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"Ungewöhnlich gut für die erste Operation.", lobt Dr. Ricks mich, kurz nachdem wir den Saal verlassen haben. Ich lächle.

"Vielen Dank."

Die Operation verlief ohne Komplikationen und ich wusste die ganze Zeit was ich tun muss. Vielleicht bin ich doch für diesen Beruf gemacht. Mein erster Patient ist gestorben, aber mein zweiter hat überlebt. Ich gehe dorthin, wo der erste Arbeitstag angefangen hat und ziehe mich schnell um. Dann nehme ich meine Tasche und verlasse das Krankenhaus. Es ist spät und ich muss morgen früh raus. Die Umstellung von Uni zu Berufsleben ist nicht gerade einfach, vor allem wenn man keinen Schlafrhythmus mehr hat. Draußen fängt Tobias mich ab.

"Ich hab die OP von der Galerie aus gesehen. Das war wahnsinnig gut. Und weißt du was? Ich bin so froh, dass sie nicht mich genommen haben."

"Wieso das denn? Vorhin wolltest du sie doch noch unbedingt haben."

"Die Ärzte oben haben Wetten darüber abgeschlossen, wann du einen Fehler machst und welchen Fehler du machst. Diese Anfängeroperation ist einfach nur dazu gedacht den Anfänger vorzuführen und uns zu zeigen, dass wir hier nichts sind. Quasi der Abschaum unter den Ärzten.Und du hast denen einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht."

Deshalb wollte Alex mich also warnen. Weil er Angst hatte, dass sich alle über mich lustig machen. Nur zu gut, dass ich weiß was ich tue. Ich brauche seine Hilfe nicht. Zum ersten Mal fühlt es sich so richtig so an, als hätte ich endlich die volle Kontrolle über mein Leben. Ich habe alles im Griff. Tobias begleitet mich zu meinem Auto. Ein paar Autos entfernt steht Alex an seinem Auto und beobachtet uns. Ich sehe schnell weg, aber Tobias bemerkt es.

"Wieso ist er hier? Hast du mit ihm gesprochen?", fragt er.

"Er hat zwei Mal versucht mit mir zu reden. Angeblich hat er das Krankenhaus nicht gewechselt, weil er das ja mit mir machen wollte."

"Schaffst du das?"

"Das muss ich wohl. Aber es gefällt mir hier. Mach dir keine Sorgen."

"Okay. Aber wenn er dich belästigt, sag mir Bescheid." Ich muss lachen, verspreche ihm aber dass ich das Angebot wahrnehmen werde. Er fährt sich einmal durch die Haare. Eine Geste, die ich früher an ihm geliebt habe. "Ich mache mich dann mal auf den Weg. Darf.. Darf ich dich umarmen?"

"Natürlich.", antworte ich lächelnd. Es folgt eine kurze Umarmung. Es ist merkwürdig, aber gleichzeitig so vertraut. Ich lächle Tobias noch einmal an, dann steige ich in mein Auto. Ich muss wohl oder übel an Alex vorbeifahren, versuche aber nicht hinzusehen.

Eigentlich wollte ich Kate gleich noch anrufen, dann beschließe ich aber direkt zu ihr zu fahren und ihr alles zu erzählen. Lina müsste mittlerweile im Bett sein und ich muss ja nicht lange bleiben. Ich parke vor dem Haus und schreibe Kate eine SMS, damit mein kleines Patenkind nicht durch mein Klingeln geweckt wird.

"Hi, komm rein."

Ich folge Kate ins Wohnzimmer. Dean sitzt auf der Couch und sieht fern. Auf dem Tisch steht das Babyphone und eine Schüssel Chips.

"Hey, Dean." Ich lasse mich in den Sessel sinken.

"Hi. Wie war dein Tag?"

"Naja. Und bei euch?"

"Langweilig."

"Lina schläft nicht durch und deshalb sind wir oft so müde, dass wir nichts mehr großartig machen können wenn Dean von der Arbeit kommt.", erklärt Kate und drückt kurz Dean's Hand.

"Und welche spannenden Fälle hattest du heute?", fragt Dean.

"Einen, der dann gestorben ist und einen Blinddarm. Die haben mir die Anfänger-OP gegeben und später habe ich herausgefunden, dass die mich nur vorführen wollten. Aber leider haben die nicht damit gerechnet, dass ich es schaffe eine Appendektomie ohne Probleme durchzuführen.", erzähle ich.

"Hört sich nach netten Leuten an. Und was hatte es mit dem Toten auf sich?"

Ich erzähle den beiden alles. Von Anfang bis Ende. Von Dr. Ricks, von dem Patienten und von Alex. Als ich fertig bin ist die Chipsschüssel leer.

"Alex hat das Krankenhaus nicht gewechselt?", fragt Dean. Ihm steht die Überraschung ins Gesicht geschrieben.

"Kommst du damit klar?"

"Ich weiß nicht. Er will mit mir reden, aber ich will das nicht mehr. Der Mann hat mich ein Jahr lang nur verarscht."

"Ich weiß. Aber irgendwie kann ich das alles nicht glauben. Er muss verdammt gut lügen können. Ich war wirklich der festen Überzeugung, dass er dich über alles liebt und überleg mal, er ist dir noch nachgelaufen.", sagt Kate.

Sie hat ihre ganz eigene Meinung zu Alex. Auch wenn sie auf meiner Seite ist, kann sie das Ganze einfach nicht richtig glauben.

"Er meinte, dass ich noch nicht alles weiß. Aber ich glaube ich will es nicht wissen. Wenn es noch schlimmer ist.. Mir geht es gerade erst wieder gut und ich will, dass das so bleibt. Ich will mich auf meine Karriere konzentrieren."

"Vielleicht solltest du erst noch warten und dann kannst du später immer noch mit ihm reden.", schlägt Dean vor. Ich nicke.

Als Lina sich durch das Babyphone bemerkbar macht, beschließe ich mich auf den Weg nach Hause zu machen. Es ist zwölf Uhr, als ich endlich im Bett liege. Ich bin total erschöpft und die Tatsache, dass ich bereits um sechs wieder aufstehen muss bereitet mir nicht die beste Laune. Aber immerhin ist es sechs Uhr und nicht fünf oder sogar vier. Ich weiß nicht ob ich die Länge der Schichten überstehen werde.

Aber ich bin auch gespannt darauf, was der neue Tag bringt. Wie oft ich Alex wohl zurückweisen muss? Und wie werden die anderen morgen drauf sein, jetzt wo sie wiesen, dass ihre komische Aktion mich nicht bloß stellen konnte? Aber vielleicht lässt Ricks mich ja auch öfter operieren. Er hat zwar die mieseste Laune und ist nicht gerade nett, aber wenn ich weiterhin freundlich bleibe und ihn mit meinen Leistungen beeindrucke, könnte er ja von mir überzeugt sein. Ich muss einen Weg finden mit ihm klarzukommen. Und ich muss einen Weg finden, Alex von mir fernzuhalten.

Es ist halb eins, als ich endlich schlafe. Und es ist halb vier, als mein Pieper mich wieder aus dem Schlaf reißt.

Code Gelb.

DoctorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt