Ich sehe Robins Silhouette hinterher, bis ich ihre Umrisse in der Dunkelheit nicht mehr ausmachen kann. Was er gesagt hat, trifft mich. Nicht wegen der Kälte seiner Worte, sondern wegen dieser unerträglichen Trauer und dem Frust, der hinter ihnen steckt. Dieser Konflikt in ihm, vor dem er nicht davonlaufen kann. Die Vergangenheit, die ihn geformt hat, die ihn aber nicht festhalten konnte.
Ich verschränke die Arme vor meinem Körper und starre in das Feuer hinein. Es wärmt mein Gesicht, aber tiefer dringt die Wärme nicht. "Wie kann ich es dir nur Recht machen, Robin?", flüstere ich leise.
Ich habe keine Angst mehr. Nicht vor diesem Wald, nicht vor der Zukunft und auch nicht davor, dass Robin nicht zurückkehren könnte. Er wird wiederkommen. Das ist seine kalte Schulter, die er lange verdrängt hat, aber nun wieder zum Vorschein bringt. Der Mord an seinem Onkel...
Ich schüttele den Kopf und entschließe mich dazu, in der Höhle auf ihn zu warten. Doch kaum lege ich meinen Kopf auf dem eher minder gepolsterten Schlafplatz ab, werde ich vom Schlaf übermannt.
Als ich aufwache, ist es hell. Eine kleine Rauchwolke steigt aus der Feuerstelle empor, der Schnee blendet mich. Robin. Ich setze mich abrupt auf, wobei ich mir beinah den Kopf an der Höhlendecke stoße, und blicke mich um. Und da liegt er, hinter mir, den Blick starr zur Decke gerichtet. Erleichterung macht sich in mir breit. Ich nehme sein Gesicht in die Hände und küsse ihn. Dann fixiere ich ihn mit festem Blick. "Mach das nie wieder." Er legt den Kopf schräg. "Lauf nie wieder so vor deinen Problemen davon. Wenn du Sorgen hast, besprichst du sie mit MIR. Verstanden?" Robin schließt die Augen. Dann beginnt er zu grinsen. "Aber sicher doch. Mein persönlicher Sorgenfresser." Obwohl ich eigentlich sauer auf ihn sein möchte, legt sich ein Grinsen auf meine Lippen. "Idiot."
Ich weiß nicht, warum es mir immer so leicht fällt, ihm zu verzeihen. Es sollte mich rasend machen, mir die Sinne benebeln, mich endlich einmal klar sehen lassen, aber Liebe macht nunmal blind. Und wenn sie einem manipulativen Psychopathen wie Robin gilt, erst recht. Es bleibt mir selbst ein Rätsel, wie ich in eine solche Situation kommen konnte- doch die Wege der Liebe sind manchmal unergründlich.
Ich weiß nicht, wie lange wir uns einen Weg durch den undurchlässigen Schnee gebahnt haben, als ich in der Ferne Rauchschwaden ausmachen kann. "Zivilisation!" Auch wenn es nur ein kleines Dorf sein mag, weiß ich, dass sich jetzt vermutlich alles ändern wird. Einem kleinem Dorf folgt ein größeres Dorf, und irgendwann werden wir in einer großen Stadt ankommen, wo uns hoffentlich alle Türen offen stehen werden. "Na dann hoffen wir mal, dass alles gut gehen wird." Ich greife nach Robins Hand und halte sie fest in meiner. "Keine Angst. Wir werden einen Weg finden, das verspreche ich dir." Er sieht mich aus seinen unergründlichen blauen Augen besorgt an. "Ich hoffe, du hast Recht. Ich wüsste nicht, was ich noch ohne dich tun würde." Er zaust mir mit seiner freien Hand durch mein kurzes Haar. "Ich habe mich schon viel zu sehr daran gewöhnt, meine kleine Therapeutin immer bei mir zu haben." Er lächelt sanft. Ich lächele zurück. "Wir schaffen das."
Das Dorf ist tatsächlich um einiges größer, als es aus der Ferne ausgesehen hatte. Rege Märkte und wuselnde Menschen füllen die Straßen, alle auf der Suche nach einem guten Angebot, einem Schnäppchen, oder einfach nur nach einer Ablenkung aus ihrem tristen, grauen Dorfleben. Robin und ich bahnen uns einen Weg durch die Seitengassen, immer vorsichtig darauf bedacht, nicht gesehen oder erkannt zu werden. Man muss nur wissen, wie man in der Masse verschwinden kann; unauffällig und still. Kleineren Läden statten wir einen Besuch ab, für Lebensmittel und Kleidung. Als wir uns nach einem Bahnhof oder Reisebusstation umsehen, bleibt mein Blick an einer Telefonzelle hängen. Abrupt bleibe ich stehen. Sollte ich es wagen? Mein Bauchgefühl springt von einem überschwänglichen Ja zu einem vorsichtigen und verängstigten Nein hin und her- ich weiß, dass es eine absolut dumme Idee ist, und trotzdem muss ich es wagen. Aus irgendeinem Grund muss ich es einfach tun.
Robin bemerkt, dass ich stehen geblieben bin, und folgt meinem Blick. Als er versteht, was ich in Begriff zu tun bin, nickt er wissend. "Bist du dir sicher?" Langsam schüttele ich den Kopf, während ich in meiner Hosentasche nach einem 25ct Stück krame und mich mit langsamen Schritten der Zelle nähere. Wie hoch ist denn bitte die Wahrscheinlichkeit, dass...
Ich werfe die Münze ein und drücke mit zitternden Fingern die Tasten, eine Kombination aus Zahlen, die mir genauso ins Hirn eingebrannt ist wie mein Geburtsdatum. Das Freizeichen ertönt. Einmal. Zweimal. Ich wusste es doch. Dreimal. Sie sind bestimmt beschäftigt- "Hallo?" Die Stimme klingt so nah und ergreift mein Innerstes. Eine Welle von Emotionen überrollt mich und ein großer Kloß bildet sich in meinem Hals. Mama. "Hallo, wer ist denn da?" Es fühlt sich an, als hätte ich ihre Stimme seit 10 Jahren nicht vernommen. Tränen beginnen über mein Gesicht zu fließen. Erleichterung und Trauer machen sich in mir breit. So viel verschwendete Zeit. "Hallo?!" Gerade, als ich endlich den Mut fassen will, zu antworten, klopft Robin gegen die Scheibe. Erschrocken sehe ich ihn an und mein Blick folgt seinem Zeigefinger.
Er zeigt auf ein Poster. Unter der fetten roten Aufschrift "GESUCHT" sind unsere beiden Gesichter zu erkennen. Mir wird schlagartig übel.
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Robin Brooks - CHANGES
Teen Fiction//!!Das ist der zweite Teil von 'Robin Brooks'. Um wirklich alle Inhalte zu verstehen, rate ich, den ersten Teil zuerst zu lesen.!!// Als Venice und Robin in Tadem, einer kleinen Stadt in Alaska, Zuflucht vor den Behörden finden, scheint endlich Ruh...