8. Tell me

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Stunden sind vergangen, in denen wir kein einziges Wort aneinander gerichtet haben. Jeder ist mit seinen Gedanken woanders und wir gehen uns so gut wie möglich aus dem Weg. Draußen hat es aufgehört zu schneien, stattdessen steht endlich die Sonne am Himmel und verbreitet so etwas wie Wärme. Aber nicht einmal die Sonne kann etwas gegen die eisige Stimmung diesseits dieser vier Wände anrichten. Ich versuche mich mit irgendetwas abzulenken, ich kehre die Scherben vom Boden, rücke alles an den richtigen Ort und wische den Staub von den Möbeln. Aber irgendwann gibt es eben nichts mehr, das man tun kann, und ab dann wird die unangenehme Situation noch unangenehmer. Also setze ich mich wieder zurück an den Tisch und halte vorsichtig nach Robin Ausschau, der in der ganzen zeit nur auf dem Bett gesessen ist und dem Anschein nach ziemlich in Gedanken versunken war. Auch jetzt starrt er Löcher in die Luft. Ich kratze mit dem Fingernagel in der tiefen Kerbe in der Tischplatte herum und versuche, einen der Gedanken in meinem Kopf festzuhalten und ihn zu Ende zu denken. Aber es ist ähnlich hoffnunglos wie inmitten einer Menschenmenge zu versuchen eine Konversation zu beginnen.  Aber ich muss nicht nachdenken, denn als Nächstes meldet sich mein Magen zu Wort, und das ist der Moment in dem mir bewusst wird, dass ich schon eine Weile nichts mehr gegessen habe. Seufzend stehe ich auf und begebe mich zum Kühlschrank. Ich finde noch ein paar Konservendosen, Milchtüten, Sahne und jede Menge Fleisch. Von Beilagen wie Reis fehlt sowohl  im Kühlschrank als auch im Vorratsschrank jede Spur, wenn man von der kleinen Packung Nudeln absieht, die es sich inmitten von Spinnenweben bequem gemacht hat. Ich finde abgesehen davon nur noch ein paar Zwiebeln und Kartoffeln.  Also versuche ich mein bestes, um ein einigermaßen gutes Mittagessen zu zaubern, koche die Nudeln, brate Fleisch in einer der Pfannen an und zerhacke die Zwiebeln, um sie gemeinsam mit der Sahne zu einer Soße kochen zu lassen.

Am Ende bin ich gar nicht mal so unzufrieden mit meinem Werk. Nicht dass ich jemals eine begabte Köchin gewesen bin, aber das hier übertrifft sogar meine gewöhnlichen Kochkünste. Ich stelle die Töpfe und Pfannen inklusive zwei Teller und Besteck auf den Tisch und versuche, etwas ähnliches wie eine heimelige Atmosphäre zu schaffen. 

Dann gehe ich vorsichtig in das Schlafzimmer.  Die quietschende Bodendiele kündigt mich an bevor ich es tun kann und Robin wendet sich mir zu. "Ich habe etwas für uns gekocht." Als ob er das noch nicht selbst mitbekommen hätte. " Das heißt, nur wenn du etwas essen willst." Kurz scheint er nachzudenken doch dann nickt er und schenkt mir sogar ein Lächeln. "Danke." Ich versuche zurück zu lächeln.  Aber wir wissen beide, das es kein echtes Lächeln ist.

Ich werfe ihm immer wieder einen vorsichtigen Blick zu als ich denke, er würde es nicht merken. Seine Miene bleibt unergründlich und er starrt in seinen Teller, als würde er fieberhaft über etwas nachdenken. Auf einer intellektuellen Ebene, die ich niemals erreichen könnte.  Weil er zu genial für mich ist. Und ich das, was in seinem Kopf vorgeht, ohnehin niemals verstehen würde.  Ich senke wieder den Blick und sehe wieder auf mein eigenes Essen hinab. Aber mein Hunger ist schon lange vergangen. In meinem Kopf schwirren tausende Worte und dennoch weiß ich nicht, was ich sagen soll oder wie ich ein sinnreiches Gespräch beginnen soll.

Glücklicherweise nimmt mir Robin das ab.

"Ich mache mir sorgen." Ich hebe meinen Kopf und sehe ihm in die Augen, spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht und lege dann die Gabel ab. "Wovor?" Er räuspert sich, streicht mit seiner Hand über sein Gesicht und schüttelt dann den Kopf. "Weißt du was, das ist gerade unwichtig. Vergiss es einfach wieder." Nein. "Sag es mir." Er legt seinen Kopfschräg. "Nein." Nervös reibe ich meine Hände unter dem Tisch. "Bitte-" "Venice." Schweigen. Dann seufze ich und senke den Kopf. "Okay."  Ich wünsche mir nichts mehr, als dass dieses Essen endlich zu Ende geht. Ich muss meinen Kopf frei bekommen.  Wieder raus hier. Aber diesmal muss ich besser aufpassen, ich will nicht nochmal von Robin gerettet werden. Allein um den letzten Rest meiner Würde zu retten, oder zumindest das, was davon übrig geblieben ist. Die Sehnsucht danach, raus zu gehen und das hier für eine bestimmte Zeit hinter mir zu lassen, ist so stark, dass ich aufstehe und den Teller in den Kühlschrank stelle (auch wenn mir die bloße Anwesenheit dieses Kühlschranks immer noch ziemlich unlogisch erscheint.) Dann verschwinde ich im Nebenzimmer und schlüpfe in meine Stiefel und ziehe meine Winterjacke über. Ich merke nicht, dass Robin plötzlich hinter mir steht und zucke zusammen, als er das Wort an mich richtet. "Wohin gehst du?" Ich wirbele herum. "Ein bisschen Laufen. Den Kopf freikriegen." Robin sieht mich eindringlich an. "Nein." Ich halte in der Bewegung inne und sehe ihn ungläubig an. "Wie bitte?" Robin kommt einen Schritt auf mich zu. "Ich sagte 'Nein'." Ich gehe einen Schritt zurück. "Ich habe gehört, was du gesagt hast. Aber seit wann hast du mir zu sagen, was ich tun oder lassen darf?" Langsam aber sicher merke ich wieder, wie ich wütend werde. Ich habe ganz klar eine Überdosis Robin intus. Und diesen Rausch muss ich dringend loswerden, bevor noch ein Missgeschick geschieht. "Venice, bitte." Ich schüttele den Kopf. "Hör auf. Ich werde jetzt da raus gehen und tun, was ich möchte. Genauso wie du das so ziemlich jeden Tag machst." Robin sieht entnervt an die Decke. "Du verstehst es nicht, Venice. Bleib hier drinnen. Bleib bei mir." Was will er mir damit sagen? Wieso ist er auf einmal so unentschlossen? So unsicher? Ich will irgendetwas sagen, überlege mir etwas schlagfertiges, mit dem ich ihm klarmachen kann, dass ich erwachsen bin, und sehr wohl eine Menge verstehe, aber bevor ich auch nur einen Ton sagen kann, steht er plötzlich genau vor mir und legt mir eine Hand an die Wange. Mein Atem stockt wegen dieser Geste, meine Haut scheint dort, wo er sie berührt, zu brennen. Wieder treffen unsere Blicke aufeinander, aber dieses Mal ist es anders. Seine Augen sind voller Leben, voller Emotionen, und endlich habe ich nicht das Gefühl ins Leere zu sehen. Und was ich sehe, ist Verlangen. Ich stelle mich so nah vor ihn, wie es geht, und will einfach nur diesen Moment festhalten. Ich beginne in meiner Jacke schon ziemlich zu schwitzen, innerlich fühle ich mich wie der verdammte Erdkern. Jetzt hebt er mit seinem kleinem Finger bei Kinn an, seine Hand bleibt dort, wo sie ist. 

Und als er mich küsst, ist es ein Kuss, der so viel mehr ist als nur ein Kuss. Erst ist er gefühlvoll, aber ich merke schnell, dass Robin mehr von diesem Kuss verlangt. Ich vergrabe meine Finger in seinem Haar und versuche, sein Gesicht näher an mich zu ziehen als es für uns beide möglich ist.  Ich will einfach, dass dieser Moment niemals endet.

Robin Brooks - CHANGESWo Geschichten leben. Entdecke jetzt