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Heiligabend

"Was bedrückt dich?", fragt Alex. Es ist die selbe Situation wie gestern. Ich liege und sehe aus dem Fenster, Alex hält meine Hand und sieht mich an. Die Schneeflocken fallen unaufhörlich. Es ist der wahrscheinlich schönste Winter seit langem und ich verbringe die Zeit im Krankenhaus. Ich würde viel lieber Schneespaziergänge machen, Glühwein trinken und am Kamin sitzen und ein Buch lesen.

"Es ist Heiligabend. Irgendwie habe ich mir das alles anders vorgestellt."

Alex drückt erneut meine Hand. "Ich weiß."

Ich berühre kurz seine Wange, dann drehe ich den Kopf seufzend wieder zum Fenster. Traurig sein bringt nichts, das weiß ich, aber ich kann die Gedanken nicht einfach verwerfen.

"Nächstes Jahr machen wir alles, was in diesem Jahr nicht geht, okay?"

"Okay. Aber bitte nicht Schlittschuhlaufen, das kann ich nicht."

Alex lacht, willigt aber letzendlich ein. Ich stimme in sein Lachen ein. Dann fange ich an zu weinen. Es ist erst ein leises Schluchzen, gefolgt von einem Meer aus Tränen. Und Wut. Wann bin ich so schwach geworden? Seit wann weine ich wegen jeder Kleinigkeit?

"Melissa..."

Alex zieht mich vorsichtig in seine Arme. Ich umklammere seinen Oberkörper, meine Hände krallen sich in seinem Hemd fest. Er streicht sanft über mein Haar. Das Heimweh, die Schmerzen, die Wut und die Trauer zerreißen mich und währenddessen hält er mich einfach fest. Als ich wieder einigermaßen klar denken kann, löse ich mich sanft.

"Tut mir leid. Ich wollte gar nicht weinen. Ich weiß gar nicht was mit mir los ist."

"Du musst dich nicht entschuldigen."

Ich lasse mich wieder in die Kissen sinken und versuche mir die letzten Tränen von den Wangen zu wischen. Alex streicht noch eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und lehnt sich anschließend ebenfalls zurück. Eine Weile sehen wir beide aus dem Fenster. Es ist für uns beide nicht die ideale Situation.

Auf einmal geht die Tür auf. Bei Nathans Anblick brechen Alex und ich in lautes Gelächter aus und alle Sorgen sind vergessen.

"Ho ho ho!", ruft er und stellt sich ans Fußende des Bettes. Er trägt ein Weihnachtsmannkostüm und der weiße Bart verdeckt fast sein ganzes Gesicht.

"Ich wüsste nicht, was am Weihnachtsmann lustig ist!"

Er reicht mir eine Tafel Schokolade. Und lässt sich dann auf den anderen Stuhl am Bett fallen.

"Oh, danke!" Schnell umarme ich ihn.

"Ich bin froh, dass du für heute die Letzte bist. Das ist echt anstrengend.", murmelt Nathan und lehnt sich wieder zurück.

"Armer Bruder."

Nathan rollt mit den Augen. Als er sich gerade den Bart vom Gesicht ziehen möchte, greift Alex erneut ein.

"Halt, warte, Santa! Ich will ein Foto von dir und Melissa machen."

"Nein, Alex! Ich bin nichtmals richtig angezogen."

"Neben Santa Nathan kannst du nur wunderschön aussehen."

Diesmal rollen wir beide mit den Augen. Letzendlich bekommt Alex aber was er will. Nathan erbarmt sich und lässt ihn ein Foto auf seinem Handy machen. Dann entfernt Nathan den Bart und zieht auch die Mütze ab.

"So ein Kostüm ist unglaublich warm."

"Damit gehörst du ja auch eigentlich an den Nordpol.", erwidert Alex, während er die Fotos, die er geschossen hat, durchsieht.

"Ich gebe dir gleich Nordpol. Genug Schnee liegt draußen ja."

Auf einmal beginnt Nathans Handy zu klingeln. Er kramt es aus einer der Taschen in seinem Weihnachtsmann Kostüm und wirft einen Blick auf die Nummer des Anrufers. Nachdem er abgehoben hat verändert sich sein Gesichtsausdruck. Ich kann ihn nicht ganz einordnen, aber es ist irgendwas zwischen Staunen und es nicht glauben können. Er brabbelt etwas von Helikopter und legt hektisch auf.

"Alles in Ordnung?", fragt Alex nun ernst. Jeglicher Spaß von vor wenigen Minuten ist verflogen.

"Ich muss los. Es gibt ein
Spenderherz für Jonas."

Ich freue mich wahnsinnig für ihn. Auch wenn sein Weihnachten nicht gerade schön wird, heißt das immerhin, dass er noch viele weitere Weihnachten zuhause bei seiner Familie verbringen kann und wieder ein ganz normales Kind sein kann. Es ist nichtmals so, als wäre ich traurig darüber nicht assistieren zu können. Im Moment bin ich einfach von Freude erfüllt.

"Ich hole mir eben einen Kaffee. Möchtest du auch einen?"

Ich nicke. Während Alex sich auf den Weg in die Cafeteria macht, rufe ich Laura an. Ich habe es ehrlich gesagt vor mir hergeschoben, weil ich nicht weiß, wie ich ihr das alles erklären soll.

"Wieso hast du denn nicht auf meine Nachrichten geantwortet?", fragt sie.

"Ich hatte einen Autounfall."

"Oh, scheiße. Und wie geht es dir jetzt?"

"Besser.", beruhige ich sie. "Ich darf noch nicht viel laufen und bin auch noch im Krankenhaus, aber es wird immer besser."

"Okay. Naja, immerhin. Soll ich dich besuchen kommen? Nach Weihnachten vielleicht?"

"Wie wäre es, wenn du und Michael über Silvester nach Düsseldorf kommt? Kate hat eine kleine Silvesterparty im Pub organisiert und ich soll euch herzlich einladen."

"Das ist total lieb von euch, aber ich weiß nicht, ob wir da noch ein Hotelzimmer bekommen. Ist ja nur noch eine Woche."

"Das haben wir natürlich auch schon für euch geplant. Ihr könnt in meiner Wohnung schlafen und ich schlafe dann bei Alex."

"Du schläfst bei Alex? Habe ich etwas verpasst?", fragt sie verwirrt.

"Oh, ups. Hab ich vergessen.", antworte ich kichernd. "Alex und ich sind wieder zusammen. Ich war so dumm und wollte ihm ja nie zuhören aber nach dem Unfall hat er mir keine Wahl gelassen. Er hat gar nicht gelogen, kannst du dir das vorstellen? Ich erkläre dir das in Ruhe."

"Ich bin gespannt. Aber das freut mich total für euch! Ihr seid einfach meine Definition von Traumpaar."

Wir müssen beide lachen.

"Also, kommt ihr?"

"Auf jeden Fall."

Kurz nachdem ich aufgelegt habe kommt auch Alex wieder und setzt sich wieder auf seinen Platz. Allerdings mit leeren Händen. Verwirrt sehe ich ihn an.

"Wolltest du nicht Kaffee holen?"

Er murmelt ein "Mhm" und nimmt sein Handy aus der Hosentasche. Dann entsperrt er es und fängt an etwas einzutippen.
Er hebt den Blick erst, als ich ihn frage wo denn der besagte Kaffee sei.

"Ach ja, der Kaffee. Mist."

Dann legt er sein Handy auf mein Bett, steht wieder auf und verlässt das Zimmer erneut. Ich kann nichts anderes tun, als ihm verwirrt nachzusehen.

DoctorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt