#17

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Ich frage Jonas viel. Über seinen Gitarrenkoffer, sein blaues Auge und seine Flucht. Nicht dass ich wirkliche Antworten bekomme. Im Verschwiegen sein ist er sogar noch besser als ich. Was mich nur weiter reizt. 15 Tage bleiben mir noch. Mehr als genug Zeit, um ihn zu knacken. Das habe ich bisher doch immer hervorragend geschafft. Bleibt nur zu hoffen, dass ich ihn nicht auch zerstöre.

Vier Minuten vor fünf Uhr klingelt der Wecker, den Jonas mir an der Rezeption ausgeliehen hat. Grummelnd dreht er sich auf die andere Seite und murmelt etwas davon, dass ich bloß nicht das Licht anmachen soll.

Vier Minuten bleiben mir, um mich auf das Gespräch vorzubereiten.

Mit Jonas in einem Bett zu schlafen, war nicht einmal seltsam, auch wenn ich das nicht erwartet habe. Mir ging es bei meinem kleinen Wuntanfall tatsächlich nur um das Stockwerk, was ich ihm nicht auf die Nase binden werde. Nicht dass er sich noch mehr darauf einbildet und am Ende denkt, dass er mich umstimmen kann, indem er meinen Freund mimt. Daran sind schon ganz andere gescheitert.

Zwei Minuten.

Ob Papa schon wartend vor dem Telefon sitzt? Ob Mama neben ihm wartet? Ob Elisa sich an ihr Versprechen gehalten hat?

So viele Fragen, die so viel Bauchweh verursachen.

Mein Leben lang war ich ein Papakind. Vielleicht weil er sich besonders große Mühe gab, was nicht heißen soll, dass Mama nicht immer für mich da war. Sie hat genauso viel Zeit mit mir verbracht, hat mir Gutenachtgeschichten erzählt, mir Suppe gekocht, wenn ich krank war und mich zur Schule gefahren, wenn ich den Bus verpasst habe.

Sie war eine gute Mutter. Ist eine gute Mutter.

Aber wir passen nicht zusammen, haben wir noch nie. Und das ist doch normal so. Viele Kinder haben ein Lieblingselternteil, so wie alle Eltern ein Lieblingskind haben, ob sie es zugeben oder nicht. Zwischen manchen Menschen ist die Bindung einfach größer als zu anderen. Daran ist nichts verkehrt.

Dennoch zittern meine Finger, während ich die Nummer meines Zuhauses eingebe. Keine Ahnung, was mich gleich erwartet. Was ich mir erhoffen oder befürchten soll.

»Kassandra Moon, du steckst wirklich in großen Schwierigkeiten.«

Ob er weiß, wie sehr nach Skye er klingt? Bestimmt nicht. Solche Dinge fallen Kindern nie auf. Sie sehen nicht, wie ähnlich sie ihren Eltern sind, wie gleich sie geworden sind.

»Es ist eine Sache, einfach abzuhauen und eine andere, uns diesen Schreck einzujagen und diesen abscheulichen Brief zu hinterlassen.«

Für den Brief habe ich Tage gebraucht. Er sollte ein Abschiedsgeschenk sein, ohne es zu sein. Niemand sollte wissen, was mein Plan ist und gleichzeitig musste ja ein Schlussstrich rein. Schwierig, selbst für eine Autorin.

»Wir machen uns Sorgen um dich, Kleines, das verstehst du sicher. Was nicht heißt, dass du zurückkommen musst, okay? Ich verstehe, dass du losgefahren bist und ich respektiere deine Entscheidung, auch wenn ich mir etwas anderes gewünscht hätte. Ich dachte, wir könnten reden, wenn etwas falsch läuft oder du Abwechslung brauchst, aber es ist okay, Kleines. Schatz, es ist okay. Wir möchten nur, dass du wieder heil nach Hause kommst, in guten Hotels schläfst und nicht zu Fremden ins Auto steigst. Hörst du?«

Der Drang, ihm zusagen, dass ich nicht mehr nach Hause komme und dass er sich jetzt von mir verabschieden muss, wächst. Scheiße, was wächst er.

Ich hatte einen Plan, verdammt. Ich hinterließ einen beschissenen Brief, weil ich solche Unterhaltungen vermeiden wollte. Da hätte ich mich gleich zuHause umbringen können, nach meinem Geburtstagsessen. Nein, ich fuhr weg, um so etwas zu vermeiden. Damit ich dem aus dem Weg gehen konnte.

Fuck.

Wieso muss ich schon wieder heulen.

»Papa«, bringe ich hervor und versuche verzweifelt das Schluchzen in meiner Kehle zubehalten. Er darf nicht mitbekommen, wie kaputt ich bin. Er darf nicht die bröckelnde Maske erahnen, sonst bin ich geliefert. Er darf nicht sehen, was ich zu verstecken versuche.

»Papa, ich bin okay. Ich bin bald wieder zu Hause, das weißt du doch.«

Er atmet aus. Erleichtert, nehme ich an. Ob er weint? Ob er geweint hat?

»Wenn du Probleme hast oder Angst oder Geld brauchst, wir sind da, okay? Kleines, sag mir bitte, dass du auf dich aufpasst. Sag mir, dass du auf dich achtgibst und wir dir helfen dürfen. Du warst immer so selbstständig, das hat Jo immer verrückt gemacht. Nie wolltest du unsere Hilfe annehmen, dabei sind wir doch dafür da. Lass uns für dich da sein, wenn es nötig ist, ja? Nur dann, versprochen. Wir lassen dir deinen Freiraum, aber das musst du mir versprechen.«

Seine Monologe bringen mich immer mehr zum Weinen, was ich nicht mehr verstecken kann. Oder will. Was solls, soll mein Vater eben hören, dass seine Worte mich berühren. Ist ja nichts schlimmes. Ich bin auch nur ein Mensch mit Gefühlen und ... Gedanken und ...

»Ich hab dich lieb«, bringe ich hervor und lege auf, bevor eine Antwort kommen kann.

Ich will das doch auch alles nicht mehr. Ich will nicht immer weglaufen müssen oder den Drang dazu verspüren. Ändern kann ich es nicht, egal wie sehr ich es versuche. Am Ende des Tages sind die Dämonen in meinem Kopf immer stärker. Immer.

»Kommst du wieder ins Bett?«, nuschelt Jonas.

Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass ich vom Bett gerutscht bin und seine Frage bringt mich zum Schmunzeln.

»Gut dass du dir ein 'Schatz' verkniffen hast.«

»Doch nicht in der ersten Nacht. Das kommt, wenn du mir restlos verfallen bist. Also spätestens morgen.«

Obwohl ich es nicht will, rutsche ich näher an ihn heran und genieße die Körperwärme.

Nein, ich werde ihm nicht verfallen. Wenn ich mir einer Sache sicher bin, dann dieser. Denn Menschen, die mir etwas bedeuten, kommen ja doch nur zu Schaden. Und Jonas ist einfach nicht mein Typ.

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