Gedanken können manchmal Monster sein. Kreaturen des Schreckens, gestrickt aus dem Garn unserer Emotionen. Aber meistens ist das Grauenhafteste an ihnen die Tatsache, dass sie der Realität entsprechen und Situationen wiedergeben, die unwiderruflich sind. Ich musste diese Gewissheit schon seit vielen Jahren in mir herumtragen, und das alles begann zu der Zeit, in der die Leute anfingen über mich zu reden, hinter meinem Rücken Gerüchte über mich zu verbreiten und zu tuscheln, sobald ich an ihnen vorbeilief. "Robin, der Außenseiter", "Der komische Bruder von Abby". Die Bezeichnungen haben als einfache Späße angefangen, die einen winzigen Anteil an Wahrheit in sich trugen, aber mit der Zeit wurden sie immer beleidigender. Ich wurde nirgends ausgegrenzt, denn ich war schließlich immer noch Abbys Bruder, aber meine Freunde begannen sich mehr und mehr von mir zu distanzieren. Natürlich gab es auch Mutige, die versuchten, zu mir durchzukommen, nachdem ich mich fast schon selbst aufgegeben hatte und erkannte, dass die anderen Leute möglicherweise Recht hatten, wenn sie sagten, dass ich nur das Anhängsel meiner Schwester war. Und diese Mutigen waren der Grund, wieso ich auf einmal mehr sein wollte als der komische Außenseiter, der sich in keine wirkliche Gruppe einteilen ließ. Ich wollte den Leuten beweisen, dass ich anders war als sie dachten, wollte sie bereuen lassen, dass sie sich jemals über mich lustig gemacht hatten. Aber dazu musste ich zuerst beginnen, ihre Kommentare nicht mehr meine Gefühle verletzen zu lassen. Es waren zwei sehr schwierige Jahre meines Lebens, ich war noch nicht einmal auf der High School als ich mich jede Nacht in den Schlaf geweint habe, nur weil ich den ganzen Tag wie ein emotionsloser Roboter durch die Schulflure geirrt war und kaum mit meiner Schwester gesprochen hatte. Bereits vor meinem vierzehnten Lebensjahr hatte ich begonnen, mir Gedanken zu machen, wie ich mein Leben beenden könnte. Aber es waren weniger ausgereifte Pläne gewesen als schlichte Tagträume, in denen ich mir verschiedene Möglichkeiten ausdachte, zu sterben. Es war eine sehr frustrierende Zeit gewesen.
Aber eines Tages- war das alles vorbei. Wie über Nacht. Ich fühlte mich wieder stark genug, tagsüber das Haus zu verlassen, ohne innerlich an Selbsthass zu ersticken. Ich konnte anderen Leuten in die Augen blicken, ohne beschämt den Blick zu Boden zu wenden. Ich hatte endlich genug Selbstvertrauen gefasst, um die kritischen Bemerkungen anderer Leute an mir abprallen zu lassen. Ich hatte Barrieren errichtet, die ganz klar vernünftiges Handeln und Emotionen voneinander trennten. Ich fühlte mich stärker als jeder andere Mensch um mich herum, sowohl mental als auch körperlich überlegen. Ich fühlte mich stärker als mein Onkel, der Person, vor der ich mein Leben lang größten Respekt hatte. Und ich verspürte wie über Nacht plötzlich den Drang, allein zu sein. Die Gegenwart anderer Menschen war mir unangenehm geworden, ihre Meinungen und ihr unvernünftiges Handeln. Ich wollte mich noch mehr von allem distanzieren und ein Leben nach meinen Vorstellungen leben, der Autor meiner eigenen Geschichte sein. Dafür ist es wichtig, sich von allen Werten und Regeln loszulösen, die für uns normal sind und nicht in Frage gestellt werden würden. Und genau das tat ich auch.
Zuerst begann ich, dem Prinzip der Rache nachzugehen. Ich wollte diejenigen hinters Licht führen, die mir mein Leben jahrelang schwer gemacht hatten, und ich wollte es mit einem Lächeln auf den Lippen tun.
Mein erstes Opfer war Benjamin Cooper. Er hatte nicht nur mich mehrere Male verprügelt, sondern war auch einer der ehemaligen Verehrer meiner Schwester gewesen, bis er auch an ihr Hand angelegt hatte. Und ich hatte mir schon früher geschworen, dass er dafür einen hohen Preis würde zahlen müssen. Ich begann ihm zu folgen, nach der Schule nach Hause und in den Pausen. Ich lernte eine Menge über ihn, ich wusste alle seine mehr oder weniger angenehmen Angewohnheiten und konnte bald jeden seiner Freunde beim Vornamen nennen. Mitch. Rick. Brighton. Sie waren seine Mitläufer, denen ich einige blaue Flecke zu verdanken hatte.
Ich begann Benjamin Botschaften zu hinterlassen. Kleine Notizen, die ich in seiner Tasche, später dann auch in seinem Zimmer versteckt hatte. Ich terrorisierte ihn, um ihm ein Gefühl davon zu geben, wie es ist, in Angst zu leben. Ich hinterließ jedoch nichts, dass er auf mich zurückführen konnte, schließlich sollte er sich den Kopf darüber zerbrechen, wer ich war und wie ich mir Zugang zu seiner Privatsphäre verschaffen konnte.
Ich wollte andere leiden sehen. Ich war ein Sadist.
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Robin Brooks - CHANGES
Teen Fiction//!!Das ist der zweite Teil von 'Robin Brooks'. Um wirklich alle Inhalte zu verstehen, rate ich, den ersten Teil zuerst zu lesen.!!// Als Venice und Robin in Tadem, einer kleinen Stadt in Alaska, Zuflucht vor den Behörden finden, scheint endlich Ruh...