraut ist. Eine Kiste mit Briefen, die meine Mutter mir zum 30. Geburtstag hinterließ (gruslig, allein weil Ma zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre tot war. Aber Kassandra senior war schon immer für Überraschungen gut.)
Doch selbst das war nicht so erschreckend wie die Tatsache, dass auf der Kiste ein neuer Brief lag. Ein neuer Brief, der mit den Worten »Mama, Papa, es tut mir sehr leid« begann.
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Everyday at 5AM
General Fiction»Jeden Morgen um fünf Uhr steht er auf. Er stellt die Kaffeemaschine an, er putzt sich die Zähne, holt die Zeitung herein, lässt unseren Hund Unicorn in den Hinterhof und dann kommt er zu mir ins Zimmer, um nach mir zu sehen. Jeden Morgen um fünf Uh...