Dinner Teil 5

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Amelie

Als ich die Karte aufschlug, blickte ich auf einen einzigen Buchstabensalat. Wenn Buchstaben überhaupt die richtige Bezeichnung dafür war, das stellten eher Hieroglyphen für mich dar.

„Existiert auch eine deutsche Karte?", fragte Sina, nachdem sie die vorliegende vollständig durchgeblättert hatte, und ratlos davor saß.

„Nein.", antwortete Bastian grinsend, als wäre es das absurdeste auf der Welt in Griechenland eine deutsche Version zu verlangen.

„Und eine englische?", ergänzte ich ihre Frage weiter. In dem Kerzenlicht leuchteten seine Augen in einem dunklen blau, welches mich an das Meer bei Nacht erinnerte, in dem sich der Mondschein spiegelte. Sein Blick war so intensiv und eindringlich, so dass ich mich gar nicht traute, den meinigen abzuwenden. Das machte er doch absichtlich. Er musste doch wissen, was er mit seinem Aussehen und seiner Art mit Frauen anstellte.

„Nein. Die Inhaber sind sehr stolz auf ihre Sprache. In der Regel besuchen dieses Restaurant nur Einheimische. Ich kann euch gerne behilflich sein." Bastian schien den Umstand, dass er uns mit seinen Sprachkenntnissen helfen musste, sichtlich zu genießen. Es machte mich wahnsinnig, wenn er wie gerade lässig mit seiner Hand durch sein Haar streifte. Jedes Mal musste ich das auflodernde Gribbeln in meinen Fingern besänftigen, so dass ich nicht wie eine Wildgewordene über den Tisch sprang, nur um mit meiner Hand das Gleiche zu tun.
Ansonsten saß er stets aufrecht, beide Hände auf dem Tisch, mit denen er die Karte leicht angewinkelt hielt. Er verhielt sich, als würde er alle Knigge Regeln genauestens befolgen. Jede einzelne Bewegung strammte sein hellblaues Hemd, so dass selbst seine Brustmuskeln deutlich erkennbar waren. Wenn ich nur dürfte, dann würde ich mit meiner Hand sanft darüber streifen und die Wärme seines Körpers aufsaugen.

„Sehr bemerkenswert, dass der Kellner deutsch spricht.", entgegnete Sina, die die Speisekarte auf Seite gelegt hatte.

„Er ist normalerweise in der Tourismusbranche tätig und dort sind Deutschkenntnisse gerade hinsichtlich eines guten Trinkgeldes von Vorteil." Bastian löste seinen Blick von mir, um sich wie ein Gentleman seiner Gesprächspartnerin zuzuwenden. Ich blinzelte automatisch ein paar Mal kräftig hintereinander, um mich endgültig aus seinem Bann zu lösen.

"Das klingt logisch." Ein drückendes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. War ich etwa auf meine beste Freundin neidisch, weil er ihr genauso viel Aufmerksamkeit schenkte wie mir?

„Du hast dich anfangs mit dem Kellner auf einer anderen Sprache unterhalten. Ich nehme an, dass das griechisch war. Wieso sprichst du diese Sprache?", fragte ich Bastian, während ich die wiedergewonnene Aufmerksamkeit genoss.

„Hilfreich war sicherlich, dass ich mich sehr oft in Griechenland aufgehalten habe und immer noch aufhalte. Natürlich war dann mein Interesse groß die Sprache zu erlernen und noch mehr über das Land zu erfahren."

„Also ist Griechenland euer Stammreiseziel?"

„So kann man es ausdrücken." Ich hatte Bastian zum Lachen gebracht. Augenblicklich erwiderte ich sein Lächeln. Wie konnte er mich nur so sehr beeinflussen?

„Damit kennen sie sich kulinarisch sicherlich auch bestens aus. Was sind ihre Speiseempfehlungen?", unterbrach mein Vater unser Gespräch mit einem ungeduldigen Unterton.

"Wir können uns gerne duzen, falls ihnen das recht ist." Mein Atem stockte, als ich zwischen Bastian und meinem grimmig dreinblickenden Vater hin und her schaute. Für meinen Vater war Bastian immer noch ein Fremder, dem er mit der Höflichkeitsform eine gewisse Distanz symbolisieren wollte. Ich konnte die in der Luft liegende Spannung spüren, die kurz vor einer schmerzhaften Entladung stand.

