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»Da muss ein Fehler vorliegen.«

»Das ist die Buchung, die uns vorliegt«, sagt der Rezeptionist zeitgleich wie Jonas sagt: »Ich habe umgebucht.«

Ein stechender Kopfschmerz macht sich hinter meinem linken Auge bemerkbar, als ich mich in Jonas Richtung drehe und ihn schweigend ansehe. Kaum waren wir im Zug, zog er seine Sonnenbrille wieder auf und schlief ein. Nur dass er vor mir wach war, lange vor mir, wie es scheint.

»Du hast umgebucht?«

Er nickt und lehnt sich mit einem Ellbogen auf den Tresen, hinter dem der Rezeptionist mit einem genervten Blick zu uns hinüberstarrt. Gut, ich wäre auch genervt, wenn zwei verknallte und naive Jugendliche ihre Beziehungsprobleme vor mir austragen würden. Nur dass wir keine Beziehungsprobleme haben und ich nicht naiv bin. Sondern einfach nur aufgebracht.

»Wieso hast du das getan?«

Ich hätte wissen müssen, dass Jonas Probleme macht. Wie habe ich das nicht erwarten können, immerhin ist Ärger doch immer vorprogrammiert, wenn man mit einem Fremden auf Abenteuertour geht.

Verdammt, ich bin ein naiver Teenager.

Der nach einer langen Zugfahrt in sein gebuchtes Zweibettzimmer kam und nur von einem Bett begrüßt wurde. Einem riesigen Doppelbett, das mich zu verhöhnen schien. Der Grund, wieso ich sofort wieder zur Rezeption rannte.

»Weil das die Aufgabe in dieser Stadt ist.«

»Mit dir in einem Bett zu schlafen?«

Lachend hebt Jonas beide Hände und hält sie vor seinem Körper, wie um mir zu präsentieren, dass er unbewaffnet ist. In diesem Moment möchte ich einfach nur zutreten. An eine Stelle, die ihm sehr wehtun würde.

Doch ich beherrsche mich, denn immerhin wurden mir Manieren und Respekt beigebracht, auch wenn das in seiner Kinderstube gefehlt zu haben scheint.

Blödmann.

»Gibt es jetzt ein Problem, das ich lösen kann?«, meldet sich der Hotelmitarbeiter wieder und Jonas verneint lächelnd, bevor er zurück Richtung Aufzug läuft, die Chipkarte zu unserem Zimmer provozierend in der Hand.

»Was hast du dir dabei gedacht?«, wiederhole ich meine Frage und sehe zu, wie er den Knopf für den Aufzug drückt.

Ich hatte mich informiert, bevor wir hierherkamen. Die Zweibettzimmer lagen im ersten Stock, die Einzelzimmer im Zweiten. Die Doppelbettzimmer im Fünften.

Fünf Stockwerke hochlaufen.

Die Vorhänge verschlossen halten.

Nicht darüber nachdenken, wie weit oben ich bin.

Ich weiß, wieso ich dieses Hotel ausgesucht hatte, wieso ich am Telefon all die nervigen Fragen gestellt habe. Meine Höhenangst ist nicht normal, das weiß ich. Sie kommt nicht nur zum Vorschein, wenn ich auf die Welt unter mir blicke, sondern auch schon, wenn ich nur daran denke. Es gibt Tage, da stört es mich nicht und es gibt Tage ... da kann ich nicht einmal einen Aufzug betreten.

»Wir sehen uns oben«, sage ich, weil von Jonas noch immer keine Antwort kommt.

Elendiger Blödmann.

Das Treppensteigen beruhigt mich jedoch soweit wieder, dass ich nicht mehr allzu wütend bin. Er hat mich vorgewarnt und gesagt, dass er einige Aufgaben hat und wenn es so etwas leichtes wie das Teilen eines Bettes ist, bin ich froh. Es gäbe weitaus schlimmere Alternativen.

»Ich verstehe zwar nicht, wieso du etwas gegen Aufzüge hast, aber das ist wohl einfach so«, sagt er, als ich das Zimmer betrete und hinter mir sorgsam verschließe. »Doch wieso du etwas gegen diesen Astralkörper haben könntest, will mir nicht in den Kopf.«

Mit der schlimmsten aller Befürchtungen drehe ich mich langsam um und kneife fest die Augen zusammen.

Bitte lass ihn nicht vollkommen nackt sein. Dafür bin ich einfach nicht bereit. Bitte.

Doch statt seinem nackten Astralkörper erwartet mich ein komplett eingekleideter Jonas, der sich sogar den Hoteleigenen Bademantel übergeworfen hat, obwohl die Temperaturen im Zimmer bei über 20°Grad liegen.

Ich gebe es nur ungern zu, doch er bringt mich zum Lachen. Schon wieder.

»Wir können auch Kissen zwischen uns lagern«, erklärt er weiter und wirft sich schwungvoll auf das riesige Bett. Sein Gitarrenkoffer lehnt neben seinem Nachttisch und selten lässt er ihn aus den Augen, als würde er einen Schatz darin herumtransportieren. Was er vielleicht auch tut, was weiß ich schon von ihm.

»Ich glaube, ich kann einem Adonis wie dir eine Nacht erfolgreich widerstehen«, erwidere ich und rolle mit den Augen, bevor ich in meiner Tasche nach dem Kulturbeutel krame, um ins Bad zu gehen.

Jonas ist ein unterhaltsamer Kerl. So schweigsam und verschlossen er auch sein kann, in anderen Momenten bringt er mich so sehr zum Lachen, dass ich das ganze Bett mit Wasser vollspucke. Die zwei Seiten einer Medaille, wir kennen sie an Menschen. Sehr gut.

Niemand ist je so, wie es auf den ersten Blick scheint. Was gar nicht so verkehrt ist. Es ist ein Schutzmechanismus. Wenn auch nicht immer, um uns vor anderen zu beschützen, sondern die anderen vor uns. Damit niemand hinter der schönen Hülle den verrotteten Kern sieht.

Everyday at 5AMWo Geschichten leben. Entdecke jetzt