Kapitel 34 - Der Anfall

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Maliks Sicht

„Es sieht alles gut aus. Morgen früh gucken wir nach ihrer Lage und wenn es sich nicht verschlechtert dürfen sie auch nach Hause gehen, Herr Güven.", versicherte mir die Ärztin.

Ich nickte und war erleichtert. Das Krankenhausessen war schon ekelhaft genug, doch ich konnte die Atmosphäre und die Luft hier überhaupt nicht ertragen.

Meine Mutter lächelte mich glücklich an: „Endlich kommst du hier raus."

Ich hielt die Frage immer wieder zurück, doch ich konnte es nicht mehr aushalten: „Kam mein Vater?" Meine Mutter sah mich fragend an, doch sie wusste ganz genau was ich meinte. „Kam er nicht, um nach mir zu sehen?"

„Du kennst doch deinen Vater. Er hatte viel zu tun wegen seiner Arbeit, Malik. Aber er hat durchgehend angerufen und sich große Sorgen gemacht."

Ich unterbrach sie lachend: „Du kannst echt nicht lügen." Sie gab schließlich auf und setzte sich an meine Bettkante. „Du brauchst ihn nicht. Du hast ihn noch nie gebraucht. Ich bin doch für dich da.", mit diesen Worten strich mir meine Mutter zärtlich durch die Haare. Ich nickte und wollte sie nicht noch mehr unter Druck setzten. Mein Leben lang habe ich ohne mein Vater gelebt, auf seine Unterstützung nie gehofft und sie auch nie bekommen. Irgendwann findet man sich damit ab, das der eigene Vater einen nicht liebt, nicht respektiert oder gar ernst nimmt. Aber das dauert nunmal.

„HILFE! ICH BRAUCHE HILFE!", hörte ich Ilayda schreien und meine Mutter und ich bekamen schlagartig Panik. Sie stand sofort auf und rannte zu Ilayda in den Flur, doch ich war durch meine Infusionen und Kabel gehindert aufzustehen. Ich hörte Batuhan weinen und wurde unruhig. „WAS IST DA LOS?", schrie ich, doch bekam keine Antwort. Auf einmal rannten Ärzte und Schwestern mit einer Trage zu Ilayda und Batuhan. Noch immer konnte ich nicht sehen, was los war. Doch der Gedanke, dass es um meinen Sohn ging machte mich verrückt. „ILAYDA!", schrie ich. „WAS IST LOS?"

Nachdem ich wieder keine Antwort bekam riss ich mir mit voller Wut die Infusion aus meiner Ader und die Kabel von meiner Brust. Ich rannte in den Flur und sah wie sie Batuhan auf eine Trage legten und mit ihm weiterliefen. Ilayda war am weinen und meine Mutter hielt sie in ihren Armen. Die Ärzte verschwanden hinter einer großen Glastür.

„Was ist passiert?", fragte ich diesmal sanfter. Doch ich bekam keine Antwort, stattdessen ließ Ilayda meine Mutter los und rannte zur Toilette. Ich sah sie hilflos an und sie führte mich zurück in mein Krankenbett. Sie bat mich, mich zu setzten. Ich wurde immer ungeduldiger.

„Erinnerst du dich, als ich dir gesagt habe, dass Ilayda lügt?", fragte sie mich und ich nickte erwartungsvoll.

„Mein Sohn, Ilayda hat Dir verschwiegen, dass Batuhan mit einem Herzfehler geboren wurde. Als wir dich ins Krankenhaus brachten, ließ Ilayda Batuhan checken und die Ärzte meinten, sie müssen sofort operieren. Ilayda ist dagegen, sie hat Angst um ihn und vor den großen Risiken. Aber Batuhan hatte wieder einen Anfall. Jetzt müssen sie ihn operieren, es tut mir leid.."

Ich erstarrte und versuchte die Informationen zu verarbeiten. Ilayda müsste es schrecklich gehen und ich hatte große Angst um Batuhan. Doch meine Emotionen konnte ich nicht ausleben, da auch schon Ilayda mit einem Arzt herein kam.

