24. Kapitel

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 Stella P.O.V.

Heute hatte ich es endlich geschafft. Das, was keiner mehr für möglich gehalten hätte, hatte ich allen bewiesen und konnte nun endlich wieder stolz auf mich sein. Wenigstens das bisschen Freude war mir gegönnt!

Im Training hatte der Trainer mal wieder so sehr mit mir herumgeschrien, dass ich am liebsten weggerannt und nie wieder zurückgekommen wäre. Da ich aber wusste, dass das nicht möglich war, hatte ich zurück geschrien, er solle gefälligst nicht so mit mir reden und stattdessen auf seine Stoppuhr drücken, und war losgeschwommen. Und was dabei rausgekommen war, war meine absolute Bestzeit. Niemand hatte damit gerechnet, dass ich nach der Pause so schnell wieder auf mein Niveau zurückkehren würde. Und dass ich es jetzt sogar getoppt hatte, bewieß, dass sie mich unterschätzt hatten. Aus pädagogischen Gründen, wie der Trainer sagte, hatte ich danach noch länger trainieren müssen als normalerweise, aber heute war es mir egal. Ich war trotzdem glücklich, denn ich war offenbar doch noch zu etwas zu gebrauchen, auch wenn das keiner von mir erwartet hatte. Zufrieden lehnte ich mich auf der Couch, auf der ich es mir gemütlich gemacht hatte, zurück. Meine Eltern waren nicht zu Hause, und ich konnte tatsächlich mal den Fernseher, den ich zu meinem dreizehnten Geburtstag bekommen hatte, einschalten. Ich zappte durch die Programme und stoppte bei einer Talkshow. Gerade war ein erfolgreicher Tennisspieler im Studio und redete über seine Karriere. Entspannt sah ich mir das Interview an, während ich Chips aß. Echte Chips. Das hätte ich früher nie gemacht, aber ich hatte heute das dringende Bedürfnis, irgendetwas anders zu machen als vorher. Bevor ich mir meine kleine 'Auszeit' genommen hatte.

Als der Sportler im Fernsehen das Studio verlassen hatte, wollte ich umschalten, doch in dem Moment sagte der Interviewer: „Und nun, meine Damen und Herren, haben wir etwas Besonderes für Sie, denn zum ersten Mal seit ihrer Pause dürfen wir die Boyband One Direction wieder in der Öffentlichkeit begrüßen. Nachdem ihr wohlverdienter Urlaub nicht ganz so ruhig verlief, wie sie es sich vorgestellt hatten, haben die fünf Jungs einem Interview zugestimmt. Einen großen Applaus also für One Direction!“ Mir fiel die Fernbedienung aus der Hand. Sie waren doch in ihrem kleinen Ferienhaus, nicht weit von hier! Was taten denn jetzt sie im Fernsehen? Wie erstarrt beobachtete ich den Bildschirm, unfähig, mich zu bewegen. Das Publikum fing an zu applaudieren, als die fünf das Studio betraten. Meine Finger krallten sich in die Sofalehne. Sie waren es tatsächlich. Alle fünf. Liam, der dem Interviewer freundlich die Hand reichte, Zayn, der dem Publikum zuwinkte, Niall, der über seine eigenen Füße stolperte, Louis, der schelmisch ins Publikum grinste, und … Harry, der einfach Harry war. Ich hielt die Luft an. Er lächelte sein typisches Harry-Styles-Lächeln, mit dem er die halbe Welt um den Finger gewickelt hatte. Ich schloss die Augen und schüttelte heftig den Kopf. Warum zum Teufel hatte ich diese Jungs so sehr zu vergessen versucht, wenn sie so leicht wieder alles zunichte machen konnten? Sie hatten noch nicht einmal angefangen zu reden, aber als ich in die vertrauten Gesichter sah, kam alles wieder zurück, was ich hatte verdrängen wollen. Der Interviewer fing an zu reden und ich lehnte mich nach vorne, um besser zu sehen. Das Bild verschwamm allerdings vor meinen Augen. Wütend wischte ich die Tränen weg, die sich in meinen Augen gebildet hatten, und schluckte, damit der Kloß aus meinem Hals verschwand. Das führte allerdings zu noch mehr Tränen.

Dort saßen sie alle nebeneinander auf einem Sofa. Harry hatte sich immer über dieses obligatorische, viel zu kleine Sofa in One-Direction-Interviews lustig gemacht. Nun saß er wieder dort. Ich starrte ihn an. Es war seltsam, ihn durch den Fernsehbildschirm zu sehen. Es gab mir einen unangenehmen Stich ins Herz. Ich wusste nicht, wieso, aber ich wusste, dass dieser Stich Eifersucht bedeutete. Eifersucht auf all diejenigen, die jetzt, genau wie ich, vor dem Fernseher saßen und sich dieses Interview ansahen. Ich wusste, dass es albern war, aber ich war es nun einmal gewohnt, dass Harry nur für mich da war. Das war gewesen, bevor ich abgehauen war. Sobald ich nur die kleinste Geste in seine Richtung gemacht hatte, war er sofort darauf eingegangen und war mir entgegengekommen. Er hatte sich immer um mich gesorgt, wenn es mir nicht so gut ging, und hatte darauf geachtet, dass es mir bei ihnen gefiel. Er hatte mich zum Lachen gebracht und er hatte mit mir hitzige Diskussionen geführt. Er hatte mit mir so viel Zeit verbracht, wie noch nie ein anderer Mensch in meinem Leben und hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als ich nach Louis' Eifersuchtsnummer wieder zu ihm zurückgekommen war. Kurz gesagt, er war immer für mich da gewesen, bedingungslos. Etwas, was sonst kein anderer für mich tat. Und ich hatte alles versaut und diese Freundschaft einfach weggeworfen, als wäre sie nichts wert gewesen. Und als ich jetzt darüber nachdachte, merkte ich, was für eine riesengroße Scheiße ich gebaut hatte. Ich schluchzte unwillkürlich auf und konnte nicht anders, als mir vorzustellen, wie mein Leben jetzt wäre, wenn ich dort geblieben wäre. Es wäre so viel besser. Denn der feine Unterschied zu meinem jetzigen Leben war: bei ihnen hatte ich Freunde gehabt. Echte Freunde. Leute, die freiwillig Zeit mit mir verbracht hatten, obwohl es nicht zu ihrem eigenen Zweck war. Ich begriff, dass es das war, was mich bei ihnen so glücklich gemacht hatte. Die Zuneigung von anderen Menschen. Ich fing an, still vor mich hin zu weinen und versuchte, die Schluchzer zu unterdrücken, aber bei jedem Mal schüttelte es meinen ganzen Körper und ich drückte mit den Fäusten gegen meine pochenden Schläfen. Dann wischte ich mir mit der Hand über das nasse Gesicht und versuchte zu erkennen, was im Fernseher vor sich ging, aber ich konnte immer noch nichts sehen. Ich saß hier vor meinem Fernseher, und musste Harry mit tausenden anderen Mädchen teilen, die sabbernd vor dem Fernseher saßen und ihn anhimmelten obwohl sie ihn noch nicht einmal kannten. Ich wusste, dass ich kein Anrecht auf ihn hatte, aber mein Verstand bildete es sich trotzdem ein. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, irgendetwas zu zerstören. Ich griff nach der Fernbedienung und wollte sie in den Bildschirm werfen, traf ihn aber nicht. Die Fernbedienung krachte gegen die Wand und zersprang in ihre Einzelteile. Ich starrte auf den Bildschirm und schluchzte auf. Vor fünf Minuten war noch alles okay gewesen, und nun hatte ich das Gefühl, dass ich alles, einfach alles in meinem Leben falsch gemacht hatte. Ich sah, wie Liam anfing zu reden, und versuchte, mich zu konzentrieren. Immerhin wollte ich wissen, was sie zu sagen hatten. „ … alles okay bei uns. Wir genießen unseren Urlaub und die freie Zeit, die wir haben“, sagte er gerade. Ich unterdrückte mit aller Mühe einen weiteren Schluchzer. Ich wollte das nicht hören! Dort war also alles wie vorher. Als ich noch ein Teil davon gewesen war. „Wie wir aber alle wissen, ist euer Haus entdeckt worden. Und wir wissen auch, dass das alles andere als Ruhe für euch bedeutet. Was sagt ihr dazu?“, fragte der Interviewer und ich starrte ihn an. Das Haus war entdeckt worden? Harry und Niall sahen zu Boden, Louis nickte grimmig und Zayn fing an, mit den Fingern auf die Sofalehne zu trommeln. Harry, der neben ihm saß, stieß ihm in die Seite, und Zayn hörte schnell wieder damit auf. Liam war der Einzige, der ganz professionell antwortete. Er sagte: „Wir mussten natürlich Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Wir haben nun Bodyguards um das Haus herum und können leider nicht mehr vor die Tür gehen. Trotzdem versuchen wir, den Urlaub so gut wie möglich zu genießen."

Louis ließ ein sarkastisches Lachen hören und alle Köpfe drehten sich zu ihm um. In seinem Blick funkelte etwas, das nichts Gutes bedeuten konnte. „Möchtest du dazu vielleicht etwas sagen?“, fragte der Interviewer. „Nein, aber vielleicht hat Niall etwas zu sagen“, sagte Louis und fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. Ich musste fast grinsen. Keiner konnte solch eine pure Provokation ausstrahlen wie Louis Tomlinson. „Eigentlich wollte ich nichts sagen, aber da mein netter Kumpel hier offenbar so scharf darauf ist, werde ich jetzt sagen, was ich von der Situation halte“, meinte Niall. Er holte tief Luft und rutschte vor, bis er nur noch auf der Kante des Sofas saß. „Also gut, hört es euch an. Ich finde es ziemlich scheiße, dass die Leute, die den ganzen Tag vor unserem Haus für Prügeleien mit den Bodyguards sorgen und praktisch dauerhaft Hausfriedensbruch begehen, uns nicht einmal in unserem Urlaub in Ruhe lassen können. Wahrscheinlich würde ich ihre brutale Jagd auf ein Foto von uns verstehen, wenn wir das halbe Jahr Ferien machen, in den Partymetropolen dieser Welt umherreisen und nichts arbeiten würden. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Das sind nicht einfach nur Ferien, das ist eher so etwas wie Zwangsbeurlaubung. Sämtliche Ärzte und Psychologen haben uns diesen Urlaub praktisch aufgezwungen, er hat also einen triftigen Grund. Wir haben die letzten drei Jahre durchgearbeitet, wir haben alles getan, was in unseren Kräften lag, und sogar noch mehr. Deshalb musste diese Pause sein, wir hätten einfach nicht länger durchgehalten. Alles, was die Leute tun, ist allerdings, dieses bisschen Ruhe zu zerstören, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Ich habe eine Bitte: wenn Ihr uns die Pause nicht gönnt, respektiert uns doch bitte genug, um nicht auf unserem Grundstück für solch ein Geschrei und Hektik zu sorgen. Wir haben zur Zeit mit genug anderen Problemen zu kämpfen.

Wir versuchen immer, unseren Fans so viel zu geben, wie in unserer Macht liegt. Gebt uns doch bitte, bitte ein wenig zurück und gönnt uns die restliche Zeit unserer Ferien Ruhe. Danach werde ich mich auch nie wieder beschweren. Und an diejenigen, die jetzt sagen, dass ich überreagiere: seid einfach ruhig, wenn es um Sachen geht, von denen ihr keine Ahnung habt. Ihr habt nicht die geringste Ahnung, wie es ist, wenn dir selbst das kleinste bisschen Privatsphäre in deinem Leben genommen wird. Wenn jeder einzelne Mensch auf dieser Welt das Gefühl hat, besser über dein Leben urteilen zu können als du selbst. Wir waren sechzehn beziehungsweise siebzehn, als wir anfingen, unser Leben in der Öffentlichkeit zu leben, und in diesem Alter macht man viel Scheiß. Wir konnten uns das nie erlauben. Ich bin jetzt zwanzig, und laut der Ärzte ist das immer noch zu jung für solch einen gesellschaftlichen Druck. Ich will wirklich nicht, dass wir abstürzen, wie wir es bei anderen jungen Stars erleben mussten.

Wisst ihr, wenn Ihr uns wenigstens als Menschen sehen könntet, wäre das schon sehr nett. Ich verlange gar nicht, dass ihr uns als Teenager seht, denn das wäre wahrscheinlich zu viel verlangt. Seht uns aber wenigstens als menschliche Wesen an, die ab und zu einen Fehler machen und die auch mal ihre Ruhe brauchen. Wir haben unsere komplette Teenagerzeit durchgearbeitet und haben uns nie beschwert. Versteht mich nicht falsch, wir lieben unsere Arbeit. Aber irgendwann kommt jeder an sein Limit, und das haben wir leider, leider überschritten.“   

Von einem verrückten Sommer, fünf wundervollen Idioten und einer Menge ChaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt