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»Tag 1, oder sollte ich schreiben T-18? Wie beginnt man ein Tagebuch, von dem man weiß, dass es das letzte wird?«

Ein Schnauben entweicht mir, ehe ich das Notebook zurück in meinem Rucksack verstaue und noch einen Blick auf die Anzeige am Bahnhof werfe. Noch immer 21 Minuten. 21 Minuten, bevor ich hier endlich rauskomme, aus dieser stinkenden Stadt mit ihren stinkenden Gedanken.

Ich weiß, was ihr jetzt denken werdet. Ich bin nicht die erste Siebzehnjährige, die auf abstruse Ideen kommt und sich in etwas hineinsteigert und sich einfach nur Hilfe suchen sollte. So ist das bei mir nicht. Wirklich nicht.

Ich bin behütet aufgewachsen, habe Eltern, die mich über alles lieben. Meine Familie ist wirklich wunderbar und es hat uns noch nie an irgendetwas, besonders nicht Liebe, gemangelt. Natürlich wünschte ich mir manchmal, dass ich nicht nach meiner toten Großmutter benannt wäre, denn seien wir ehrlich: Die Erwartungshaltung an den Namen ist enorm. Immerhin hat sie das Moon-Imperium gestartet, das meine Eltern führen.

Vor ewig und dreitausend Jahren startete Kassandra, die Erste (was mich zu Kassandra, der Zweiten macht. Was amüsant ist, wenn man im Kopf behält, dass ich mich ohnehin immer wie die zweite Wahl fühle) ein kleines Café in einer kleinen Straße in unserer nicht so kleinen Stadt. Mit ihren unglaublichen Backkünsten schaffte sie es schnell, sich einen Ruf zu machen und durch ihre außergewöhnlichen Öffnungszeiten – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche – erlangte sie scheinbar ziemlich schnell zu Berühmtheit.

Dort lernte sie ihre spätere Partnerin und Ehefrau, meine Oma Skye, kennen. Richtig schön schnulzig romantisch. So wie das echte Leben eigentlich nicht ist.

Der Rest der Geschichte ist fast noch mehr Schnee von gestern. Meine Tante Pennie bekam ein Kind, legte es klischeehaft auf die Treppe des MoonHours ab, ihre Schwester Kassandra fand den kleinen Jungen und zog ihn als ihren Sohn auf. Das ist mein Vater, Elias Moon. Mit 17 lernte er meine Mutter kennen, sie verliebten sich unsterblich ineinander und tada, elf Jahre später betrete ich die Bühne. Als schreiendes rosa Kartoffelbaby, mitten in ein Familienchaos.

It's not easy being me.

Was keine Ausrede ist. Verdammt, sicherlich nicht. Ich möchte nur, dass klar ist, dass es nicht an meiner Familie liegt. Mein Wunsch nach einem endgültigen Ende.

Ich liebe sie. Ich liebe meine Tante Elisa mit ihrem untrüglichen Sinn für Gerechtigkeit. Den sie als angehende Anwältin und zukünftige Präsidentin der Welt auch haben sollte.

Ich liebe Luca und Henry, die praktisch gesehen auch meine Onkel sind, selbst wenn wir nicht miteinander verwandt sind.

Ich liebe Tante Fia, nicht nur für ihren einmaligen Modegeschmack.

Ich liebe Tante Nora und sogar ihre kleine Prinzessin Caro und ihre anderen vier Kids, selbst wenn sie mir so oft den Nerv rauben.

Ich liebe sogar meine Tante Josephine, die Zwillingsschwester meiner Mutter, auch wenn sie eine arrogante Ziege ist.

Ich liebe jeden aus meiner Familie, denn sie sind gute Menschen, die besten. Sie sind eine Herde weißer Schafe und da passe ich einfach nicht hinein, habe es noch nie. Ich steche heraus, ich passe nicht dazu. Das ist okay, damit habe ich mich abgefunden.

Manche Menschen sind einfach nicht für so etwas geschaffen.

Und mit »so etwas«meine ich das Leben.

Blöd gelaufen.

Everyday at 5AMWo Geschichten leben. Entdecke jetzt