14 Complicated

976 63 1
                                    

Es ist nicht unbedingt leicht, die Ähnlichkeit zwischen den Beiden zu ignorieren. Ihre Gesten und ihre Mimik ist zeitweise identisch, ihr Gesicht hat die gleiche Form, sogar ihr Lachen ist zum Verwechseln ähnlich.
Nicht zu vergessen der allwissende Blick, mit dem die mich beide alle paar Sekunden bedenken. Ich sitze neben Robin und gegenüber von seinem Onkel und versuche zu verdrängen, dass er ein Serienmörder ist. Und ein Psychopath. Und knapp Dreiundzwanzig Jahre älter als ich.
Aber es ist nicht so einfach wie es klingt. Durch die vielen Parallelen zu seinem Neffen bin ich sowohl eingeschüchtert als auch fasziniert. Nick hat eine besondere Aura. Sie scheint jeden in den Bann zu ziehen, zumindest habe ich Robin noch nie so angespannt und unbeherrscht gesehen. Er verbindet mit seinem Onkel kein Familienmitglied, nein. Robin sieht ihn, aus welchem Grund auch immer, als Feind an. Robin greift unter dem Tisch nach meiner Hand und scheint sich selbst damit beruhigen zu wollen. Ich kann meine Augen nicht von Nick Hayets lösen, dem Nick Hayets, der vor einigen Jahren täglich in den Medien präsent war. Es ist als würde ich einen berühmten Superstar treffen. „Der Tee ist ausgezeichnet.", schmeichelt Nick und grinst mich dabei mit seinen strahlend weißen Zähnen an. Ich nicke. „Dankeschön, Sir." Nick beugt sich nach vorne. „Genug mit den Formalitäten. Ich bin Nick. Ich mag vielleicht älter sein, aber innerlich bin ich noch immer der gleiche Nick wie vor 23 Jahren." Seine Worte bleiben im Raum hängen und jeder scheint sie anders zu interpretieren. Ich nicke wieder. „Weißt du, Venice", beginnt er zu erzählen wie ein Weiser. „Ich bin froh darüber, dass Robin einen ebenso guten Frauengeschmack hat wie ich. Du bist wunderschön, Venice." Mein Magen zieht sich zusammen. Ein Kompliment von einem Frauenmörder? Wie reagiert man auf so etwas? Soll ich lachen? Oder eine schnippische Antwort geben? Die Wahl nimmt mir Robin ab. „Lass sie da raus, Nick. Sie hat nichts damit tun." Nicks Blick verweilt auf meinem Gesicht. „Ach ja." Er nickt, die gleiche Besserwisserische Mimik. „Wie viel weiß die wirklich, Robin?" Ein Blick auf Robin und ich kann mich wieder bewegen. Merkwürdig, wie er momentan mein größter Ruhepol ist, wie sehr ich ihm vertraue. „Sie kennt deine Akte. Aber kennt sie die Geschichte von Giulia?" Zack, Stille. Robin erstarrt und entzieht mir deine Hand. „Nick." Nick lehnt sich zurück. „Ihr seid nun so lange zusammen in der Einsamkeit und du hast es nicht für nötig gehalten, ihr das zu erzählen? Du hast es ihr wirklich vorenthalten?" Jetzt hat er Robin in seiner Hand. Er wirkt extrem angespannt, noch mehr als er ohnehin schon war, und ich merke, wie mein Vertrauen in ihn schwindet. „Ich..." Nick seufzt schwer. „Also hast du auch das von mir geerbt. Eine schlechte Eigenschaft, Robin. Du solltest ihr wirklich vertrauen. Sie ist dir bis ans Ende der Welt gefolgt. Was-"
„STOP!" Robin springt auf und sein Stuhl kippt dabei um. Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt. Er gleicht einem Siebzehnjährigen. Er steht kurz einfach nur da. Und auf einmal- auf einmal strömen Tränen über sein Gesicht. Mein Herz bricht bei diesem Anblick, ich kann es fast schon spüren. Dann dreht sich um und verlässt den Raum. Wir folgen ihn nicht. Dann kehrt Stille im Raum ein.
Es ist Nick,der das Wort ergreift. „Das ist Robin. So kenne ich den Kleinen." Mein Hass gegen diesen Mann ist nicht mehr in Worte zu fassen. „Wieso machen sie das? Was wollen Sie hier?" Nick setzt ein seliges Lächeln auf,das nicht zu dieser Situation passt. Er hat offensichtlich eine Wahrnehmungsstörung, eine verzerrte Auffassung der Realität. „Ich wollte nach dem Rechten sehen. Und ich wollte sehen, ob du tatsächlich tot bist. Auf Robin wurde... nun ja, ein ziemlich hohes Kopfgeld angesetzt. Es ist ein beliebtes Spiel, ihn zu finden. Um es kurz zu fassen war Abby schwer besorgt um ihren Bruder. Und der Rest ist Geschichte." Das Lächeln klebt ihm noch immer im Gesicht. Es bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Kopfgeld auf Robin?
„Sie sind ein verdammt schlechter Mensch, wissen sie das?" Ein wehmütiger Blick. Ich stehe auf und schüttele den Kopf.

Wenn ich eines erlernt habe, dann dass man Leuten wie Nick Hayets nie den Rücken zuwenden sollte. Also bewege ich mich rückwärts zur Tür, mein Blick fixiert weiterhin seinen.  „Ich möchte, dass Sie von hier verschwinden. Lassen Sie uns in Frieden. Bitte." Ich warte keine Antwort ab sondern verlasse den Raum.
Ich schließe die Tür hinter mir und sehe für eine Weile  auf die gegenüberliegende Wand.  Dann strömen auch mir Tränen über das Gesicht. Kann man so enttäuscht und wütend gleichzeitig sein?
Denn so wie ich mich momentan fühle, weiß ich nicht, wozu ich fähig bin.

Robin Brooks - CHANGESWo Geschichten leben. Entdecke jetzt