Wenn ich gedacht habe, dass es ein Kinderspiel wird, mit meinen Eltern zu sprechen, so dachte ich falsch. Wobei ich das eigentlich nicht annahm. Beim gleichmäßigen Tuten befürchte ich das Schlimmste. Von Schreikrämpfen über Heularien über haltloses Schweigen.
Stattdessen erwartet mich nichts davon. Es geht nämlich beim ersten Versuch keiner ans Telefon. Auch beim zweiten und dritten bleibt die Leitung tot.
»Hast du sie schon informiert und sie sind hierher unterwegs?«, frage ich Skye und kann nicht vermeiden, dass meine Stimme eine Spur zu bissig klingt.
Sorry not sorry. Ist ihre eigene Schuld, mich zu so etwas zu zwingen.
Da auch bei Papas Handy keiner dran geht, wage ich einen aberwitzigen Versuch. Ich rufe bei meiner Tante Elisa an. Ja, richtig gelesen. Elisa und Elias als Geschwisternamen sind wirklich bescheuert und haben schon oft zu Verwirrungen geführt.
Sie ist Papas Halbschwester und studiert Jura, allerdings nicht bei uns in der Stadt, weswegen ich auch sie seltener zu Gesicht bekomme. Sie ist jetzt 28, hat aber das Talent, sich noch immer wie eine Pubertierende aufzuführen. Wir stehen uns recht nahe, da wir meine ersten Lebensjahre beieinander aufgewachsen sind. Sie ist das, was einer großen Schwester am Nächsten kommt.
»Skye, hi. Oh, das reimt sich«, meldet sie sich nach dem zweiten Klingeln und schluckt erst einmal geräuschvoll herunter. »Da ich mir denken kann, wieso du anrufst: Nein, sie ist noch nicht wieder aufgetaucht und wenn ich ehrlich bin, glaube ich auch nicht, dass sie bei mir auf der Türmatte stehen wird. Aber Elias und Jo sind natürlich voll außer sich und sind gerade bei ihrer besten Freundin. Wie geht's dir denn so?«
Reden ohne Punkt und Komma scheint bei uns in der Familie zu liegen, stelle ich mal wieder fest.
Ich hole tief Luft und fange an zu reden. Dass es mir gut geht, dass es Skye auch gut geht, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, dass ich bald wieder nach Hause komme. Lüge nach Lüge kommt über meine Lippen, doch nie fiel mir das leichter. Es ist für einen guten Zweck.
Rede ich mir zumindest ein. Es ist leicht, sich das einzureden. Denn die Dämonen in meinem Kopf wollen das so. Sie sind glücklicher, seitdem ich den Entschluss gefasst habe. Ruhiger. Sie lassen mich in Frieden.
»Kass, bau einfach keine Scheiße, okay?« Elisa seufzt. »Ich meine das echt ernst. Bei all dem Mist, der in unserer Familie immer wieder passiert, will ich nicht auch noch eine verkrüppelte Nichte zurück, ja?«
Schweigen.
»Wenn du schwanger bist, kannst du es mir übrigens sagen.«
»Ich bin nicht schwanger.«
»Mist«, flucht sie leise und räuspert sich gleich darauf. »Das heißt, ich verliere meine Wette mit Fia.«
»Ich kann nicht gerade sagen, dass es mir leid tut.« Ich grinse, was seltsam ist, unter diesen Umständen. Aber ich kann nicht anders. Es fühlt sich so normal an, in Anbetracht der anormalen Umstände.
»Kann ich etwas vorschlagen, K? Nur ein kleiner Vorschlag, damit alle zufrieden und glücklich sein können. Ruf Elias an. Morgens, um fünf Uhr, wenn er aufsteht. Ich weiß doch, dass er diese blöde Routine hat, bei der er dich im Schlaf beobachtet hat wie so ein grusliger Altzeitvampir.«
Ein erheitertes Grunzen entfährt ihr und auch ich muss kichern. Skye, die mir noch immer gegenübersitzt, zieht verwundert die Augenbrauen zusammen, schweigt aber. Auch sehr ungewöhnlich für sie.
»Mama fände das aber sicher nicht so witzig«, sage ich dazu nur und fange an, die Naht meines Shirts aufzuknibbeln. Dabei finde ich die Idee nicht allzu schlecht, wenn sie denn dafür sorgt, dass ich meine Ruhe habe für die nächsten 16 Tage. Wenn ich dafür über meinen Schatten springen und mit Papa reden muss, okay. Das schaffe ich schon irgendwie, auch wenn ich es vermeiden wollte.
Abschiede sind gemein. Besonders wenn nur einer weiß, dass es einer ist.
»Ich klär das mit Jo.« Elisas Ton ist seltsam, aber ich frage nicht nach. Wozu auch. Wie bereits erwähnt ist das Verhältnis zu Mama schon lange eisig. Manche Kinder-Eltern-Beziehungen klappen einfach nicht, egal wie sehr man es sich wünscht.
»Kann ich dich um etwas bitten?«
»Klar, K. Hau raus.« Noch mehr Schmatzen, dann das Zischen eines Feuerzeuges. Fast ist es, als wäre sie mit mir im Raum, statt Hunderte Kilometer entfernt. Manche Dinge gehören zu Menschen dazu und bringen sie einem näher. Immer wieder, egal wo man ist.
»Pass auf sie auf. Bitte, ja?«
»Nur solange wie du weg bist, K. Ab deinem 18. Geburtstag ist das wieder dein Job.«
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Everyday at 5AM
General Fiction»Jeden Morgen um fünf Uhr steht er auf. Er stellt die Kaffeemaschine an, er putzt sich die Zähne, holt die Zeitung herein, lässt unseren Hund Unicorn in den Hinterhof und dann kommt er zu mir ins Zimmer, um nach mir zu sehen. Jeden Morgen um fünf Uh...