"Mein Name ist Frank.", stellte er sich Bastian vor, während seine Mundwinkel zu einem kurzen Lächeln nach oben zuckten, und hielt ihm als Geste des Wiederkennenlernes seine Hand hin. Innerlich atmete ich erleichtert auf, während Bastian nach seiner Hand griff.

"Es freut mich sehr deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Bastian lautet mein Name. Bei deinem kulinarischen Anliegen kann ich dir gerne weiterhelfen, wenn du mir denn vertraust."

"Bleibt mir etwas anderes übrig?", antwortete Frank lachend.

Genau in diesem Moment kam der Kellner fröhlich angelaufen. Beim Halten musste er den Arm mit dem Tablett noch weit nach vorne strecken, damit er es nicht verlor.

"Die Getränkebestellung ist im Anflug.", alberte der Kellner selbst und stellte in Windeseile die Getränke an den richtigen Platz.

"Was wünschen Sie zu essen?" Ich wollte gerade antworten, dass wir uns noch gar nicht entschieden hatten. Doch Bastian kam mir zuvor. Er bestellte gefühlt die gesamte Karte, während wir ihn zu dritt anstarrten. War das sein ernst? Bestellte er wirklich unsere Essen ohne mit uns darüber zu reden? Vor Überraschung konnten wir gar nicht schnell genug reagieren.

"Gibt es sonst noch irgendwelche Wünsche, die ich erfüllen kann?"

Bastian verneinte die Frage, woraufhin der Kellner wieder verschwand.

"Hast du gerade unser Essen bestellt?", fragte Sina fassungslos.

"Ich glaube, dass ich sehr gut einschätzen kann, was jedem einzelnen von euch schmecken wird.", entgegnete Bastian mit seinem charmanten Lächeln, so dass ich ihm gar nicht böse sein konnte. Ich befürchtete jedoch, dass er sich dadurch gerade die Chance auf einen angenehmen Umgang mit meinem Vater verbaut hatte. Er hasste es, wenn andere Entscheidungen über seinen Kopf hinweg trafen.

"Das ist zwar außergewöhnlich, aber ausnahmsweise lasse ich mich gerne überraschen.", antwortete mein Vater ungewohnt gelassen auf diesen Vorfall. Normalerweise wählte er sein Essen sehr akribisch aus und bestellte sogar frische Zwiebeln, sowie eine Handvoll Gemüse ab, falls diese zum Gericht gehörten.

"Lasst uns auf Bastian, den Retter meiner Tochter anstoßen." Frank erhob sein Glas, um ihm gebührend zu ehren. Sina und ich taten es ihm gleich. "Es müsste mehr Männer wie dich auf dieser Welt geben, die so selbstlos helfen."

"Das ist doch selbstverständlich gewesen.", winkte Bastian das Lob ab.

"Ist es leider nicht, viel zu oft hören wir in den Nachrichten, dass Leute nicht helfen und im schlimmsten Fall lieber ein Video drehen. Wie heute Mittag. Ich hätte diesen Leuten am liebsten..." Frank war gerade dabei sich in Rage zu reden. Das musste ich unbedingt unterbinden, weil es diese angenehme Stimmung zerstören würde.

"Frank, beruhige dich wieder. Es ist zum Glück alles gut gegangen." Frank nickte erleichtert und murmelte weitere Beschwerden vor sich her, die jedoch in den Hintergrundgeräuschen untergingen.

"Danke." Ich konnte mich bei meinem Retter bedanken. Nachdem ich ein einfaches Dankeschön am Strand als zu bedeutungslos fand, fühlte es sich auf einmal wie eine ausreichende  Anerkennung für diese große Tat an. Bastian schien diese mit einem geschmeichelten Gesichtsausdruck anzunehmen. In meinem Traum in der vorletzten Nacht zuhause hatte ich keine Chance dazu gehabt. Ich musste Bastian noch von diesem Traum berichten, vielleicht konnte er diese Vorahnung deuten. Dazu müsste ich jedoch einen Moment alleine mit Bastian sein. Wie sollte ich das nur hinbekommen, während Sina und mein Vater am gleichen Tisch saßen?


Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt