Nachdem ich Kate alles erzählt habe herrscht Schweigen. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum. Die Tatsache, dass ich weder sie noch ihren Gesichtsausdruck sehen kann, macht die Situation nicht gerade besser.
"Also um das mal eben zusammenzufassen: Fabian hat dich geküsst und zur Belohnung darfst du bei einer Hammer-OP assistieren?", fragt sie.
"So kann man das auch sagen. Was soll ich denn jetzt machen?"
Während ich telefoniere, durchblättere ich die Krankenakte des Patienten. Alex hat Recht, ich muss mich vorbereiten. Selbst wenn keiner auf der Galerie sitzt und zusieht, mit dieser Operation habe ich gute Chancen übernommen zu werden.
"Puh.. Das Problem ist ja, dass Fabian da wirklich Scheiße gebaut hat."
"Ja. Entweder wir beenden unsere Freundschaft oder wir versuchen es noch einmal mit einer Beziehung. Ich weiß nicht was ich machen soll. Ich will, dass alles wieder so ist wie vorher. Und ich will Fabian auf keinen Fall verlieren, aber eine Beziehung? Ich weiß nicht. Das ist schon einmal schief gegangen, da aber einvernehmlich und außerdem ist da noch Alex."
"Hast du denn etwas gefühlt als er dich geküsst hat?"
"Ich habe nicht nichts gefühlt, aber.. Ach ich weiß es nicht."
"Hast du an Alex gedacht?", fragt Kate weiter.
"Nein. Ja, aber nicht während er mich geküsst hat. Nur danach und auch nur, dass es sich bei Alex anders angefühlt hat.", gestehe ich.
"Naja, dass es sich anders anfühlt ist ja normal. Du hast doch gesagt, dass du Alex nicht verzeihen kannst, richtig?"
Ich nicke und blättere erneut um. Als Kate nochmal nachfragt merke ich erst, dass sie mein Nicken ja nicht sehen kann. Ich entschuldige mich kurz und beantworte ihre Frage.
"Und Alex scheint das ja zu akzeptieren. Vielleicht solltest du es einfach versuchen. Ich weiß es auch nicht, Melissa. Ich glaube immer noch, dass bei der Geschichte mit Alex etwas faul ist, aber wenn du nicht mit ihm darüber reden möchtest ist das deine Entscheidung. Vielleicht ist Fabian ja der Richtige. Und wenn nicht dann eben nicht. Wir sind jung, oder? Außerdem hast du nichts zu verlieren, Freundschaft geht jetzt schließlich nicht mehr."
"Ja, schon. Es ist so verwirrend. Andere Menschen verlieben sich und werden glücklich, wie Dean und du. Und dann bin da ich. Ich glaube ich fahre nach der Arbeit zu Fabian und rede mit ihm."
"Vielleicht ist das die beste Lösung. Dann kannst du immer noch entscheiden. Ich muss jetzt Lina ins Bett bringen. Schreibst du mir wie es gelaufen ist?"
Im Hintergrund kann ich Lina quengeln hören. Ich verspreche Kate ihr später noch zu schreiben, dann verabschieden wir uns und legen auf. Ich widme mich wieder der Akte und gehe den Krankheitsverlauf durch. Dann fahre ich den Computer hoch und informiere mich über die Operation. Stunden später habe ich alles herausgeschrieben was ich brauche. Jetzt muss ich es nur noch auswendig lernen. Ich mache mir immer mehr Notizen und markiere verschiedene Wörter in verschiedenen Farben. Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis ich nicht mehr durchblicke. Ich muss mich konzentrieren.
Es klopft an der Tür und ohne meine Antwort abzuwarten tritt jemand ein. Ich drehe mich kurz um und sehe, dass es Alex ist. Er setzt sich neben mich und schiebt mir ein Tablett mit Essen aus der Cafeteria und eine Wasserflasche rüber.
"Ich dachte das könntest du vielleicht gebrauchen."
"Danke."
Ich widme mich wieder meinen Notizen und schließe die Augen um sie durchzugehen. Es klappt, aber ich habe riesige Angst etwas wichtiges zu vergessen. Und das nur, weil ich nicht weiß wo mir der Kopf steht.
"Iss etwas. Ich kann dich abfragen."
"Nein, mir ist so schon total schlecht.", antworte ich und greife zur Wasserflasche. Geschickt drehe ich sie auf und nehme einen Schluck.
"Okay." Alex schiebt alle meine Notizen zusammen und legt sie ans andere Ende des Tischs. Ruckartig sehe ich auf.
"Was machst du denn da?"
Jetzt ist meine ganze Arbeit hin. Er hat mal wieder alles durcheinander gebracht. Das ist mein Ende. Verzweifelt lege ich meinen Kopf in meine Hände. Das kann doch nicht sein Ernst sein. Ich habe mehrere Stunden dafür gebraucht. Das ganze hatte ein System. Die Notizen kriege ich nie wieder so zusammen wie sie waren.
"Komm mit."
Genervt stehe ich auf und folge Alex. Die Gänge sind nicht so voll wie am Tag, sodass wir gut durchkommen. Der Nachteil ist, dass das Klackern meiner Schuhe umso mehr hallt. Vor einem Patientenzimmer bleibt Alex stehen und deutet auf das Fenster.
"Das ist Samuel Regaine."
"Der Junge mit dem Tumor.", stelle ich fest. Seinen Namen kenne ich von der Krankenakte und er sieht genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe.
Ich trete etwas näher um ihn sehen zu können. Samuel schläft, aber er sieht unruhig aus. Sein Kiefer ist angespannt, die Augen leicht zusammengekniffen. Ein bildhübscher Junge mit einer solch aggressiven Krankheit.
"Hat er Angst?", frage ich.
"Ja. Die Diagnose war ein Schock für ihn und er kann es nicht packen.", erklärt Alex. "Er hat Angst nie wieder Fußball spielen zu können. Oder, dass sein Gehirn geschädigt wird und er sein Studium abbrechen muss. Und auch davor, nie eine Frau zu finden."
"Es ist unfair. Wir sind nur wenige Jahre älter. Der Junge hat doch noch so viel vor."
"Und er wird das auch alles erleben können. Weil wir ihm morgen das Leben retten. Hör auf deine Zettel auswendig zu lernen. Du weißt genau was zu tun ist."
"Was wenn nicht?"
"Dann weiß ich was zu tun ist. Wir schaffen das, okay?" Ich nicke. "Dann geh jetzt nach Hause und ruh dich aus."
"Ich habe aber noch Schicht.", werfe ich ein.
"Dann ist deine Schicht hiermit beendet. Es ist jetzt.." Alex sieht kurz auf seine Uhr. "Halb zwei. Komm morgen so gegen halb vier hier her, dann bereiten wir alles vor."
Ich gebe nach, verabschiede mich kurz von Alex, was wirklich merkwürdig ist, und bringe dann meinen Kittel zurück und hole meine Handtasche. Im Auto werfe ich sie schnell auf den Beifahrersitz und drehe den Schlüssel. Mein Weg führt mich jedoch, anders als von Alex vorgeschlagen, zu Fabian und nicht nach Hause. Als ich an einer Ampel stehe fällt mein Blick auf den Ring an meiner Hand.
Tue ich hier wirklich das Richtige?
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Doctor
Teen FictionNach der Trennung von Alex kämpft Melissa sich durchs Leben. Sie hat ihr Studium beendet und sich bei verschiedenen Krankenhäusern beworben. Als sie eine Zusage von dem Krankenhaus, in dem auch Alex gearbeitet hat, bekommt, nimmt sie ohne zu Zögern...