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"Mir ist nur wichtig, dass du mir verzeihst.", sagt er und nimmt erneut meine Hand. Er hat dunkle Ringe unter den Augen, als ob er geweint hätte.

"Da gibt es doch gar nichts zu verzeihen. Du solltest eher mir verzeihen. Ich war so eine dumme Kuh. Hätten wir einfach geredet dann wäre uns das alles erspart geblieben."

"Das solltest du nicht sagen. Wenn das alles nicht passiert wäre, würden wir auch nicht Eltern werden. Es ist alles ganz gut so, wie es ist. Wenn denn zwischen uns wieder alles gut ist?"

Auf mein Nicken küsst er mich sanft auf die Stirn. "Ich bin so froh, dass das geklärt ist. Die letzten Monate waren die Hölle. Ich hätte dir am liebsten im Flur die Wahrheit ins Gesicht geschrien. Ich musste mich furchtbar beherrschen."

Ich muss lachen. Wenn Alex wüsste, wie es mir ergangen ist. Aber kann das so einfach sein? Einfach alles wieder gut? Nach monatelanger Trennung?
Andererseits ist es das Beste für das Baby. Und als ich in den Auto eingesperrt war, ist mir klar geworden, dass es nichts bringt meine Gefühle für Alex zu unterdrücken. Sie sind da und sie werden nicht verschwinden.
Trotzdem finde ich, dass wir es langsam angehen lassen sollten.

„Wie wollen wir das machen, Alex?", frage ich.

„Was meinst du?"

„Naja, wir arbeiten beide in Vollzeit und ich bin noch in der Ausbildung. Wie soll das mit einem Baby funktionieren?"

„Das bekommen wir hin.", antwortet er zuversichtlich. „Ich möchte nicht, dass du deinen Traum für mich aufgibst. Das würde ich nie verlangen."

„Ich möchte aber auch nicht, dass du deinen Traum aufgibst.", entgegne ich.

„Melissa." Er seufzt. „Du bist mein Traum. Ich würde für dich alles aufgeben. Wieso verstehst du das nicht?"

„So einfach ist das nicht. Wir leben nicht im Märchen. Wir brauchen Geld und ein Kind zu erziehen beansprucht Zeit und Geduld. Ich will nicht, dass es ohne seine Eltern aufwächst."

„Wir können uns abwechseln. Und wenn es groß genug ist, können wir es im Kindergarten unten im Krankenhaus unterbringen. Es gibt immer eine Lösung."

Ich muss an die Zeit denken, bevor wir zusammen waren. Als Alex mir eine Rose fast nicht gegeben hätte, weil er sich nichtmals sicher war, ob eine Beziehung zwischen zwei Ärzten funktionieren kann. Und dann habe ich ihm gesagt, dass er sich keine Sorgen machen soll. Jetzt mache ich mir Sorgen.

„Du hast es selbst gesagt. Weißt du nicht mehr? In meinem Zimmer, als du zum ersten Mal bei mir Zuhause warst."

„Weißt du nicht mehr, dass ich meine Meinung danach geändert habe? Wir waren doch bereit. Wir wollten Kinder. Bis diese Sache beim Final Talk war. Aber wir waren uns doch sicher. Wieso bist du es jetzt nicht mehr?"

„Ich habe Angst.", gestehe ich. „Es macht mir wirklich Angst."

„Du brauchst keine Angst haben. Du bist nicht alleine, wir sind zu zweit. Wir schaffen das. Irgendwie. Okay?"

„Okay."

Alex hat Recht. Die Situation lässt sich ohnehin nicht ändern. Also, wieso machen wir nicht einfach das Beste aus der Situation. Das, was wir uns immer wieder klar machen müssen, ist, dass das Leben in schwierigen Situationen nicht aufhört. Es geht immer weiter und immer wieder schaffen wir es auch durch schwere Zeiten und können am Ende darauf zurückblicken. Manchmal gibt es einfach keinen anderen Weg.

Irgendwann klopft es an der Tür. Alex geht etwas auf Abstand, als Dr. Ricks und Dr. Price das Zimmer betreten. Ricks hält meine Krankenakte im Arm.

„Hallöchen.", sagt Dr. Price. Ich muss lächeln. Für einen Chefarzt ist der Mann wirklich locker drauf. Die beiden stellen sich ans Fußende meines Bettes. „Wie fühlen Sie sich? Ich nehme an, dass Dr. Lehmann Sie bereits über ihren Zustand aufgeklärt hat?"

„Ganz gut.", antworte ich unsicher, weil ich überhaupt nicht weiß, wie ich diese Frage beantworten soll. Wie fühle ich mich? Physisch? Ich habe ziemliche Schmerzen, aber ich lebe. Psychisch? Da sieht das Ganze anders aus. „Und ja, er hat mir so einiges erzählt."

Dr. Price erzählt mir noch einiges darüber, wie ich behandelt worden bin. Außerdem erklärt er, dass der weitere Verlauf noch ungewiss ist. Weiter geht er darauf jedoch nicht ein, denn angeblich soll Dr. Ricks das übernehmen. Dann klärt er mich noch darüber auf, dass ich eine Aussage gegenüber der Polizei machen muss. Das war mir ja irgendwie schon klar gewesen, aber trotzdem wird es unschön sein die Ereignisse noch einmal durchzugehen. Als Dr. Price endlich fertig ist und das Wort an Dr. Ricks übergibt atme ich erleichtert auf. Natürlich weiß ich, dass es die Pflicht von ihnen ist, aber es ist ziemlich viel auf einmal und ich bin müde.

„Gut dann mache ich mal weiter.",übernimmt Ricks. Dr. Price klopft ihm einmal auf die Schulter, verabschiedet sich von Alex und mir und verlässt dann den Raum.

„Ich würde für die weitere Behandlung gerne etwas ausprobieren. Ich möchte Sie so schnell wie möglich wieder ans Laufen und Bewegen bringen. Wir erhoffen uns davon große Chancen für eine schnelle Genesung."

„So schnell wie möglich? Das ist doch viel zu riskant. Gestern noch war ihr Zustand so kritisch, dass wir nicht wussten, ob sie das Ganze überlebt und jetzt soll sie aufspringen und durch die Gegend laufen? Sie hat frische OP Narben.", protestiert Alex sofort.

Es ist mir unangenehm, dass er eine solche Szene macht, aber er meint es nur gut. Trotzdem ist mir an einer schnellen Heilung gelegen. Ich möchte die Zeit, in der ich noch arbeiten kann, nutzen.

„Das was mir - oder uns - gestern am meisten Sorgen bereitet hat, war ihre Wirbelsäule. Das hat sich jedoch als Irrtum herausgestellt, denn die war ja völlig in Ordnung. Bewegung steht deshalb nichts im Wege. Sie ist umgeben von Ärzten."

Alex will schon wieder etwas sagen, doch ich komme ihm zuvor. „Ich will mehr hören."

„Es wird ziemlich anstrengend und schmerzhaft, aber ich verspreche mir davon gute Ergebnisse."

„Ich will das machen."

„Bist du dir sicher?", fragt Alex. Ich nicke. Auch wenn er es nur gut meint, es ist meine Entscheidung.

„Gut." Dr. Ricks klatscht einmal in die Hände. „Ich würde vorschlagen, dass wir heute Nachmittag beginnen? Alex begleitest du Melissa?"

„Natürlich.", stimmt er trotz der Unstimmigkeiten sofort zu. Ich lächle ihn an. Er war mir so fremd und dabei ist er mir jetzt so vertraut. Was geschieht nur mit mir? Und was geschieht mit uns?

Zufrieden verlässt Dr. Ricks den Raum. Zurück bleiben Alex und ich. Als ich mich noch ein Stückchen mehr aufsetzen möchte, zucke ich vor Schmerz zusammen.

„Mach langsam."

Es ist unvorstellbar, dass ich später aufstehen und gehen soll. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?

„Das war ziemlich peinlich.", lenke ich ab. Ich hasse es einfach so sehr auf andere angewiesen zu sein.

„Das mit uns?" Er lacht und mein Herz macht einen kleinen Satz. Wie sehr habe ich sein Lachen vermisst.
„Das muss dir nicht peinlich sein. Die haben Bachelor alle gesehen - auch die Leute, die du nicht von dem Abendessen kennst - und auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollten, damit es dir nicht unangenehm ist, haben alle nur darauf gewartet, dass wir wieder zusammen kommen."

Ich spüre wie mein Gesicht rot anläuft. Das ist ja noch peinlicher, als ohnehin schon.

DoctorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt