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[Herzchen. Es ist fast Dezember und mir ist nach vielen Updates 😄❤]

»Meine Güte.« Lucian sitzt mir mittlerweile an einem provisorischen Tisch gegenüber und reicht mir einen heißen Kakao, was eine süße Geste ist, auch wenn er mich wohl noch für ein Kleinkind halten muss. »Wusstest du, dass ich dabei war, als dein Vater gefunden wurde?«

Ich will gerade den Mund öffnen, da greift er nach meinem Arm und verzieht das Gesicht.

»Du wusstest, dass dein Vater vor der Tür abgelegt wurde, oder? Als Baby? Von deiner Tante? Verdammt, deine Familiengeschichte ist einfach so abgedreht ...«

Zuerst hat es mich irritiert, dass ein offensichtlicher Opa so jugendlich spricht, aber dann musste ich feststellen, dass es zu Lucian passt. Das Alter definiert ihn nicht, ganz und gar nicht.

»Theoretisch gehörst du aber dazu«, erwidere ich grinsend und nippe an meinem Becher.

Um meine sowieso schon komplizierte Familiengeschichte noch zu verkomplizieren: Lucian und meine Großtante Pennie hatten ein Verhältnis, aus dem meine Tante Elisa entstanden ist. Dementsprechend ist Lucian so irgendwie mein Großonkel.

Umgehend hält er abweisend die Hände von sich gestreckt und die Reaktion überrascht mich nicht so sehr, wie man jetzt vielleicht vermuten würde.

Ich würde meine Familie auch von mir weisen, so sehr ich sie auch liebe.

»Also, kleine Miss Moon, da ich nicht glaube, dass du mir den Job abnehmen willst, verrate mir doch den Grund für deinen Aufenthalt hier.«

Nach Großmutters Tod vererbte sie meinem Papa ihr ganzes Unternehmen, das damals, wie wohl schon von mir erwähnt, noch nicht so riesig war. Sie bat ihn, Lucian zu seinem Verwalter und Partner zu machen, was Papa auch tat. Seither kümmert Lucian sich um die Cafés, damit Papa daheim bleiben konnte, um sich um das Hotel und um mich zu kümmern.

»Ich wollte einfach mal nach meinem Vermächtnis sehen.«

Lucians Mundwinkel zucken augenblicklich nach oben. »Du bist eine noch schlechtere Lügnerin als dein Vater.«

Auch ich muss schmunzeln. »Dass ich abgehauen bin, weißt du ja.«

»Das hast du mir zumindest geschrieben, ja. Selbst wenn das jetzt unter Umständen sehr fies klingen könnte, ich habe mich aus gutem Grund von euch allen ferngehalten. Das traditionelle Familienleben ist nichts für mich und ich hatte nur eine Verbindung zu ...« Er stockt. Sie stocken immer an dieser Stelle. Als wäre die Erwähnung meiner Namensgeberin schon zu viel.

Wie könnte ich je gut genug sein, wenn niemand mich ansehen kann, ohne an sie zudenken? Wie könnte ich je mein eigenes Leben aufbauen, wenn alle in mir nur versuchen sie zu sehen?

Verdammter Mist, auch wenn ich mich wiederhole, ein Name sollte keine Erwartungshaltung sein. Scheiße gelaufen für mich.

»Kleine Miss Moon«, seufzt Lucian, weil ich ihm einer Antwort schuldig bleibe. Doch der Kloß in meinem Hals ist zu fett geworden. »Sie war meine beste Freundin, weißt du.« Seiner Stimmlage kann ich entnehmen, dass er selten über sie spricht. Zumindest nicht so, nicht zu jemand aus der Familie.

Der Familie. Klingt als wären wir bei der Mafia.

»Sie gehörte zu mir, wie ich zu ihr. Wir waren ein unschlagbares Team. Kassy und ich.« Sein Blick wandert zu seinem Becher und der Kloß in meinem Hals wird größer und größer.

Ich weiß, dass ich niemals so sein kann wie sie. Ich kann nicht backen, verstehe mich nicht gut im Verkaufen und ich bin auch nicht so hübsch wie sie. Mein Portrait wird nie die Halle eines Hauses zieren und meine Erinnerung wird nicht in unzähligen Geschäften weiterleben. Ich bin ein nichts. Ich bin es nicht würdig, Kassandra Moon zu sein. Es ist nicht fair, dass ich Kassandra Moon bin.

»Ich sollte dein Pate werden, das weißt du vermutlich noch nicht.« Nein, das ist mir tatsächlich neu. »Aber ich wollte einfach weit weg von unserem Zuhause. So bin ich ihr viel näher, als dort. Hier kann ich weiter ich sein, obwohl sie fehlt. Trauer ist ein Arschloch, es greift dich an, wenn du es nicht erwartest und lässt dich niemals wieder los.« Er räuspert sich und lässt meinen Arm los, der sich auf einmal leer anfühlt. Alleingelassen. Lucian hingegen streckt seinen Rücken durch, trinkt von seiner eigenen Tasse und verwandelt sich vor meinen Augen wieder in den selbstbewussten Mann, den ich beim Betreten des Ladens sah. Nicht nur ich bin gut mit Masken, wie es scheint.

»Dieses Café ist eine kleine Hommage an deinen Vater. Wovon er noch nichts weiß, also sei bloß still. Erst wollte ich Fotos von seinem nackten Babyhintern aufhängen, aber der Nachtfanatiker wird die Idee besser finden, ein Café zu eröffnen, dass nur in den Nachtstunden geöffnet ist. Ihr Moons wärt gar nichts ohne die Nacht, was?«

Warum fand ich es nochmal so gut, herzukommen? Was eine bescheuerte Idee.

Weil ich nicht noch mehr Zeit an diesem Ort verbringen will, räuspere auch ich mich, bevor ich mein strahlendstes Lächeln aufsetze.

So viel Familiengeschichte verkrafte ich einfach nicht.

»Der Grund für mein Erscheinen hier, ist folgender ...«

Keine zehn Minuten später stehe ich vor den Türen und starre in die beginnende Nacht. Mir war nicht klar, wie viel Zeit tatsächlich vergangen ist, seitdem ich Lucian traf. Wie viel er mir erzählt hat, bevor mein Kopf automatisch auf Automatismus stellte.

Doch scheinbar wares lange, Jonas gerunzelter Stirn nach zu urteilen. »Hattest du vor, dort drin zu übernachten? Was hattest du da überhaupt zu suchen?«

»Spielt keine Rolle«, antworte ich schnell. Er trägt eine neue Jacke und ein neues Shirt, auch wenn es nicht richtig sitzt. Auch seine Sonnenbrille ist wieder an Ort und Stelle, was er heute Morgen vermieden hat, da das Auge langsam verheilt.

Ach, Jonas ...

»Ich habe Hunger.«

Sein Lächeln ist echt, als er nach meiner Hand greift. »Sehr gut, ich hab vorhin den perfekten Laden gefunden. Dann können wir auch gleich ein Ziel auf meiner Liste mit abarbeiten.«

Noch so eine Lüge.

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