„WIE GEHT ES MEINEM SOHN?", schrie Ilayda. „Er ist jetzt in der Narkose. Wir brauchen aber einen Blutspender und auch am Besten das Blut der Eltern."

„Nehmen sie so viel Blut, wie sie brauchen von mir.", forderte Ilayda ihn hektisch auf. „Sie wären tatsächlich die erste Wahl, allerdings haben wir sie überprüft und sie kämen als Spender nicht in Frage. Sie haben das Risiko spongiforme Enzephalopathien zu übertragen. Wir brauchen leider den Vater."

„Kein Problem."

Eine Schwester kam und wollte mir mein Blut abnehmen. Sie sah in meine Akte und hielt an. „Welche Blutgruppe haben sie?", fragte sie Ilayda. Völlig verwirrt antwortete sie: „B". Die Schwester sah nochmal verwirrt in meine Akte. „Was ist das Problem?", fragte meine Mutter.

Die Schwester packte ihre Sachen wieder ein: „Tut mir leid, wir brauchen den Vater des Kindes."

„Ich bin der Vater?", schrie ich förmlich und wurde ungeduldig.

„Ilayda hat die Blutgruppe B und Sie, Herr Güven haben 0. Batuhan allerdings hat die Blutgruppe A. Also kämen sie Beide als Spender nicht in Frage."

„Ich versteh nicht richtig. Batuhan müsste entweder Ilaydas oder meine Blutgruppe haben. Sie liegen da falsch, prüfen sie gefälligst nochmal die Akte meines Kindes!", schrie ich.

Ilayda stand ruhig in der Ecke, auch meine Mutter war stumm. Was war hier nur los?

„Bilal. Er hat Blutgruppe A.", murmelte meine Mutter.

Ich sah sie für einige Sekunden regungslos an. Die Puzzleteile in meinem Kopf passten endlich zusammen und ich begriff, was hier los war.

„Batuhan ist nicht mein Sohn. Er ist Bilals.", ich sah Ilayda an. Doch sie vermied jeglichen Blickkontakt.

„Du hast mit meinem Bruder geschlafen?", fragte ich mit einer ruhigen Stimme. Ich versuchte nicht auszurasten und mich zu beherrschen. Ilayda antwortete mir nicht.

„Wusstest du, dass ich nicht der Vater bin?", fragte ich und bekam wieder keine Antwort.

Ich bekam starke Kopfschmerzen und fing an ironisch zu lachen. Während Ilayda in der Ecke stand und weinte, versuchte meine Mutter mich zu beruhigen. „Mein Sohn..", sie fasste meine Schultern an. Doch ich lachte immer lauter und lauter.

„Ich dachte monatelang dieses Kind ist mein Kind. Ich dachte ich bin Vater und das mit 20 Jahren!", ich lachte noch immer und merkte, wie die Wut in mir stieg. Ich wurde hektischer und wackelte mit meinem ganzen Körper. Bis ich explodierte.

„VERSCHWINDE! ICH WILL DEIN GESICHT NIE WIEDER SEHEN! ICH WILL WEDER DICH NOCH BATUHAN, NOCH BILAL JEMALS WIEDER SEHEN MÜSSEN! DU HURE! HAST MICH MONATELANG VERARSCHT UND MIR EINE FAMILIE VORGESPIELT."

Ich merkte wie ich die Kontrolle über meinen Körper verlor. Diesen Anfall kannte ich nur zu gut, der wurde jedes Mal durch meine Bipolare Störung hervorgerufen. Ich schrie und brüllte und schlug um mich herum. Wie meine Mutter mich zu beruhigen versuchte, konnte ich nicht einmal hören.

Bis ich plötzlich anhielt. Wie aus dem nichts, war mein Anfall verschwunden. Und es hatte nur einen Grund: Ich hatte Suzans Stimme gehört.

Ich blickte zur Tür und tatsächlich stand sie dort. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden und ihre blauen Augen strahlten mich an. Sie nahmen mir meine ganze Aggression und spülte es einfach weg.

Ich lief zu ihr und umarmte sie. Sie war alles, was ich wollte.

MALIKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt