3. Thinking

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Es war ein grauer Herbsttag.Der starke Wind schien mit aller Kraft das Leben aus Whittown vertreiben zu wollen, und damit  war er auch ziemlich erfolgreich: es waren kaum mehr Leute auf den Straßen, und auch die Bäume reckten ihre schon relativ kahlen Äste gegen die graue Wolkenwand am Himmel, als schienen sie verzweifelt zu fragen, wieso ihnen schon wieder das Leben genommen wurde. Ich war ungefähr 12 Jahre alt und saß auf einer Bank am See im Park von Whittown, beobachtete, wie sich das Grau des Himmels im Wasser spiegelte und wie ein einzelner Schwan seine Runden zog. So anmutig. Wunderschön und doch gefürchtet. Und so alleine. Ich weiß nicht wieso, aber wie von selbst legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Es war kein glückliches Lächeln, aber es war ein Lächeln. Wenn Abby mich so gesehen hätte, wäre sie bestimmt vor lauter Überraschung in den See gefallen, dachte ich mir damals mit der merkwürdigen Phantasie, die man als Junge nunmal hat. Vor allem wenn man ich war. Und ich war kein wirklich normales Kind. Das begriff ich schon sehr früh. Wenn man so wollte, war ich das genaue Gegenteil von meiner Zwillingsschwester. Sie war immer aufgeschlossen, fröhlich und optimistisch. Beliebt. Ich war zwar auch ziemlich bekannt an unserer Schule, aber ich wahr eher berühmt-berüchtigt. Wenn sich die anderen Kinder mit Abby trafen, machten sie meistens einen große Bogen um mich, auch wenn sie öffentlich natürlich nie zugegeben hätten, dass sie ein Problem mit mir hatten. Deshalb musste ich schon früh lernen, mich mit meinen eigenen Problemen zu arrangieren. Und das größte Problem von allen war Nick Hayets.

Ich schüttelte den Gedanken an meinen Onkel ab und sah stattdessen zum Himmel hinauf. Vielleicht hätte ich sie kommen hören, wenn ich es nicht getan hätte. "Was suchst du hier?!", hörte ich die Stimme meiner Schwester und zuckte innerlich zusammen. Ich blickte sie an, Abby, wie sie vor mir stand. Ihre Haare, die sie sich vor wenigen Wochen schwarz gefärbt hatte, sie trug schon ihren Wintermantel, während ich am Morgen noch ein T-shirt aus dem Schrank gezogen hatte. "Ich entspanne mich.", antwortete ich mit ruhiger Stimme.  Ihre Augenbrauen zog sie ihn die Höhe. Dabei fiel mir auf, dass sie sogar Lidschatten aufgetragen hatte. Ihre beiden Augen glitzerten in einem warmen Bronzeton. "Robin, Mom ist kurz davor die Polizei zu rufen. Schon wieder. Wie oft willst du eigentlich noch abhauen?" Jetzt imitierte sie sogar den anklagenden Blick von Mom. Kein Wunder, bei mir hatte sie ja auch genügend Möglichkeiten, ihn sich abzuschauen. Ich zuckte bloß mit den Schultern und ließ den Wind um meine Arme wehen. Ob man sich irgendwann an die Kälte gewöhnen würde? Ich versuchte es. Vielleicht würden die anderen mich endlich für jemand Gefährliches halten, wenn ich mitten im Winter im T-shirt unterwegs wäre. Vielleicht hätte dann auch Nick Angst vor mir. Oder sie alle würden mich für verrückt halten. Die wahrscheinlichste meiner Theorien, wie ich mir später eingestehen musste."Mom muss nicht die Polizei rufen. Sie weiß, wo ich bin. Ich bin immer am See, Abby. Das weißt du." Abby ließ ein empörtes Geräusch vernehmen und sie verschränkte die Arme. "Wir haben uns nur Sorgen gemacht, du Idiot. Wer weiß, vielleicht ist der Wind irgendwann so stark, dass er deinen dürren Arsch in den See weht oder so." Ich weiß noch, wie ich aufstand und meiner Schwester einen Arm um die Schulter legte. "Lass mich einfach in Ruhe.", flüsterte ich, so, dass sie es nicht hören konnte. Sie wusste ja nicht, was ich am See zu suchen hatte. Was ich immer zu suchen hatte. Niemand hätte je einen Verdacht geschöpft. Aber trotzdem tauchte jedes Mal Abby auf, bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte. 

Zuhause erwartete mich das übliche Chaos. Mom, die im Hausflur auf-und abging, den Blick besorgt an die Wand geheftet. ALs sie Abby und mich kommen hörte, drehte sie sich schlagartig um, und den Blick, den sie mir schenkte, werde ich wohl nie wieder vergessen. Sie war nicht wütend. Wahrscheinlich hätte ich mich sogar besser gefühlt, wenn sie mich angeschrien hätte. Dann hätte ich nicht die Enttäuschung in ihrem Blick sehen müssen. Es ist klar, bei Zwillingen gibt es immer ein Kind, das ungewollt ist. Und in diesem Augenblick ist mir zum ersten Mal aufgefallen, das ich dieses ungewollte Kind bin. Die Enttäuschung der Familie. Vielleicht sogar die Enttäuschung der ganzen Stadt, wenn man von meinem relativ blutrünstigen Onkel absah. Vielleicht wäre sogar mein flüchtiger Vater enttäuscht von mir. Und das zu fühlen, diese Erkenntnis bekommen zu haben... ich glaube, das war einer der Momente, in denen mein Leben zum ersten Mal einen Knacks abbekommen habe. Und somit auch ich. Diese Enttäuschung war nur einer der Erfahrungen, die mich letztendlich in den Wahnsinn trieben.

Ich wollte nie wieder jemanden so enttäuschen. Und die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, war, niemanden mehr nah genug an mich heranzulassen, um ihn zu enttäuschen.



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Ja, das war das erste Kapitel aus der Sicht von Robin, falls ihr es bis jetzt noch nicht erraten habt ;-) Und ich möchte wirklich mal euer Feedback haben- entspricht es euren Erwartungen oder hab ich noch ein bisschen was zu tun beim nächsten Mal? Sagt mir eure Meinung - per DM oder in den Kommentaren :)

Robin Brooks - CHANGESWo Geschichten leben. Entdecke jetzt