Ein Tag vor Heiligabend
Ich mache Fortschritte. Mittlerweile brauche ich weniger Hilfe, als in der ersten Therapiestunde und auch der starke Schwindel hat nachgelassen. Manchmal darf ich mich ein Stück auf Krücken fortbewegen. Dr. Ricks und Alex sind zufrieden, scheinbar schlägt die Therapie an. Trotzdem besteht der Hauptteil meines Tages aus Liegen. Manchmal darf ich aufrecht sitzen. Dann geht Alex meistens mit mir in den Park hinter dem Krankenhaus. Da jedoch immer mehr Schnee fällt wird es immer schwieriger den Rollstuhl zu bewegen, weshalb ich doch wieder weniger an die frische Luft komme. Aber auf Krücken raus zu gehen ist zu heikel für meine Gesundheit und die meines Babys.
Aus diesem Grund genieße ich den Schnee und die weihnachtliche Beleuchtung vom Bett aus. Ich bin alleine. Eigentlich weicht Alex mir noch immer nicht von der Seite, aber er hatte nach der Therapie noch irgendeine Frage an Ricks und hat mich deshalb von einer Schwester zurück bringen lassen. Ich hoffe, dass er es mir nicht wieder ausreden möchte, aber eigentlich kann ich mir das nach unserem Gespräch nicht vorstellen.
Ich sitze einfach nur da und beobachte die Schneeflocken, als es plötzlich klopft. Bevor ich mich überhaupt wirklich fragen kann wer geklopft hat - Alex hat sich das Klopfen mittlerweile abgewöhnt - betritt Fabian das Zimmer. Ihm ist die Situation sichtlich genauso unangenehm wie mir. Ich biete ihm den Stuhl neben meinem Bett an. Er nimmt Platz und knetet nervös seine Hände.
"Wie geht es dir?", fragt er schließlich. Trotzdem sieht er mir nicht in die Augen.
"Ganz gut.", antworte ich. Ich weiß nicht, was ich ihm sonst noch sagen soll. Es ist merkwürdig genug wieder mit ihm zu reden, nach allem was passiert ist.
"Wann wirst du entlassen?"
"Das weiß ich noch nicht."
Fabian nickt. Er sieht aus dem Fenter und es scheint ein bisschen so, als wüsste er nicht ganz was er sagen soll.
"Das was passiert ist tut mir leid."
"Das muss dir nicht leid tun. Du hattest doch gar nichts damit zu tun.", erwidere ich.
"Ich meine nicht den Unfall. Doch, der natürlich auch, aber hauptsächlich meine ich das mit uns."
"Wie meinst du das?"
"Ich hätte dich nicht küssen sollen. Ich wusste, dass du Alex liebst und dass Alex dich liebt und ich war total egoistisch und habe mich zwischen euch gestellt. Das ist nicht das was beste Freunde machen und auch wenn du Alex keine Chance mehr geben wolltest, war das nicht fair von mir.", erklärt er.
"Alex hat gar nicht gelogen.",kläre ich ihn auf. "Es war ein Missverständnis."
"Das freut mich für dich. Wirklich. Das mit uns war einfach nicht richtig, oder? Wir hätten damit mehr kaputt gemacht als alles andere. Ich glaube es ist ganz gut so wie es ist. Trotzdem würde ich es nicht ändern."
"Irgendwie habe ich das Gefühl nicht ganz mitzukommen."
Fabian lacht. "Naja, hätte ich dich nicht geküsst dann wäre alles andere auch nicht passiert. Und hättest du den Unfall nicht gehabt, wärst du jetzt nicht wieder mit Alex zusammen weil du ihm nie zugehört hättest."
"Der Butterfly Effekt?" Fabian nickt aufgeregt. Den Butterfly Effekt fanden wir als Kinder schon total faszinierend und daran hat sich scheinbar nichts geändert.
"Freunde?", fragt er schließlich.
"Freunde."
"Ich hab dich echt vermisst. Übrigens, wenn du Hilfe brauchst wegen der Anzeige, du kannst auf mich als Verteidiger zählen. Pro Bono natürlich."
"Das kann ich nicht annehmen.", sage ich schnell. "Das bedeutet für dich doch nur extra Arbeit."
"Komm schon, Melissa, wenn ich krank werden würde würdest du dich auch um mich kümmern."
"Na schön.", gebe ich schließlich nach. "Danke, Fabian. Und danke dafür, dass du bei mir warst. Ich hatte wirklich Angst und ich war froh, dass du da warst und meine Hand gehalten hast."
Ich will noch etwas hinzufügen, aber da klingelt mein Handy. Ich nehme es vom Nachttisch und werfe einen Blick auf das Display. Kate versucht mich über Face time zu erreichen. Ihr Profilbild, auf dem wir beide in die Kamera lächeln, erscheint auf meinem Handy.
"Geh ruhig ran."
"Schon gut, ich kann sie auch zurückrufen."
"Nein, geh ran. Kate bekommt sonst noch einen Anfall. Außerdem muss ich jetzt in die Kanzlei."
Wir lachen. Schließlich verabschieden wir uns mit einer kurzen vertrauten Umarmung. Dann geht er und ich nehme den Anruf von Kate an.
"Hey Kitty Kat."
"Hi! Tu mir bitte einen Gefallen und jag mir nie wieder so eine Angst ein."
"Ich werde mein Bestes geben.", antworte ich lachend.
"Ich wäre am liebsten sofort zurück gefahren."
"Das hätte doch auch nichts gebracht. Aber das Alles hat trotzdem etwas Gutes. Alex und ich sind wieder zusammen."
Stolz lächle ich in die Kamera. Doch Kate winkt lachend ab. "Das hat er mir schon erzählt. Ich bin stolz, dass du endlich zugehört hast."
"War ja klar, dass du das wieder alles wusstest."
"Er hat sich mir anvertraut, aber ich mische mich nicht weiter in eure Beziehung ein."
"Dabei bist du doch der Grund dafür, dass es unsere Beziehung überhaupt gibt."
Wir müssen beide lachen. Trotzdem, manchmal wünsche ich mir die Zeit in Südafrika zurück. Als alles etwas einfacher war. Ich war Studentin und ziemlich frei. Jetzt bin ich Assistenzärztin und schwanger.
"Schaffst du es zur Silvesterparty? Alex hatte eigentlich gesagt, dass du entlassen worden bist."
"Bestimmt. Die Therapie läuft ganz gut, glaube ich. Er hat gelogen, weil wir nicht wollten, dass ihr euren Urlaub abbrechen müsst."
"Das ist super! Dir sei verziehen. Ich hatte mich auch gefragt ob du im Sommer Urlaub hast? Wir könnten mal wieder verreisen. Das haben wir früher immer gemacht und mittlerweile sind so viele Dinge in unseren Köpfen. Es wäre doch schön wenn wir mal wieder etwas entspannen könnten oder?"
Ich überlege kurz. Im Sommer werde ich hochschwanger sein. Nicht nur werde ich wohl nicht wirklich in der Lage dazu sein zu Reisen, Alex wird es mir auch verbieten. Aber das kann ich Kate natürlich nicht so einfach sagen.
"Das weiß ich noch nicht. Aber ich hätte auch wirklich Lust auf eine Reise. Wieso denn nicht im Winter?"
"Weil es da kalt ist?"
"Wolltest du nicht unbedingt mal nach Norwegen?"
"Das stimmt."
Sie runzelt die Stirn, so als würde sie überlegen ob sie lieber im Sommer oder im Winter wegfahren würde. Da kommt Alex herein.
"Lass uns später weiter überlegen, Alex ist wieder da."
"Hi, Alex!", ruft Kate. Ich drehe das Handy kurz zu Alex, der meiner besten Freundin zuwinkt.
"Gut, wir sehen uns auf der Silvesterparty?""Wir sehen uns bestimmt auch schon vorher. Woher soll ich sonst wissen was ich anziehen soll?"
"Hast Recht. Lass uns einfach nochmal telefonieren."
Ich stimme Kate zu und lege kurz darauf auf. Alex lächelt mich vielversprechend an.
"Was?", frage ich.
"Ich liebe dich.", entgegnet er mit einem noch breiteren Lächeln.
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Doctor
Teen FictionNach der Trennung von Alex kämpft Melissa sich durchs Leben. Sie hat ihr Studium beendet und sich bei verschiedenen Krankenhäusern beworben. Als sie eine Zusage von dem Krankenhaus, in dem auch Alex gearbeitet hat, bekommt, nimmt sie ohne zu Zögern...