Sackgasse Teil 3

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Amelie


"Ich werde dafür sorgen, dass dir und Sina nichts zustößt. Du musst jetzt nur ganz leise sein und mir vertrauen." Bastians Stimme klang selbst in dieser bedrohlichen Situation bestimmt und sicher.

Ich versuchte verzweifelt in seinem Gesichtsausdruck ein Anzeichen von Fassungslosigkeit zu finden. Doch obwohl er gerade ein Lebewesen vor meinen Augen ermordet hatte, schien er gefasst und konzentriert zu sein. Hatte Bastian so etwas schon häufiger gemacht? Hätte er noch nie einen Mord begannen, dann müsste er nun viel aufgebrachter darüber sein oder war er einfach sehr kaltblütig? Ich wollte einfach nicht begreifen, was gerade passiert war. Ich begann am ganzen Körper zu zittern. Konnte ich ihm überhaupt vertrauen? Was wollte er mit mir anstellen? In meinem ganzen Leben hatte ich noch keine Erfahrungen mit Verbrechen, geschweige denn Mord gemacht, dass hatte ich bisher immer nur in Horrorfilmen gesehen. Alles wirkte so surreal.

Dennoch breitete sich zu meiner Verwunderung ein Gefühl von Sicherheit in mir aus. Schließlich war er auch gerade durch diese Aktion zu meinem Retter in der Not geworden. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was mir alles hätte zustoßen können, wenn Bastian nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre. Sie hätten uns entführen, foltern oder im schlimmsten Fall töten können.

Auf seine Aufforderung antwortete ich mit einem zustimmenden Nicken und fand es schade, dass er daraufhin seine warme Hand von meinen Lippen löste. Meine Atmung war durch seinen himmlischen Geruch langsamer und tiefer geworden, um jede einzelne Duftnote von ihm in mir aufzunehmen. Er hatte eine sehr beruhigende Wirkung auf mich.

"Bleib hier stehen!"

Sein Befehl riss mich unsanft aus meiner Fantasie und ich ärgerte mich über mich selbst, dass ich mich in solch einer Situation von seinem Geruch ablenken ließ. Was war nur los mit mir?

"Hast du verstanden?"

Er klang noch strenger als zuvor. Seine Augen musterten mich und versuchten herauszufinden, was mich gerade beschäftigte. Ich nickte verstohlen, weil mir meine Sprache wegblieb. Woraufhin Bastian um die Ecke verschwand, ihm schien diese Antwort zu genügen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich meine Gedanken wieder gesammelt hatte und sich meine Aufmerksamkeit auf den leblosen Körper vor mir fokussierte.

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einer Leiche und damit dem Tod so nahe war. Selbst bei Beerdigungen gab es noch eine gewisse Distanz. Seine leblosen Augen starrten mich immer noch an. Ein Schauer überkam meinen Körper und meine Härchen stellten sich auf. Ich wollte meinen Blick von ihm lösen und mich ablenken. Dennoch plagte mich meine Neugier, die schließlich über den ekel triumphierte, so dass ich die Leiche genauer betrachtete und mich zu ihr hinunter beugte. Seine beängstigende Wirkung auf mich hatte er selbst im Tod nicht verloren. Mir fielen Häute auf, die zwischen den einzelnen Fingern zum nächsten gespannt waren. Das hatte ich noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen. Was für ein Wesen war er?

Ein lauter Schrei erfüllt mit Schmerz und Geräusche einer Schlägerei hallten aus dem Hinterhof und ließen meine Aufmerksamkeit von dem leblosen Körper vor mir ab.

Ich richtete mich auf und schon wieder trennten mich nur wenige Zentimeter von einem Blick auf das Geschehen im Hof. Sollte ich es wieder wagen? Das letzte Mal hatte es mich in eine ernsthaft bedrohliche Lage gebracht und ich sollte mich doch nicht von der Stelle bewegen. Da fiel mir plötzlich wieder Sina ein. Ich musste doch herausfinden, was mit ihr passiert war. Ohne noch weiter zu zögern, atmete ich tief durch und blickte um die Ecke.

Ein für mich unübersichtliches Handgemenge zwischen den drei restlichen Angreifern und der Truppe rund um Bastian fand vor mir statt. Alle Bewegungen waren so schnell und gezielt, nur Sina lag unschuldig und scheinbar ungeschützt mittendrin. Ich rannte auf sie zu, um ihr helfen zu können. Doch kurz bevor ich sie erreichte, hörte ich Bastians Stimme:

"Amelie!" Ich drehte mich reflexartig um. Meine Augen hatten Probleme ein Objekt, was mein ganzes Sichtfeld ausgefüllt hatte, scharf zu stellen. Es war eine Faust, die Bastian vor mir abgegriffen hatte, welche mich ansonsten schlimm getroffen hätte. Ich schaute an Bastians angespannten Arm entlang zu ihm auf. An seinem ganzen Körper konnte man Anzeichen der Anstrengung von dem Kampf erkennen. Er funkelte mich wütend an, vermutlich weil ich nicht auf ihn gehört hatte. Woraufhin er seinen Gegenüber versuchte von mir abzuwenden und ich mich wieder Sina zuwendete. Als ich sie erreicht hatte, legte ich mich schützend über sie und presste mein Gesicht gegen ihre Brust, so dass ich wenigstens nichts mehr sehen konnte. Ich wollte so gerne von hier verschwinden. 

"Es wird alles wieder gut." Ich wiederholte diesen einen Satz unaufhörlich, während Tränen über meine Wangen kullerten und ich hoffte, dass diese schrecklichen Geräusche von aufprallenden Fäusten endlich aufhörten. Ich wusste nicht, ob Sina überhaupt etwas davon mitbekam, aber es beruhigte mich ihre sanfte Brustbewegung unter mir zu spüren. 

Da hörte ich auf einmal Sirenen, die jeden anderen Laut ohrenbetäubend überdeckten. Vorsichtig bewegte ich meinen Kopf nach oben, so dass ich um mich blicken konnte, doch niemand war mehr in dem Hof, außer Sina und mir waren alle verschwunden. War der Horror nun endlich vorbei? 


Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt