3. Kapitel

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Stella P.O.V.

Ich saß auf meinem Bett und stützte den Kopf in meine Hände. „Ich werde nicht rausgehen, wenn sie mich rufen!“, sagte ich mir immer und immer wieder. „Nicht rausgehen, auf gar keinen Fall!“ Ich atmete tief durch und begutachtete meinen verletzten Fuß, der furchtbar schmerzte. Ich würde nicht zum Training gehen, ich würde mich einfach weigern. So einfach war das. Jeder konnte mal das Training ausfallen lassen. „Stella!“, hörte ich meine Mutter rufen. „Nein“, sagte ich laut zu mir selbst und kniff so fest die Augen zusammen, dass mir schwindelig wurde. „Stella, komm sofort runter“, schrie meine Mutter und hörte sich schon nicht mehr ganz so freundlich an. „Ich kann nicht ins Training gehen“, flüsterte ich mit zitternder Stimme, „es tut so weh.“ „STELLA“, schrie mein Vater. Ich stand auf. Ich hatte sowieso keine Wahl. Langsam humpelte ich die Treppe herunter und trat in die Wohnzimmertür. Meine Eltern saßen auf dem Sofa, meine Mutter hatte ein Buch in der Hand und mein Vater arbeitete. Ich sah auf den Boden. „Stella, ich möchte, dass du in Zukunft sofort kommst, wenn man dich ruft“, sagte meine Mutter wütend. „Ja“, murmelte ich. „Wo ist deine Tasche, du gehst jetzt zum Schwimmtraining“, sagte mein Vater und musterte mich streng durch seine Brille. Ich sah wieder auf den Boden. „Wo ist deine Tasche?“, fragte er etwas lauter. „Ich … ich kann heute nicht ins Training gehen“, sagte ich zögernd, ohne meine Eltern anzugucken. Meine Mutter sah von ihrem Buch auf. Sie seufzte übertrieben laut. „Stella, ich dachte, wir hatten besprochen, dass du trotz deiner kleinen Verletzung schwimmen gehst“, sagte sie und mir schossen die Tränen in die Augen. „A-aber es tut z-zu weh“, stotterte ich und traute mich immer noch nicht, einem von ihnen in die Augen zu sehen. Mein Vater erhob sich und ich zuckte unwillkürlich zusammen. „Ich möchte, dass du jetzt auf der Stelle deine Tasche holst und dich auf den Weg zum Schwimmtraining machst. Du weißt ebenso gut wie ich, dass du dir so einen Aussetzer nicht leisten kannst, wenn du auf internationaler Ebene mithalten willst, und daher verbiete ich dir, das Training heute ausfallen zu lassen“, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch erlaubte. Ich traute mich nicht, etwas zu sagen und mir lief eine Träne über die Wange. Im Training würden sie mich wieder treiben und überfordern und ich würde das heute nicht aushalten. Nicht, nachdem ich eine Treppe heruntergefallen war und mit meinem verletzen Fuß noch nicht einmal richtig laufen konnte. Ich biss die Zähne zusammen, dann sagte ich langsam: „Ich habe mir überlegt, dass ich vielleicht zu einem Arzt gehen sollte.“ Sofort bereute ich es. „Ich möchte, dass du auf der Stelle in dein Zimmer gehst, deine Tasche holst und zum Training gehst“, schrie mein Vater und ich fing leise an zu weinen. Meine Schläfen pochten und das Wohnzimmer verschwamm vor meinen Augen. „Aber vielleicht kann ein Arzt besser sagen, wie mein Fuß am schnellsten wieder gesund wird“, versuchte ich es nochmal, und meine Mutter knallte ihr Buch auf den Tisch. „Deinem Fuß geht es bestens, hör jetzt auf der Stelle auf, so ein Theater zu machen oder wir müssen andere Maßnahmen ergreifen“, zischte sie durch die Zähne hindurch und ich bekam eine Gänsehaut. Ich schluchzte auf, drehte mich energisch um, und in dem Moment passierte es. Ich blieb mit meinem T-Shirt-Zipfel an der Vase auf dem Tisch neben mir hängen und wie in Zeitlupe sah ich, wie ich sie mit zu Boden riss. Mir stockte der Atem. Diese Vase war verdammt teuer gewesen. Meine Mutter liebte sie und behandelte sie wahrscheinlich liebevoller als mich, und ich Idiot hatte sie gerade tatsächlich auf den Boden geschmissen! Unter lautem Scheppern zerbrach sie in tausend Scherben und entsetzt schlug ich die Hand vor den Mund. Scheiße. Ich sah meinen Vater auf mich zukommen. Ich machte einen Schritt rückwärts. Er kam noch weiter auf mich zu und ich duckte mich. In seinem Gesicht lag der pure Zorn. Dann hob er die Hand und ich wusste, dass er mich gleich schlagen würde. Das war der Moment, in dem ich mich umdrehte und wegrannte. Ich weiß nicht, wie ich es mit meinem verletzten Fuß geschafft habe, durch den Flur, die Treppe hoch und in mein Zimmer zu rennen, als nächstes erinnere ich mich, dass ich den Schlüssel gedreht und hinter der Tür zusammengebrochen bin. Ich heulte und schlug die Hände vors Gesicht, während mein Vater von außen gegen die Tür hämmerte und mich zwingen wollte, wieder aufzuschließen. Ich saß eine Weile auf dem Boden, dann richtete ich mich langsam auf und fing an zu überlegen. Was sollte ich tun? Was konnte ich machen, damit mein Vater nicht mehr sauer auf mich war? Aber als ich darüber nachdachte, wurde ich plötzlich unendlich wütend. Meine Eltern behandelten mich wie ein Stück Dreck. Ich war nur Mittel zum Zweck, ein willkommenes Instrument, um die Schwimmkarriere, die mein Vater nie auf die Reihe bekommen hatte, für ihn zu führen. Warum gingen Eltern so mit ihrem Kind um? Und jetzt hatte er mich auch noch schlagen wollen. Ich gab einen erstickten Laut von mir. Wie in Trance stand ich auf, zerrte meine Sporttasche aus dem Schrank und warf alles mögliche hinein, ohne darauf zu achten, was. Wahrscheinlich stand ich unter Schock oder so, jedenfalls bekam ich nicht mit, was mein Vater vor der Tür brüllte oder wie lange er da draußen stand, ich warf einfach immer mehr Sachen in meine Tasche, bis sie voll war. Dann zerrte ich am Reißverschluss, und als er nicht direkt zu ging, ließ ich ihn einfach offen. Ich zog mir meine Jacke an und biss die Zähne fest zusammen, als ich meinen Schuh über den angeschwollenen Fuß zerrte. Einen Moment stand ich still mitten im Raum, aber es gab nichts mehr zu tun. Vorsichtig öffnete ich das Fenster und kletterte auf das Fensterbrett. Obwohl mein Zimmer im Erdgeschoss lag, fühlte mein Fuß sich an, als hätte ich tausend Nadeln hinein gerammt, als ich auf der Straße landete. Ich wischte mir mit der Hand über die Augen und machte mich auf den Weg. Keine Ahnung, wohin ich lief.

Zayn P.O.V.

Fast alle waren mit Faulenzen beschäftigt. Paul hatte von irgendwoher Liegestühle besorgt und die anderen hatten sich darauf gestürzt wie die Raubtiere auf ihr Essen. Aber ich hatte keine Lust, herumzuliegen. Ich hatte so lange im Flugzeug gesessen, ich brauchte jetzt etwas Bewegung. Also zog ich meine Laufschuhe an, ging nach draußen und drückte Perrie einen Kuss auf den Mund. „Ich gehe ein bisschen joggen“, sagte ich und mein Blick blieb an ihren blauen Augen hängen, die in der Sonne strahlten. Ich musste unwillkürlich lächeln. „Tu das, aber sei rechtzeitig zurück, sonst isst dir noch jemand von deinen verfressenen Freunden die Pizza weg“, sagte sie grinsend. „Ich bleibe nicht zu lange“, versprach ich, dann lief ich los. Ich genoss die Stille im Wald und lauschte den Vögeln, die sich gegenseitig auf ihre Rufe zu antworten schienen. Ich kannte mich nicht aus in dem Wald, vertraute aber einfach darauf, dass ich den Weg zurück finden würde. Es fühlte sich gut an, die Muskeln zu beanspruchen und ich erhöhte mein Tempo. „Schneller, Zayn“, feuerte ich mich an und legte nochmal an Tempo zu. Ich lächelte. „Mal sehen, wie lange du das Tempo durchhältst“, forderte ich mich selbst heraus.

Stella P.O.V.

Nach einiger Zeit hörte ich auf, immer weiter zu laufen und kniff die Augen zusammen. Was machte ich eigentlich? Mein Fuß schmerzte so sehr, dass ich fast nicht mehr auftreten konnte und ich wusste nicht, wo ich war. Ich war in einen Wald gelaufen, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich hier hereingekommen war, geschweige denn, wie ich wieder herauskommen sollte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzulaufen. Ich biss die Zähne zusammen, und zwang meinen Fuß dazu, weiter zu humpeln. Mit jedem Schritt wurde der Schmerz schlimmer und breitete sich nach und nach in meinem ganzen Bein aus. Ich fing wieder an zu weinen, wegen dem Schmerz und aus Verzweiflung. Wie sollte ich hier je wieder heraus finden? Unter Tränen lief ich weiter und meine Tasche rutschte mir wieder und wieder von der Schulter. Wütend zog ich sie immer wieder nach oben. „Scheiße, scheiße, scheiße“, fluchte ich. Es war kein Mensch in der Nähe. „Was mache ich, wenn ich hier nie wieder raus finde?“, dachte ich und stolperte im selben Moment über meine eigenen müden Füße. Ich konnte mich gerade noch mit den Ellenbogen auffangen und meine Tasche fiel mir von hinten auf den Kopf und schlug ihn nach unten. Wütend schluchzte ich auf. Ich drehte mich auf den Rücken und richtete meinen Oberkörper auf. Meine Ellenbogen brannten, aber das war mir egal. Viel schlimmer war, dass ich es nicht mehr schaffte, aufzustehen. Ich suchte in der Tasche nach meinem Handy, aber das hatte ich natürlich nicht mitgenommen. Resigniert schmiss ich meine Tasche in den Dreck, vergrub das Gesicht in den Händen und wartete darauf, dass mich irgendjemand rettete oder dass ein Tier mich auffraß oder was auch immer passiert, wenn man alleine im Wald liegt und sich nicht mehr bewegen kann.

Von einem verrückten Sommer, fünf wundervollen Idioten und einer Menge ChaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt