12 Good Times?

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Am nächsten Morgen wache ich sehr spät auf. Ich brauche einige Momente, um die Ereignisse des letzten Tages Revue passieren zu lassen. Ich spüre Robins starke Arme um meine Taille geschlungen und sein Gesicht in meinem Nacken. Und ich lächele. Ich habe mich noch nie in meinem ganzen Leben so wohl gefühlt- und so akzeptiert. Alle Probleme scheinen in den Hintergrund gerückt zu sein, so weit weg, dass sie nicht mehr zu erkennen sind. "Guten Morgen.", höre ich auf einmal Robins raue Stimme und mein Lächeln wird noch breiter. "Guten Morgen."Er streckt sich, bevor er sich aufsetzt und mich aus verschlafenen Augen ansieht, seine Haare stehen in alle Richtungen ab, aber trotzdem erscheint er mir engelsgleich. 'Das sind nur die Hormone, hör auf, so theatralisch zu sein', meldet sich mein Innerstes zu Wort. Aber ich verschiebe meine Gedanken und lege mich auf den Rücken. "Wie spät ist es?", fragt er. "Drei Uhr Mittags." Drei Uhr Mittags. Ich habe also gerade einen halben Tag meines Lebens verschlafen. 

Ich setze mich auf und bewege mich mit tapsigen Schritten zum Fenster und halte einen Moment inne, bevor ich den Vorhang beiseite schiebe.

Die bereits hoch stehende Sonne verbreitet so etwas wie Freude. Es ist wieder einer der Tage, an denen die Strahlen den Boden berühren und den schmelzenden Schnee wie eine Konfettilandschaft aussehen lassen. Ich habe schon lange die Orientierung über die Zeit verloren, aber ich spüre intuitiv, dass es irgendwann irgendwie Frühling wird.

Wenn man diesen kurzen Moment der Sonne als Frühlingsbeginn bezeichnen kann. Insbesondere hier in Tadem, das wohlgemerkt mitten in Alaska liegt.

Der Anblick vom Anbruch des Lebens fesselt mich so, dass ich eine ganze Weile am Fenster sitze und einfach nur nach draußen sehe.

Ich sehe das Licht.

Ich spüre die Wärme.

Ich fange an, zu hoffen.

Zu hoffen auf etwas, auf dass es sich zu hoffen lohnt. Etwas, das mir wie ein Ausweg erscheint aus dieser kalten, grauen Zeit mit meinen kalten, grauen Gedanken. Ein Licht am Ende des Tunnels, um es bildlich auszudrücken. Oder einfach das Luftholen, nach all der Zeit der Atemlosigkeit und dem Gefühl, zu ertrinken.

»Wenn ich dir mit irgendetwas helfen kann, lass es mich wissen.« Ich habe ihn nicht kommen hören, bis er hinter mir steht und mir wieder mein inneres Gleichgewicht durcheinander bringt. Die Stimmung ist auf einmal nicht mehr so harmonisch wie davor, sie ist chaotisch. Aber auf eine schöne Art und Weise. Das perfekte Chaos eben. Deswegen schleicht sich wie von selbst ein Lächeln auf meine Lippen als ich ihn ansehe. Sein Blick wird weicher und offener. Ich merke ihm seine Veränderung an- genau wie der Schnee scheint auch er aufzutauen. Zumindest distanziert er sich nicht mehr so stark von mir, sondern scheint mich endlich irgendwie zu akzeptieren, sich allmählich einig zu werden, welche Rolle ich in seinem Leben spielen soll. Und das nimmt mir einen Stein vom Herzen. Endlich sehe ich die Zeit der Verzweiflung hinter mir. Zumindest fast.

»Welches Datum haben wir?«, frage ich nach einer Weile. »Es ist der 4. Januar. Frohes Neues Jahr.«

Der vierte Januar- wie von selbst bildet sich ein Knoten in meinem Magen. Nun sind wir bald schon ein Jahr hier. Ein Jahr meines Lebens, das an mir vorbeigezogen ist. Ein ereignisloses Jahr, das aufregender nicht hätte sein können.

»Der vierte Januar...«, flüstere ich und richte meinen Blick in die Ferne. »350 Tage.«, erwidert er, als habe er meine Gedanken gelesen. Ich bringe nur ein Nicken zustande. »Aber was bedeutet schon Zeit?«

»Zeit.« -»Aus einer philosophischen Perspektive beschreibt die Zeit das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit kommend und zur Zukunft hinführend« [Anm. d. At. : Quelle: Wikipedia]

Zur Zukunft hinführend. Aber da diese doch ungewiss ist, ist jeder Gedanke an sie ein Gedanke ohne Sicherheit, es ist nur ein Wunschdenken. Aber wie viele Wünsche werden letztendlich schon wahr?

Vielleicht werden für dich Wünsche war, die du nie konkret geäußert hast.

»Möchtest du nach draußen gehen?«, fragt Robin auf einmal. Vermutlich spürt er, dass ich mich in eine Art gedankliche Sackgasse verfahre. Ich schenke ihm ein dankendes Lächeln und ziehe ihn an mich. »Sehr gerne.«

Robin Brooks - CHANGESWo Geschichten leben. Entdecke jetzt