Doctor

18

"Du errätst nie, was gestern Abend passiert ist."

Kate begleitet mich mit Lina im Kinderwagen zum Krankenhaus. Sie hatte vorgegeben, nur spazieren gehen zu wollen und dass es da ja ganz gut passte, dass ich zur Arbeit musste, aber jetzt wird mir klar, dass es wohl hauptsächlich darum ging, mir etwas zu erzählen. Mir ist sofort klar, dass es sich um den Antrag von Dean geht.

"Du wirst es mir wohl gleich erzählen."

"Dean und ich werden heiraten."

Sie hält mir ihre Hand hin. Der Ring funkelt an ihrem linken Ringfinger. Er ist natürlich prunkvoll, anders als meiner, aber er macht Kate glücklich. Es ist einfach ihr Stil.

"Das freut mich, Kate!"

Es freut mich wirklich. Klar, es ist schon irgendwie traurig, weil ich es nicht vor den Altar geschafft habe, aber Kate und Dean waren einfach schon immer ein Traumpaar. Außerdem habe ich Fabian und einen guten Job. Ich sollte nicht an mich denken, sondern an Kate und Dean und ihre kleine Tochter.

"Gut, ich muss jetzt aber auch los." Ich umarme Kate und drücke Lina einen Kuss auf die Wange. "Bis später."

"Bis später, Tante Melli." Kate hebt Linas Hand und winkt damit. Ich lächle, winkle zurück und gehe von Linas Kichern begleitet in die Eingangshalle. Schnell gehe ich in die Umkleide und mache mich fertig. Auf dem Flur treffe ich auf Alex.

"Hey. Kannst du die Werte von Samuel kontrollieren? Und es müssen noch Proben ins Labor gebracht werden. Ich komme nach.", sagt er gestresst. Als er fertig ist, ist er schon fast an mir vorbei.

"Gerne."

Samuel ist noch nicht aufgewacht. Ich notiere mir alle Werte, entnehme Proben und gehe zum Labor. Dort muss ich mich anstellen. Es scheint viel los zu sein. Tobias kommt kurze Zeit später und stellt sich zu mir.

"Was ist denn hier los?", fragt er.

"Keine Ahnung. Ich wollte eigentlich nur eben Proben abgeben."

"Ich muss welche abholen und welche abgeben. Wie geht es denn deinem Patienten?"

"Keine Veränderung. Ich hoffe, dass er bald aufwacht."

"Bestimmt." Tobias versucht mir Mut zu machen, aber ich weiß, dass er eigentlich keine Ahnung hat und diese Dinge nur sagt, weil er freundlich sein will. "Also ich bin heute in der Orthopädie."

"Cool, Knochen brechen." Ich lache. Die Orthopäden haben den Ruf Knochen zu brechen. Natürlich steckt da viel mehr hinter, aber es ist einfach so ein Insider Witz.

"Nein, ich darf nicht assistieren. Aber Proben wegbringen."

Er hält den Plastikbeutel hoch. Ich zucke mit den Schultern. Was soll ich dazu sagen? Ich durfte assistieren. Außerdem sind wir Assistenzärzte. Endlich löst die Warteschlange sich auf. Ich gebe die Proben ab, verabschiede mich von Tobias und gehe zurück zu Samuels Zimmer. Ich kontrolliere noch einmal alle Schläuche und alle Werte. Keine Veränderung.

Ich nehme die Krankenakte und setze mich auf den Stuhl, der eigentlich für die Angehörigen gedacht ist, und gehe sie durch. Wir müssen doch irgendwas übersehen haben. Die Werte sind alle gut. Samuel sollte aufwachsen.

"Es freut mich, dass Sie die erste Person sind, die ich nach dem Aufwachen sehe."

Ich zucke zusammen und lasse die Akte fallen. Im Krankenbett liegt Samuel und er sieht mich an. Mit offenem Mund starre ich ihn an.

"Sie sind wach.", stelle ich unnötigerweise fest.

"Richtig, Sherlock! Kann ich vielleicht etwas zu Trinken haben?"

"Einen Moment bitte, okay? Einen Moment." Ich stehe auf und gehe in den Flur. Glücklicherweise läuft eine Krankenschwester vorbei, die ich abfangen kann.

"Hey, Entschuldigung. Piepen Sie bitte Dr. Lehmann für mich an?"

Mit ihrem Nicken gebe ich mich zufrieden und gehe wieder rein. Ich leuchte Samuel in die Augen und überprüfe die Reflexe. Die Situation überfordert mich und ich bin erleichtert, als Alex endlich da ist.

"Samuel! Wie geht's?", fragt er und leuchtet ihm erneut in die Augen.

"Ganz gut. Und selbst?"

"Na, hier geht es wohl mehr um dich als um mich. Zeig mal die Werte, Melissa."

Ich hebe die Akte vom Boden auf und reiche sie ihm. Er liest und nickt.

"Sieht doch super aus. Gut, Dr. Parker wird einige Tests mit dir durchführen."

"Ach ja?", frage ich verwirrt. Alex und ich wollten das doch zusammen machen. "Kann ich dich vielleicht kurz draußen sprechen?"

Alex folgt mir nach draußen und vergräbt seine Hände in den Taschen seines Kittels.

"Ich dachte wir machen die Tests zusammen?"

"Samuels Zustand ist einwandfrei. Die Tests sind nur für das Protokoll. Das schaffst du alleine. Ich habe keine Zeit.", erklärt er.

"Und wie stelle ich das an?"

"Unterhalte dich mit ihm. Prüfe sein Gedächtnis, seine Sprachfähigkeiten."

"Okay gut."

"Hey, lass den Kopf jetzt nicht hängen. Er lebt und es geht ihm gut. Und das ist unser Verdienst."

Er hebt die Hand zum Highfive. Lächelnd schlage ich ein. Wir haben es geschafft und ich durfte ein Teil davon sein. Wäre da nur nicht dieses Kribbeln beim Berühren unserer Hände.

"Ich gehe dann mal wieder rein."

"Okay."

Ich weiß, dass er mir noch nachsieht, aber ich ignoriere es, jedenfalls versuche ich das, und gehe zurück zu Samuel. Die Krankenakte lege ich auf die Ablage und setze mich.

"Also gut. Ich soll einfach nur kontrollieren ob du sprechen kannst und wie es um dein Gedächtnis steht.", erkläre ich.

"Ist Dr. Lehmann gut im Bett?"

"Was?" Erschrocken sehe ich ihn an.

"Ach kommen Sie. Schon vor meiner OP habe ich es gemerkt. Er hat nur Augen für sie. Wie er sie ansieht.. Als wäre er unglaublich in Sie verliebt. Und sie erwidern es.", sagt Samuel.

"Na dann. Die Sprach- und Gedächtnisfrage ist damit wohl geklärt." Ich stehe auf.

"Sehen Sie. Sie reagieren sauer. Ich habe Recht. Erzählen Sie es mir." Ich verschränke die Arme. "Ach bitte, Dr. Parker. Ich wurde operiert, ich muss noch lange hier bleiben und mir ist langweilig. Erzählen Sie schon."

"Also gut." Ich setze mich zu ihm. "Wir waren mal verlobt."

"Na das müssen Sie mir jetzt aber genauer erklären."

Und so erzähle ich meinem Patienten die Geschichte von Alex und mir. Von vorne bis hinten. Ich kann es selbst kaum glauben, aber es tut gut darüber zu reden. Und gleichzeitig erledige ich auch noch meine Arbeit. Kann doch kaum besser laufen.