"Gehen wir direkt zu Jimmy's oder möchtest du dich vorher umziehen?", fragt Tobias, als wir gerade das Krankenhaus verlassen.
Der Tag war ruhiger als die letzten und ich konnte Alex aus dem Weg gehen. Ich habe ihn nur einmal kurz gesehen, als ich in der Cafeteria war. Er hatte irgendeine große Operation und viele aus meinem Jahr wollten auf die Galerie um zuzusehen. Eigentlich waren alle da. Alle außer mir. Mich hätte das alles zu sehr an die Situation erinnert, als Alex meine Freunde kennenlernen sollte und es damit geendet ist, dass ich ihm dort bei einer Operation zugesehen habe. Irgendwann werde ich ihm wieder zusehen können, aber nicht heute. Heute gehe ich zum ersten Mal wieder zu Jimmy's. Ich sollte einen Schritt nach dem anderen machen und nicht übertreiben.
"Ich glaube ich gehe mich erst umziehen. Es dauert auch nicht lange."
Der Gedanke so verschwitzt in den Pub zu gehen gefällt mir nicht wirklich. Es ist fast Herbst, und trotzdem ist das Wetter sehr sommerlich. Typisch Deutschland eben.
"Soll ich dich abholen kommen?"
"Nein, schon okay."
"Ich will dich einfach nicht alleine dort hingehen lassen. Ich weiß, dass das nicht einfach für dich ist."
Ich lächle ihn an. "Ich komme klar. Mach dir bitte keine Sorgen.", beruhige ich ihn.
"Wie immer." Auch er lacht kurz. "Aber melde dich wenn ich doch kommen soll, versprochen?"
"Versprochen."
*
"Schön, dass du mal wieder dabei bist.", sagt Lilly.
Wir sitzen an unserem Stammtisch. Die Band spielt schon und jeder von uns hat ein Getränk vor sich stehen. Ich muss morgen zwar nicht ganz so früh raus, habe aber Bereitschaft, weshalb ich bei einem Getränk bleibe. James hat mal wieder etwas tiefer ins Glas geschaut und auch bei den anderen merkt man, dass sie etwas angeheitert sind. Die Stimmung ist gut und ich fühle mich nicht unwohl.
"Lass uns keine große Sache daraus machen. Jetzt wo ich Alex sowieso jeden Tag ertragen muss schaffe ich es wohl auch wieder herzukommen.", antworte ich lachend. Ich muss laut sprechen, damit man überhaupt ein Wort versteht. Die anderen sind in eine andere Unterhaltung vertieft.
"Seid ihr wieder zusammen oder was?", fragt sie ungläubig und ich kann die Hoffnung in ihren Augen aufblitzen sehen.
"Nein! Ich habe einen dicken Schlussstrich gezogen okay?" Naja, vielleicht habe ich ihn noch nicht ganz durchgezogen. Aber ich arbeite daran.
"Er hat den Posten als Chefarzt nicht angenommen. Ich weiß nicht wieso. Jedenfalls arbeiten wir jetzt im selben Krankenhaus und er ist mein Vorgesetzter.""Das heißt ihr habt jeden Tag miteinander zu tun?"
"Ja. Naja, nicht ganz. Nur bei den Neurologie - Fällen. Ich muss jede Fachrichtung durchlaufen also habe ich zwangsläufig auch mal mit ihm zu tun, aber, und das scheint häufiger vorzukommen als ich dachte, bei Notfällen oder Ausnahmesituation müssen wir oft zusammenarbeiten."
"Und das klappt?"
Ich winke Jimmy zu und bestelle mir doch noch ein zweites Bier. Solange ich mich nicht abschieße ist alles gut.
"Er will ständig mit mir reden, aber sonst geht es."
"Sie will nicht mit ihm reden.", mischt Kate sich von der Seite ein. "Sie sollte aber mit ihm reden. Ich würde die Wahrheit herausfinden wollen. Außerdem würde er vielleicht damit aufhören, wenn du endlich mal deinen Verlobungsring abnehmen würdest."
Ich sehe auf meine linke Hand, an deren Ringfinger immer noch der glitzernde Ring steckt. Ich habe es nicht übers Herz gebracht ihn abzunehmen. Aber dass Alex mich darauf nicht angesprochen hat ist schon verwunderlich.
"Ich weiß, aber ich kann es einfach nicht."
"Ich kann sie verstehen." Dankend sehe ich zu Lilly. "Ich könnte das auch nicht. Denk mal drüber nach, du bist so verliebt und dann kommt am Ende raus, dass das alles nicht echt war. Ich glaube, dass ich meinen Job schon längst gekündigt hätte."
"Darüber habe ich nachgedacht.", gebe ich zu. "Aber der Chefarzt meinte, dass es schade wäre und dass ich talentiert bin und ich will mir meine Karriere nicht wegen Alex verbauen. Außerdem kann ich nächstes Jahr für ein Jahr nach Frankreich oder England oder wohin ich auch will."
"Krass, und... Sag mal, kannst du mal aufhören mich die ganze Zeit so anzustarren?", fährt Lilly James an, der neben ihr sitzt. James grinst sie an.
"Lust auf einen Wettbewerb?", fragt er.
"Ach, James, da hast du doch schon verloren. Bist du sicher, dass du es mit mir aufnehmen willst?"
Siegessicher nickt James. Lilly lächelt. Kate zückt ihr Handy aus der Handtasche und startet eine Videoaufnahme. Andreas schlägt vor, dass der Verlierer die nächste Runde übernimmt und alle stimmen zu. Dann beginnt der Wettbewerb. Es ist sowas von klar, dass Lilly gewinnt. Sie gewinnt Blinzelwettbewerbe jedes Mal ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Die beiden starren sich eine Weile nur an. Immer noch tragen beide ein siegessicheres Grinsen auf den Lippen. Dann verändert sich James' Gesichtsausdruck und er sieht angestrengt, vielleicht sogar etwas verwirrt aus.
"Scheiße.", murmelt er. Wir alle sind uns sicher, dass er jetzt aufgeben wird. So auch Lilly.
"Kannst du etwa nicht mehr? Na los, gib schon auf. Mir wird langweilig."
"Scheiße", wiederholt er. "Ich glaube ich liebe dich."
Unsere Emotionen sind gar nicht in Worte zu fassen. Während James sich vorbeugt und Lilly mit einem Kuss überrumpelt, stehen wir still daneben. Es spielt nur noch die Musik. Kate beendet das Video und kann sich das Lachen kaum verdrücken.
Die beiden haben James' Liebesgeständnis jetzt sogar auf Video. Genau wie Alex und ich. Nur dass das von James echt ist.
Dass zwischen den beiden mehr läuft als nur Freundschaft war uns wohl allen klar gewesen. Dass es allerdings so passiert hatte keiner von uns erwartet.
"Du hast trotzdem verloren.", neckt Lilly James lächelnd, als er sich zurückzieht.
"Wenn ich dafür dein Herz gewonnen habe, ist mir das egal."
"Schleimer."
"Nein, Spaß. Ich will eine Revanche."
Also tragen die beiden ihre Revanche aus, bei der - wer hätte das gedacht - Lilly gewinnt. Anschließend lassen wir den Abend noch ausklingen und machen uns auf den Weg nach Hause.
Ich habe das Gefühl in den letzten Tagen kaum Schlaf bekommen zu haben. Aber auch in dieser Nacht gelingt es mir nicht den Schlaf aufzuholen.
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Doctor
Teen FictionNach der Trennung von Alex kämpft Melissa sich durchs Leben. Sie hat ihr Studium beendet und sich bei verschiedenen Krankenhäusern beworben. Als sie eine Zusage von dem Krankenhaus, in dem auch Alex gearbeitet hat, bekommt, nimmt sie ohne zu Zögern...