2. Insecurities

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"Wo bist du gewesen?", frage ich,  als er gerade die Tür hinter sich geschlossen hat. Mit einer abwehrenden Geste hebt er die Hand und bedeutet mir somit, leise zu sein. "Venice. Ich habe es dir doch schonmal erklärt. Ich brauche meine Zeit für mich." Er beginnt sich  seine Canada Goose von den Schultern zu streifen und sieht mich kurz an. "Das weißt du doch." Ich nicke. " Ja, schon, aber bist du nicht der Meinung, dass du mir bevor du gehst etwas sagen könntest? Einfach nur, damit ich mir keine Sorgen machen muss, wenn du einfach weg bist." Er lächelt wieder. Sein irgendwie überhebliches, wissendes Lächeln. So als wüsste er, was in meinem Kopf vorgeht.  Ich wende mich von ihm  ab und suche irgendetwas, wohin ich mich zurückziehen könnte. Aber wenn wir beide uns im selben Raum befinden, erweist sich das als schwerer als erwartet. Also gehe ich zurück in das provisorische Wohnzimmer und lasse mich rücklings auf das Polster der Couch fallen. Robin folgt mir nicht. Ich höre, wie er Wasser aufsetzt. Das Scheppern von Geschirr. Er macht sich einen Kaffee. Drei Löffel Zucker, ein Schluck Milch, so lautet sein Rezept, und dass ich das im Schlaf aussagen könnte, sagt schon viel über meine Gefühle für  ihn aus.

 Ich würde Robin nie als "den perfekten Traummann" bezeichnen, was vor allem daran liegt, dass mir erst in den letzten Wochen die Schattenseiten seiner Persönlichkeit offenbart wurden. Pardon, seiner PersönlichkeitEN. Im einen Moment kann er noch der zärtlichste, geheimnisvollste und romantischste Mann sein, doch im nächsten ist er spurlos verschwunden und zeigt mir die kalte Schulter. Und das ist dann meistens der Moment, in dem er sich seinen Kaffee macht. 

Jetzt höre ich seine Schritte über dem Boden, stelle mir vor, wie der angetaute Schneespuren auf dem Limoleumboden hinterlässt, wo er seine Füße zuvor hatte, und schlinge meine Arme um meinen Körper, als ich seine Anwesenheit spüre. Ich öffne die Augen und sehe, wie er vor mir steht und mich ansieht. Die Augen, so blau wie die stürmische See, die gerade eine ganzes Schiff samt Mannschaft in den Tod gerissen hat. Erbarmungslos. Undurchdringlich. "Wo warst du?", frage ich leise. Robin seufzt und fährt sich mit den Händen durch das Haar. "Venice, bitte." Ich hebe meinen Zeigefinger, um ihn davon abzuhalten, noch etwas zu sagen. "Ich habe es dir doch schonmal erklärt." "Ich brauche Zeit für mich." "Ich bin nicht bereit dazu." Ja, ja. Ich habe es doch schon oft genug gehört.

"Sag mir einfach, ob du in der Stadt warst." Er sieht mich an und schüttelt dann den Kopf. "Ich war nicht in der Stadt." Für einen kurzen Augenblick wirkt er ruhig, fast schon schuldbewusst, doch dann richtet er seinen Blick wieder auf mich, die Augenbrauen zusammengezogen, die Stirn hat er in Falten gelegt. "Außerdem habe ich dich nicht hierhin mitgenommen, um mir den gleichen Mist wie in der Anstalt anzuhören. Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich dich nie hierhergebracht." Seine Stimme wird mit jedem Wort fester und schneidender, trotzdem bleibt seine Haltung ruhig. Ich schließe die Augen und frage mich, wie ich angemessen darauf reagieren kann, ohne ihn anzuschreien oder in Tränen auszubrechen. Oder beides. Ich hole tief Luft. "Okay.", gebe ich dann zurück. Robin seufzt ein weiteres Mal und  lässt sich dann neben mich sinken. Er greift nach meiner Hand und umschließt sie mit seiner. "Es tut mir Leid. Ich bin nur... Ich bin das nur nicht mehr gewohnt." Ich setze mich langsam auf und sehe ihn dann an. "Was bist du nicht mehr gewohnt?" Sein Blick geht schnell an die Decke bevor er mich wieder ansieht. Er ist verunsichert. Wieder eine neue Eigenschaft, die ich vorher nicht bei ihm kannte. Aber bei Robin scheine ich ohnehin nie auszulernen. "So viele Möglichkeiten zu haben. Ein und auszugehen, wann immer ich möchte. Wohin ich möchte. Ich meine, natürlich bin ich nicht wirklich frei, aber... ich muss mich erst wieder an den Zustand gewöhnen, verstehst du?" Jetzt nehme ich seine Hand in beide Hände und drücke einen Kuss auf seine Fingerknöchel. "Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst, Robin. Egal bei was. Das weißt du." Sein Kiefer verhärtet sich. Offensichtlich fühlt er sich nicht unbedingt wohl, mir so sein Herz auszuschütten. Er nickt und entzieht mir dann seine Hand, um seinen Kaffeebecher jetzt wieder mit beiden Händen zu umschließen. Es muss sicher nicht leicht für ihn sein, überhaupt zuzugeben, dass er unsicher ist. Nicht die komplette Kontrolle über die Situation hat.

Aber ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass er die Kontrolle über sein Leben schon vor langer Zeit verloren hat.  Ich werfe ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, den er aber gekonnt ignoriert.

Robin Brooks - CHANGESWo Geschichten leben. Entdecke jetzt