Kapitel 9 - Der Kampf

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„Bipolare Störung"

Ich hatte vor einem Jahr ein Referat darüber halten müssen. Ich wusste ganz genau, was das für eine Krankheit war.

[Menschen, die an einer Bipolaren Störung leiden, erleben ein ständiges Auf und Ab der Gefühle. Denn die psychische Störung ist gekennzeichnet von depressiven und manischen Phasen, die sich abwechseln. Eine Zeit lang fühlen sich Betroffene sehr niedergeschlagen, dann wiederum sind sie euphorisch, aufgedreht, hyperaktiv und überschätzen ihre Fähigkeiten. Betroffene haben ein erhöhtes Suizidrisiko.]

Ich stand wie starr. Malik sah mich nicht mehr an sondern sah in den Himmel. Wie hätte ich mich verhalten sollen? Malik nickte:" Mit der Reaktion hab ich gerechnet." Er stand wütend auf und ergänzte:" Deswegen rede ich mit niemanden über mich!" Sofort stand ich ebenfalls auf und ohne ein Wort zu sagen umarmte ich ihn ganz fest. Ich könnte sein Herzschlag fühlen. Es klopfte so schnell. Malik wer zerbrechlicher als ich dachte.

„Ich brauch dein Mitleid nicht.", gab er kalt von sich. Langsam lies ich ihn los:" Ich hab kein Mitleid mit dir.." „Gut, denn ich habe die Krankheit fast überwunden." Ich atmete auf und lächelte:" puh, wieso sagst du das nicht früher?" Er war deutlich angespannt. Etwas belastete ihn, aber was nur?

Ich nahm seine Hand zärtlich fest, setze mich zurück auf die Bank und nahm ihn mit. „Malik, du kannst mit mir über alles reden. Du kannst mir vertrauen.", sagte ich in der Hoffnung er würde sich öffnen. Was er auch tat. Er holte sich tief Luft und begann mir seine Lebensgeschichte zu erzählen. Von dem desinteressierten Vater, zum bevorzugten Bruder und bis hin zu seiner rebellischen Jugend, die nach Aufmerksamkeit kämpfte. Er erzählte mir auch, dass er nicht mehr zuhause sondern in seinem Auto wohnt und auf der Hochzeit seiner Schwester arbeiten musste. Er durfte nicht einmal auf die Fotos.

„Das einzige, was mir hilft meine Wut abzulassen ist das Boxen. Ich tu es seit vielen Jahren und es befreit die Dämonen in mir."

„Ist das denn wirklich gut zu Boxen? Ich mein wegen deiner Krankheit.." Malik unterbrach mich sofort mit einem Lachen:" Ich nehme Medikamente und gehe zur Psychotherapie. Meine Ärzte sagen, alles ist im grünen Bereich. Mach dir keine Sorgen!" Ich nickte und hackte nicht mehr darauf ein.

„Ich habe morgen Training. Wenn du willst komm und guck mir dabei zu.", schlug er vor. Ich nickte sofort und war einverstanden. Ich wusste, dass Malik eine Herausforderung sein wird. Und ich war fest davon entschlossen die Herausforderung anzunehmen.

Nächster Tag

Die sanfte Stimme meiner Mutter weckte mich:" Suzan mein Kind, Kübra und ihre Mutter kommen gleich zum Frühstücken. Steh auf und wasch dein Gesicht."

Ich stand unwillkürlich auf und begab mich ins Badezimmer. Eine gewisse Wärme machte sich in meinem Körper breit, jedes Mal wenn ich an Malik dachte. Wie war es nur möglich, dass ich in nur wenigen Tagen Abhängigkeit verspüre? Das war doch nicht normal.

Nachdem ich mein Gesicht gründlich gewaschen habe, sah ich in den Spiegel und bemerkte, dass ich Fröhlichkeit ausstrahlte. Bis vor kurzem strahlten meine Augen etwas trübes und ungesundes aus. Doch jetzt war alles anders.

Als Kübra und ihre Mutter zum Frühstück kamen, setzte sich Emre, mein Bruder auch zu uns. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er irgendwann freiwillig so früh zum frühstücken aufstand. Er setzte sich neben Kübra und schlagartig kam die unterdrückte Erinnerung hoch. Die beiden hatten ein Verhältnis zueinander!

Ich verzog das Gesicht und konnte mein Blick nicht von ihnen lösen. Sie sahen sich zwar nur selten an, aber ich konnte die Spannung deutlich erkennen. Es kotze mich an. Wieso lügt Kübra mich an? Von meinem Bruder hab ich es nicht anders erwartet, aber Kübra war meine beste Freundin.

Das Training von Malik sollte um 16 Uhr beginnen, also fing ich an um 14:30 Uhr mich fertig zu machen. Ich stieg unter die Dusche, zupfte meine Augenbrauen und schminkte mich ganz leicht. Dann zog ich etwas schlichtes an und verließ das Haus. Ich durfte das Auto nehmen und auf der Fahrt dorthin hörte ich ganz laut Musik. Ardian Bujupi war im Moment mein Lieblingssänger. Vorallem sein Song „Andiamo" mochte ich besonders gerne.

Vor dem Gebäude stand ganz fett „KICKBOXEN", also schien ich richtig gekommen zu sein. Ich betrat zunächst einen leeren Flur und wusste nicht, wie ich mich zu verhalten hatte. Anscheinend gab es mehrere Umkleidekabinen und am Ende des Flures sah ich eine etwas größere Tür. Je näher ich der Tür kam, desto deutlicher hörte ich Schläge und Gestöhne. Ich öffnete langsam die Tür und betrat eine mittelgroße Halle mit ungefähr 30 Personen. Malik stand schon im Ring und bereitete sich auf den Kampf vor. Doch als er mich endlich sah, kam er sofort auf mich zu.

Er trug nur eine blaue, kurze Sporthose mit einem farbigen Gürtel, Handschuhe und einen Helm. Als er aus dem Ring geklettert ist, umarmte er mich leidenschaftlich und flüsterte:" Du bist gekommen!"

Für mich war das selbstverständlich, doch es brach mir das Herz, dass es für ihn nicht war. Malik ließ mich langsam los und zeigte unauffällig auf einen anderen Boxer, der sich warm machte. „Gegen den Kämpfe ich heute.", sagte er. „Ich dachte, das wäre ein Training." Er lachte:" Ist es doch auch." Ich war verwirrt, doch plötzlich stockte mir der Atem.

Ich sah Bilal, Malik's ekelhaften Bruder in der Ecke. Mein Herz schien zu explodieren und Angst machte sich in meinem Körper breit. Was hatte er hier verloren?

Malik sah in die Richtung, in die ich ununterbrochen sah und wusste, weshalb sich meine Mimik derartig veränderte. „Beruhig dich! Er kann dir nichts tun. Ich bin doch hier.." Ich konnte ihm nicht zuhören, meine Augen füllten sich mit Tränen, denn die Erinnerung mit Bilal erschien wie ein Film vor meinen Augen. Ich konnte nicht mehr regelmäßig atmen, als würde mir jemand die Luft rauben. Und dieser jemand war ganz klar Bilal. Ich hasste ihn abgrundtief.

„Hast du ihn auch eingeladen?", fragte ich mit meiner brüchigen Stimme. „Nein, er ist nicht einmal für mich gekommen. Sondern für seinen besten Freund, gegen den ich gleich antrete.", in Malik's Stimme konnte ich Unsicherheit raushören. Er war besorgt um mich. Also rappelte ich mich auf und sprach mir innerlich Mut zu, ich würde diesen Tag auch überstehen. Ich drückte Malik eine Umarmung und sprach auch ihm Mut zu:" Du schaffst das. Ich glaub an dich, Malik."

Er freute sich wie ein kleines Kind über meine Worte, gab mir schnell einen Kuss auf die Wange und kletterte zurück in den Ring. Der Kamp begann. Ich hielt ununterbrochen die von Malik geküsste Wange in meinen Händen. Auf meinen Lippen war ein fettes Grinsen aufgesetzt. Ich war glücklich.

Das, was Malik und der Junge taten sah so schmerzhaft und krank aus. Ich stand nah am Ring und konnte jeden Schlag sehen und auch spüren. Sie schlugen sich mit Händen und Füßen und ich muss schon zugeben - Malik war sehr gut. Seine Muskeln sprangen aus seinem Körper und seine Adern waren mit Adrenalin gefüllt. Er sah so sexy aus. Ich schmelze beinahe dahin.

Um den Moment festzuhalten nahm ich mein Handy aus meiner Tasche und machte ein Foto von Malik.

„Man darf hier keine Fotos machen.", ertönte eine Stimme direkt hinter mir. Ich sprang erschrocken auf und sah direkt in Bilals gefährliche Augen. Mein Herz klopfte mir beinahe aus der Brust. Aus Angst er könnte mein Herzklopfen hören, versuchte ich mit meiner brüchigen Stimme es zu überspielen:" Was willst du von mir?"

Bilal kam mir ein Schritt näher und sagte:" Ich möchte mich bei dir entschuldigen."

MALIKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt