#15

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Die Verabschiedung von Skye läuft danach reibungslos ab. Ein paar Umarmungen, ein paar Geldscheine, die mir zugesteckt werden und sogar eine Umarmung für Jonas.

Er hat zum Glück nicht mitbekommen, wie ich nach dem Telefonat mit meiner Tante Elisa heulend im Bad saß. Wäre ja noch peinlicher gewesen, wenn er jetzt wüsste, was für eine Heulsuse ich sein kann, wenn ich es eigentlich nicht will.

Trotz unserer Übereinkunft ist Jonas noch erstaunlich zurückhaltend mir gegenüber. Nicht dass ich jetzte rwartet habe, dass wir die besten Freunde fürs Leben und für immer und danach werden, wirklich nicht. Ein Teil von mir befürchtet sogar, dass er seine Vorschläge nur machte, weil er übermüdet warund vielleicht gerade von einem miesen Drogentrip runterkam. Immerhin ist es nicht unbedingt alltäglich, einer planenden Selbstmörderin auf ihrem letzten Ausflug zu folgen und selbst noch Forderungen zu stellen.

Er hat zugegeben, dass er selbst auf der Flucht ist. Wovor oder eher vor wem wollte er mir nicht verraten, was gemein ist, weil mich das nur noch viel neugieriger macht. Doch scheinbar habe ich jetzt viel Zeit, mehr über ihn zu erfahren. 16 Tage, um genau zu sein.

Am Bahnhof ist, wie erwartet, nichts los. Ein einsamer Schaffner sitzt in seinem veralteten Bahnhofshäusschen und löst Kreuzworträtsel, während Jonas den Bahnsteig auf und ab läuft. Er hat Hummeln im Hintern, soviel steht fest. Ist also so ziemlich das Gegenteil von mir.

»Wo geht es eigentlich als Erstes hin? Ich hab ja nichtmal eine Fahrkarte.« Auf einem Bein stehend bleibt er vor mir und grinst. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte er eine Meise. Verzeiht diese Ausdrucksweise, aber seine Handlungen sind nicht immer die eines zurechnungsfähigen Menschen, egal was er auch behaupten mag.

»Ich besorg dir schon ein Ticket«, murmle ich und überprüfe zum bestimmt milliardsten Mal meine Reiseroute.

Okay, vielleicht auch nur zum vierten Mal heute. Übertreibungen liegen bei mir wohl einfach in der Familie.

»Darf ich trotzdem erfahren, wohin es geht, damit ich mir Gedanken über meine Ziele machen kann?«

Also verrate ich es ihm, nenne ihm auch unseren Umsteigebahnhof und erkläre ihm, wo wir nächtigen werden, sobald wir dort sind.

Er hört aufmerksam zu, hilft mir beim Einsteigen in den Zug und schläft sofort ein, nachdem wir unser Abteil bezogen haben. Ich beneide ihn dafür. Einzuschlafen, egal wo man ist, ist ein Talent, das ich gerne hätte. Meistens schlafe ich zu wenig, wenn überhaupt.

Diana meinte mal, dass ich viel öfter bessere Laune hätte, wenn ich nur genug schlafen würde. Sie ist mitunter die Einzige, die von meinen Problemen nachts weiß, zumindest von denen, die ich kaum vor ihr verstecken kann. Selbst mit dem besten Concealer der Welt ist es an manchen Tagen unmöglich die Augenringe und Tränensäcke zu verstecken.

Auch sie vermisse ich, soviel steht fest. Der Drang, sie irgendwie zu kontaktieren, war bei Skye riesig groß, dabei wusste sie ja im Vorfeld Bescheid. Ihr war bewusst, dass ich mich nicht melden werde und was ich vorhabe - zumindest den ungefährlichen Teil. Doch es fühlt sich eigenartigan, so lange ohne sie. Wir sind unzertrennlich, schon seit so langer Zeit. Sie gehört in mein Leben, wie meine Eltern. Sie ist meine Gedankenschwester. Wir kennen uns ewig und viel länger, habe ich manchmal das Gefühl. Es ist immer einfach mit ihr, in ihrer Umgebung, auch wenn sie von meinen Ängsten nichts weiß. Das braucht sie auch nicht, sie ist trotzdem immer für mich da.

Und ich vermisse sie. Fürchterlich.

Was ich die vergangenen zwei Tage gut unterdrücken konnte, immerhin war ich laufend abgelenkt. Jetzt jedoch ist es ruhig und still und gleichzeitig viel zu laut. Zumindest in meinem Kopf. Den ich mehr hasse, als sonst etwas.

Was bin ich heute auch wieder guter Laune.

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