Kapitel 4 - „Und dann sah ich sie"

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Malik's Sicht

Ein Klopfen an meiner Fensterscheibe weckte mich auf. Ich hatte richtig Kopfschmerzen, öffnete dementsprechend verträumt die Fensterscheibe meines Autos und sah meinem Onkel direkt in die Augen. "Du bist zu spät!", sagte er wütend. Ich zuckte mit meinen Augenbrauen, um zu zeigen, wie egal mir das war.

"Deine Schwester heiratet heute, beweg deinen Arsch.", sagte er und begab sich ins Saal. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon 20 Uhr war. Ich schaltete das Klima aus, zog mir das schwarze T-Shirt mit dem Aufdruck "Security" an und stieg aus dem Auto.

Dass meine Schwester an dem Tag heiraten sollte, interessierte mich genauso viel, wie die Skandale von Pietro und Sarah. Es war mir scheiß egal. Ich kam an dem Punkt meines Lebens an, in dem mir einfach alles egal war.

Ich zündete mir eine Zigarette an und lief mit langsamen Schritten Richtung Saal. Seit Ewigkeiten kam ich nicht mehr hierhin. Mein Vater hatte anscheinend etwas aus der Bude rausgeholt, denn als wir das Saal kauften, war es noch tot und ohne Leben. Mein Vater konnte gut Gebäuden Leben verleihen oder sich mit den Aktien beschäftigen, aber wenn es um seine eigene Familie ging hatte er keine Ahnung.

Vor der Eingangstür des Saales sah ich meinen Vater wütend auf mich zu kommen. Seine Augen strahlten Wut aus:" WO BIST DU GEWESEN?" Ich rauche entspannt meine Zigarette zu Ende und gab ihm keine Antwort. "Hast du eine Ahnung wie peinlich es ist, wenn der Bruder der Braut zu spät auf die Hochzeit kommt?", fragte er mich kleinlaut. Ich verdrehte die Augen:" Noch viel peinlicher ist es, dass er als Sicherheitsmann arbeitet."

Mein Vater fing an zu lachen:" Sei froh, dass du überhaupt kommen durftest." Mit diesen Worten betrat er wieder den Saal und ich sah ihm wütend nach. Ich hasste meinen Vater und es beruhte auf Gegenseitigkeit. Er hasste mich wie die Pest. Erst nach 21 Jahren konnte ich mich mit der Tatsache jedoch anfreunden.

Jahrelang versuche ich Liebe von ihm zu bekommen. Liebe war noch zu viel verlangt, nicht einmal Aufmerksamkeit schenkte er mir. Ich dachte, er würde mich beachten, wenn ich gute Noten schreibe oder irgendwelche Auszeichnungen Gewinne. Nicht einmal gratuliert hatte er mir. Doch ich wusste mit der Zeit, wie ich seine Aufmerksamkeit verdiene. Ich musste nur anfangen das zu tun, was er nicht duldete. Und da mein Vater nur auf die Äußerlichkeiten achtete, genügte es schon zu trinken und dabei von anderen gesehen zu werden. Meine Mutter sagte immer "Malik, dein Vater hat keine Zeit!" - Doch ich wusste den Unterschied zwischen Zeit haben und keine Zeit haben: Es heißt Interesse.

Ich tat deswegen die verrücktesten Sachen, wie zum Beispiel klauen und kiffen. Das wichtigste an der ganzen Sache war es, erwischt zu werden. Und im Handumdrehen sprach mein Vater mir mir. Okay, es war eher ein Wutanfall, als ein normales Gespräch.

Als ich das Saal betrat, bemerkte ich, wie viele Gäste da waren. Bestimmt mehrere Hundert. Vielleicht sogar Tausend. Meine Mutter lief besorgt auf mich zu:" Mein Sohn, wo steckst du?" Ich war genervt:" Ich bin doch jetzt da."

Sie schüttelte sofort ihren Kopf:" Nein, das mein ich nicht. Du kommst seit Wochen nicht nach Hause und an meine Anrufe gehst du auch nicht dran. Wo schläfst du? Komm doch bitte nach Hause.."

Ich sah, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten und ich umarmte sie sofort. Meine Mutter war die einzige, die immer für mich da war, doch ich war ein schrecklicher Sohn. Aus diesem Grund suchte ich immer das Ferne, damit ich sie nicht weiter verletzte.

"Ich schlafe bei einem Freund, mir geht es gut. Bitte, mach dir keine Sorgen um mich." Natürlich war das gelogen. Die meisten Nächte schlief ich in meinem Auto, ansonsten suchte ich mir ein Hotel.

Somit konnte ich sie überreden und fing an zu arbeiten. Ich stellte mich Nähe der Tanzfläche und sah mir die Gäste an. Ob jemand zu viel trinkt und unangenehm auffällt oder ob jemand belästigt wird.

Ich sah auf meine Schwester, die gerade tanzte und auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln. Sie hatte es geschafft. Sie konnte endlich den Jungen heiraten, den sie so sehr liebte. Denn meine Schwester hatte aufgrund meines Vaters ebenfalls viel durchgemacht. Nur weil der Junge nicht so viel Geld hatte, wollte mein Vater ihn nicht in der Familie haben. Aber die beiden kämpften so viel füreinander und hatten es endlich geschafft.

Gegen 12 Uhr näherte sich das Ende der Hochzeit und die meisten Gäste waren schon weg. Ich stand noch immer in der Nähe der Tanzfläche und sah, wie meine Schwester mit der Familie Bilder schoss. Wut sammelte sich schlagartig in mir. In meinen Augen war das keine Familie. Sie taten so, als seien sie perfekt, doch eigentlich waren sie von Perfektion so weit entfernt. Jeder hatte seine eigenen Macken, doch keiner sprach darüber.

Wie ich jeden von ihnen einfach hasste. Vor allem meinen Bruder Bilal. Er war der Erstgeborene Sohn und somit wurde er wie ein nachfolgender König erzogen. Meine Eltern bevorzugten ihn immer mehr als meine Schwester und mich. Er bekam immer das, was er wollte und genau deswegen wurde er so ein Monster. Seit mal ehrlich, was soll ich noch von ihnen halten, außer Abstand?

"Komm doch auch auf das Foto", schrie meine Schwester. Sie holte mich aus meinen Gedanken und ich sah sie kopfschüttelnd an. Bevor sie noch etwas sagen konnte, griff mein Onkel wieder ein. "Wenn er nicht will, ist er selbst Schuld.", sagte er und versuchte die Aufmerksamkeit von mir zu lenken. Meine Tante unterstützte seine Worte sofort:" Beachtet ihn einfach nicht." Und schlagartig wandte sich jeder einzelne von ihnen von mir ab und sie schossen die Fotos.

Als hätten sie für mich Gefühle. Könnte sterben und sie verzieh'n keine Miene.

Gerade als ich mich darüber aufregen wollte, ertönte ein Krach. Hektisch sah ich mich um, woher dieser Krach kam.

Und dann sah ich sie. Suzan. Genau in dem Moment vergas ich alles um mich herum und spürte, wie sich mein eiskaltes Herz langsam erwärmte..

MALIKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt