Entführung Teil 7

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Amelie

Seine Lippen berührten die meinigen sanft, berührten sie doch nicht mehr. Der Hautkontakt war flüchtig, kaum wahrnehmbar.
Ich blieb erstarrt stehen, überrumpelt von den unbekannten Reizen.

"Ich muss widerstehen." Dieser Satz rüttelte mich augenblicklich wach, als wäre ich in eiskaltes Wasser gestoßen worden.

Meine innere Stimme schrie außer sich: "Nein, musst du nicht. Denk nicht darüber nach, lass dich einfach von deinen Instinkten leiten." Ich schaute ihn mit einem flehenden Blick an.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass seine Stirn in Falten geworfen war, aber ich konnte Anzeichen in seinem Gesicht erkennen, dass ihn etwas sehr beschäftigte.

"Habe ich etwas falsch gemacht?" Bastian schien sein appruptes Innehalten nicht weiter zu rechtfertigen, weshalb ich mit dieser Frage nachhalf.

"Es wäre dir gegenüber nicht fair. Ich bin nicht gut für dich."

"Es ist zu diesem Zeitpunkt voreilig zu behaupten, dass du das Beste bist, was mir in meinem Leben je passiert ist. Doch ohne dich, wäre ich schon längst in den Fängen dieser Monster gelandet." Ich fiel ihm ins Wort und widersprach.

"Hast du dich nicht schon längst freiwillig in die Fänge eines solchen Monsters begeben?" Seine Augen verengten sich zu einem engen Schlitz. Für jeden Schritt, den er auf mich zukam, trat ich einen zurück. Das war nicht mehr der Bastian, der mich kurz zuvor küssen wollte. Ich hatte bereits seine distanzierte Art kennen gelernt. Doch dieser Bastian strahlte etwas  Wildes und Ungebändigtes, fast schon Animalisches aus. 

"Wie meinst du das?" Die Lattenwand hinter mir, die den Duschbereich abschirmte, stoppte mich, während Bastian noch einen weiteren Schritt setzten konnte, der ihn unangenehm nah an mich heranbrachte. Ich presste mich an die Wand und wäre am liebsten mit ihr verschmolzen. 

"Ich vergleiche mich nur ungern mit diesen Kreaturen, aber wir unterscheiden uns kaum von ihnen." Ein wehmütiger Wimpernschlag ließ seinen Blick zu Boden gleiten.

"Zwei von diesen Wesen sahen aus wie ein haifischverschnitt, während die anderen beiden die Dosierung der Steroide maßlos übertrieben hatten. Sie hatten im Gegensatz zu dir überhaupt nichts mehr Menschliches an sich." Mit seinem nächsten Wimpernschlag fixierte er mich, so dass mein gesamtes Blickfeld von seinen strahlend blauen Augen ausgefüllt war. Die Atmosphäre lockerte sich zwischen uns wieder, so dass sich meine innere Anspannung auflöste.

"Ihr Aussehen repräsentiert den einzig nennenswerten Unterschied. Das begründet sich in ihrer an den Lebensraum angepassten  Lebensweise."

"Eure Lebensweise unter der Meeresoberfläche unterscheidet sich?"

"Sie leben wie die Barbaren mitten unter den wildesten Meeresbewohnern. Da kann ich mit stolz behaupten, dass wir eine beschauliche Zivilisation aufgebaut haben."

"Diese sogenannten Barbaren gehören wohl zu einem Stamm, der Unheil verbreitet." Ich hatte überhaupt nicht mehr damit gerechnet, dass er mir so viel über sich erzählen würde. Die perfekte Zeit, um meine Fragen an den richtigen Stellen zu platzieren.

"Sie erregen Aufmerksamkeit und  brechen derzeit vermehrt unsere auferlegten Regeln, aber noch herrscht untereinander Frieden."

"Du stellst diesen Frieden in Frage?"

"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Verkettungen zuspitzen, so dass wir über ein Einschreiten abstimmen müssen."

"Sie sind Unruhestifter. Das unterscheidet euch von ihnen.", kristallisierte ich heraus, um Bastian weiter in ein gutes Licht zu rücken.

Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt