"Wieso wolltest du nicht, dass ich das mache?", frage ich neugierig.
Alex wird meine Meinung ohnehin nicht mehr ändern können. Ein bisschen Ahnung von Schmerztherapie habe ich nunmal auch, und außerdem ist es die einzige Möglichkeit schnell wieder auf die Beine zu kommen.
"Weil es gefährlich ist.", antwortet er. "Das Verfahren stammt ursprünglich aus der Neurologie und wurde an Patienten, die gerade eine Operation am Gehirn hinter sich hatten durchgeführt."
"Und hat es funktioniert?", unterbreche ich ihn.
Er nickt. "Ja, es gab sehr gute Ergebnisse. Aber die Patienten der Studie hatten die Wunde ja auch am Kopf. Darüber, dass es dafür bei denen ganz andere Gefahren gab, müssen wir glaube ich nicht reden, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Naht dort beim Laufen aufreißt ist ziemlich gering. Bei dir hingegen..."
Er schiebt mein T-Shirt ein kleines Stück nach oben und entblößt dabei den schneeweißen Verband, der auf eine ziemlich große Narbe schließen lässt.
"...Sieht die Geschichte etwas anders aus. Und du wirst ungeheuerliche Schmerzen haben."
"Versuchst du mir Angst zu machen?"
"Nein. Ich möchte nur, dass du weißt, worauf du dich einlässt."
Ich will ihm noch antworten, dass ich weiß worauf ich mich einlasse und dass ich mir meiner Sache wirklich sicher bin, doch da platzt Nathan in den Raum rein und setzt sich strahlend auf den Stuhl auf der anderen Seite des Bettes.
"Du bist wach, wie schön.", sagt er und drückt mich kurz, so weit es ihm möglich ist, an sich. Dann wendet er sich Alex zu. "Mom und Dad haben sich riesig gefreut!"
"Worüber?", fragt dieser und zieht verwirrt die Augenbrauen nach oben.
"Na, darüber, dass du und Melissa jetzt wieder ein Paar seid."
"Woher weißt du..?" Doch dann scheint Alex zu verstehen, was Nathan wirklich getan hat. Ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen. "Du hast Mom und Dad einfach erzählt, dass wir wieder zusammen sind, obwohl du es gar nicht wusstest?"
Aufgebracht rutscht Alex auf seinem Stuhl hin und her. Nathan lacht und nickt.
"Ich wusste es einfach. Jeder wusste es. Und da dachte ich mir 'Go big or go home' und habe euch die Aufgabe abgenommen. Das mit dem Baby macht ihr aber schön alleine."
"Oh Gott.", stöhnt Alex und fährt mit seiner rechten Hand durch seine dichten braunen Haare. Trotzdem muss auch er lachen.
"Manchmal wäre ich schon gerne Einzelkind.""Darf ich dich daran erinnern, wer dich im Arm gehalten hat, als Melissa operiert worden ist?"
"Oh, wirklich? Das ist süß."
Ich nehme Alex' Hand und halte sie. Ich weiß nicht, womit ich jemanden wie ihn verdient habe, aber es fühlt sich so gut an geliebt zu werden. Es ist, als wären die ganzen letzten Monate nie passiert und als wären wir dort wo wir aufgehört haben, bevor uns diese blöde Sache getrennt hat. Wenn mir das jemand vor ein paar Wochen gesagt hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt.
*
"Hast du eigentlich Kate angerufen?"
Wir sind auf dem Weg zu dem Raum, in dem die Therapie stattfinden soll. Nachdem Nathan zurück an die Arbeit gegangen war, hatte Alex mich dazu gezwungen wenigstens eine Kleinigkeit zu essen. Anschließend musste ich noch die Aussage der Polizei gegenüber machen. Es war nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte, aber angenehm ist deutlich anders. Man werde auf mich zurückkommen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und nach Aussage des Polizisten könnte es sich dabei um Monate handeln.
"Ich habe sie angerufen, als aus dem OP kamst. Ich wollte erst sicher wissen, wie es dir geht. Allerdings musste ich etwas lügen, sonst hätte sie den Urlaub bei ihren Eltern sofort abgebrochen und wäre hergekommen."
"Was heißt 'etwas lügen'?", frage ich misstrauisch.
"Ich habe gesagt, dass du morgen schon entlassen wirst. Ich wollte nicht, dass sie abbricht und herkommt. Außerdem bin ich ja bei dir."
"Ist schon okay. Hätte ich auch so gemacht."
"Und ich soll dir ausrichten, dass du herzlich dazu eingeladen bist, Silvester im Pub zu feiern.", fügt er hinzu.
"Meinst du das geht?" Es hilft schließlich keinem, wenn ich weder trinken noch laufen oder sonst irgendetwas kann.
"Gehen wir einfach vom Besten aus. Erstmal kommt Weihnachten."
Dann öffnet er die Türe zum Behandlungszimmer und schiebt mich herein. Dr. Ricks sitzt am Computer und sieht kurz auf, als wir hereinkommen. Während Alex ihm bei den Vorbereitungen hilft, sehe ich mich um. Es erinnert alles stark an ein Fitnessstudio. Bevor wir jedoch beginnen können, erklärt Dr. Ricks mir erneut den Ablauf und klärt mich über alle Risiken auf. Nachdem ich dann meine Unterschrift gegeben habe, können wir anfangen.
Alex schiebt den Rollstuhl in die Mitte des Raums, auf zwei Stangen zu. An diesen soll ich mich festhalten. Der Tropf wird abgenommen, dann helfen die beiden Ärzte mir aus dem Rollstuhl. Ich muss die Zähne zusammenbeißen, um vor Schmerz kein Geräusch von mir zu geben. Mir ist schwindelig und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich bis zum Ende der Stange gehen soll. Selbst während Alex und Ricks mich stützen ist es kaum auszuhalten.
"Gut, Melissa. Sehr gut. Jetzt gibt es kein Zurück mehr."
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Doctor
Teen FictionNach der Trennung von Alex kämpft Melissa sich durchs Leben. Sie hat ihr Studium beendet und sich bei verschiedenen Krankenhäusern beworben. Als sie eine Zusage von dem Krankenhaus, in dem auch Alex gearbeitet hat, bekommt, nimmt sie ohne zu Zögern...