Ich will sie nicht verlieren. Nicht jetzt. Bitte, irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass sie wieder aufwacht! Venice... bitte. Ich knie mich vor sie und drücke ihre Hand an mein Gesicht, schließe die Augen und versuche, nicht in Panik auszubrechen. Wieso hat sie so eine Kontrolle über mich? Wann hat sie angefangen, meine Gedanken so dermaßen auf den Kopf zu stellen? War es, als sie aufgehört hat, mich mit diesem bewundernden Blick anzusehen? Oder war es, als ich gemerkt habe, dass ich sie über alles liebe?
Ich öffne langsam die Augen und versuche, irgendetwas anderes zu erkennen als die Dunkelheit. Was aber natürlich ziemlich unsinnig ist, da ich tatsächlich nicht die Gabe besitze, mit eingebauten Scheinwerfern in den Augen oder Ähnlichem meine Umgebung zu erfassen. Das überlasse ich dann doch lieber Special Agents des FBI. Ich muss halbwegs erahnen, wo ich bin. Ich liege auf dem Bett. Das bedeutet, dass ich im Schlafzimmer bin. Und dass es nachts ist. Langsam bekomme ich mein Bewusstsein wieder und versuche, mich aufzusetzen. Aber irgendetwas blockiert meinen Oberkörper, sich aufzurichten. Genauer gesagt, irgendwer. Denn es ist tatsächlich Robin, der seine Arme um mich geschlungen hat und schläft. Ich versuche, mir meinen Schrecken nicht anmerken zu lassen und mich langsam wieder in meine Ausgangsposition zurückzulegen. Aber es ist schon zu spät. "Venice?", flüstert Robin mit verschlafener Stimme und es klingt beinahe unerträglich attraktiv. Um es mit anderen Worten zu beschreiben: Ich habe mich noch nie mehr zu einer Stimme angezogen gefühlt wie in diesem Moment. Ein wenig überrascht von meinen Gedanken rolle ich mich auf die Seite und stelle mich schlafend. Irgendwie bin ich mir unsicher, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Und was zur Hölle ist gestern passiert? Es ist, als seien alle meine Erinnerungen an den gestrigen Tag ausradiert worden.
Und jetzt liege ich hier im Bett, umschlungen von dem Mann, der meine Gedankenwelt jeden Tag aufs neue an ihre Grenzen bringt. Was ist passiert? "Ja?", flüstere ich vorsichtig. "Geht es dir besser?" Sicherlich geht es mir besser, wenn er so nah bei mir ist. Aber mein Kopf sagt da etwas anderes. "Ja." Robin nimmt seine Arme wieder zu sich und schlagartig geht das Gefühl der Geborgenheit verloren und weicht den Zweifeln. "Kannst du auch etwas anderes sagen als 'Ja'?" Ich lächele leicht. "Ja." Ich rolle mich auf die andere Seite, um seine Reaktion zu sehen. Er hat die Augen geschlossen aber ein leichtes Lächeln zieht seine Mundwinkel nach oben. Und ich verspüre auf einmal den unglaublichen Drang ihn zu küssen. Schnell beiße ich mir auf die Unterlippe, als er seine Augen wieder öffnet und ich in das unergründliche Blau sehe. Er grinst jetzt fast schon. "Du bist verrückt, Venice, weißt du das?" Ich kann nicht anders und grinse zurück. "Das musst du mir nicht sagen, Brooks."
Schlagartig erstirbt das Lächeln auf seinen Lippen und er legt sich auf den Rücken. Sein Blick gilt der Decke und jegliche Form der Zuneigung wird durch diese absolute Distanzierung ersetzt, die ich so fürchte. Weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Ihn ignorieren? Das zeugt von Unsicherheit. Ihn darauf ansprechen? Dann ernte ich die selbe Parole wie sonst auch immer: "Ich brauche meinen Freiraum." Also egal was ich tue, ich kann es nur falsch machen. Also lege ich mich auch auf den Rücken und suche die Decke nach irgendetwas ab, das es wert ist anzustarren. "Was ist los?", höre ich mich selber sagen. Robin antwortet nicht. Er blickt weiterhin gedankenverloren an die Decke und ich gebe schon die Hoffnung auf, ein anständiges Gespräch führen zu können. Er seufzt. "Das wüsste ich manchmal auch gerne. Glaub mir. Aber so gerne ich es dir erzählen würde... ich muss es zuerst selbst herausfinden." Tja. Das ist doch etwas, mit dem ich etwas anfangen kann. "Du weißt, dass ich eigentlich immer noch deine Therapeutin bin, oder?" Ich rücke ein paar Zentimeter näher zu ihm. "Das heißt, dass du mir alles sagen kannst. Es ist mein Job, herauszufinden, was du hast. Und wie ich dir helfen kann." Jetzt dreht er sich auch auf die Seite zurück. "Und du weißt, dass ich immer noch Robin Brooks bin, das Sorgenkind der Klapse? Aber hey, weißt du was? Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass wir beide außerhalb der Anstalt nichts weiter sind als Menschen, das, was wir sind. Und nicht das, was andere in uns sehen. Oder eben nicht." Wahre Worte. Wieso bin ich nicht eher darauf gekommen? Weil sich in meinem Kopf das Bild von Robin als kranken Psychopathen schon so festgesetzt hat, dass ich niemals etwas anderes von ihm denken könnte. Außer dass er mich verwirrt. Wir sehen uns in die Augen und ich spüre mein Herz bis zum Hals schlagen, trotzdem bleibe ich seinem Blick standhaft. Er ist höchstens zehn Zentimeter von mir entfernt. Ich müsste nur meinen Kopf nur ein bisschen nach vorne neigen und die Anspannung in mir würde verschwinden. Oder sich verdoppeln, Saltos schlagen und anschließend explodieren. Oder beides in umgekehrter Reihenfolge. Ich spüre meinen Puls heftig gegen meine Haut pochen und meine Atmung, wie sie beschleunigt. Doch Robin- er ist die Ruhe in Person. Er sieht mich einfach an als würde er in meine Seele blicken. Und wer weiß, vielleicht tut er auch genau das.
"Robin.", flüstere ich leise, aber es klingt schon fast drängend. "Küss mich." Es pocht in meinen Ohren, ich sehe, wie er seine Augenbrauen anhebt und mich für einen Moment ungläubig ansieht. Und dann- dann tut er es wirklich. Und als seine Lippen endlich nach so endlos langer Zeit wieder die meinen treffen, ist das Gefühlsfeuerwerk in mir entfacht. Ich kann nicht anders, als meine Hände in seinen Nacken zu legen und ihn zu mir herunterzuziehen. Seine Lippen sind fordernd, ein Feuer, das mir Flammen über den gesamten Körper jagt. Stromschläge, die mich fast ausknocken. Ich vergrabe meine Finger in seinen Haaren und versuche ihn näher zu mir zu ziehen, was mir aber zu meiner Frustration nicht gelingt, weswegen ich nur ein ersticktes Stöhnen heraus bekomme. Robin hält inne und sieht mir in die Augen, vielleicht um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist, vielleicht aber auch weil er seine Risiken abschätzen muss. Ich ziehe ihn wieder zu mir und er beginnt, federleichte Küsse auf meinem Gesicht zu verteilen, die mich unwillkürlich an frische Blüten im Frühling erinnern. Zart, verletzlich. Ein ziemlicher Kontrast zu dem Funkenfeuer von eben. Robin entfernt sich wieder etwas, quälend langsam, als wolle er es selbst nicht. Dann sieht er mich wieder an. "Waren das genug Küsse?", flüstert er ganz leise, so leise, dass ich Mühe habe, ihn neben meinem Pochen in den Ohren zu verstehen. "Es können nie genug Küsse sein."
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Robin Brooks - CHANGES
Fiksi Remaja//!!Das ist der zweite Teil von 'Robin Brooks'. Um wirklich alle Inhalte zu verstehen, rate ich, den ersten Teil zuerst zu lesen.!!// Als Venice und Robin in Tadem, einer kleinen Stadt in Alaska, Zuflucht vor den Behörden finden, scheint endlich Ruh...