Reise Teil 2

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Amelie

Die Angst, Wasser einzuatmen, übermannte mich. Meine Lunge schmerzte bereits nach kurzer Zeit, weil ich meinen Atmungsreflex zurückhielt.
Doch ich musste nach Luft schnappen. Mit dem ersten Atemzug füllte sich meine Lunge wider Erwarten mit Sauerstoff. Ich hatte vor Panik ganz vergessen, dass ich die Maske angezogen hatte. Ich verfiel in eine Schnappatmung, um den gefühlten Sauerstoffmangel von vorhin auszugleichen, was natürlich schwachsinnig war. Erst langsam gewöhnte ich mich an die Maske und schenkte ihr mein Vertrauen, dass sie mich stetig mit diesem lebensnotwendigen Stoff versorgen würde.
Das Wasser war noch vom Tage angenehm temperiert.

"Du bist schon ewig nicht mehr geschwommen.", stellte Bastian entsetzt fest, während er mich in meiner Position fixierte und beruhigte. Ich zählte gar nicht mehr mit, wie oft er mich bereits gerettet hatte. Allein deswegen musste ich ihm für alle Ewigkeiten dankbar sein.

Wir bewegten uns langsam in einer Spirale, als befänden wir uns in der Schwerelosigkeit und würden als Tanzpaar die perfekte Piourette hinlegen. Mein Kleid schwebte im Meer und wurde nur an den Berührungspunkten mit Bastian an meinen Körper gedrückt. Mit seinen kräftigen Beinen schlang er sich um meine und mit seiner rechten Hand stützte er sanft meinen Hinterkopf, während er seinen linken Arm auf meinen Rücken legte. Ich entspannte meine gesamten Muskeln und gab mich voll und ganz seiner Fürsorge hin. So musste sich die Umarmung eines Engels anfühlen.

In solchen Augenblicken wünschte ich mir, dass die Zeit langsamer verging, am besten sogar stehen blieb. Doch genau diese Momente waren so flüchtig wie es das Glück der Menschen nun mal war.
Das einzige, was ich vermisste, war sein himmlischer Duft, der sich im Wasser nicht entfalten konnte.

Ich warf meine Lider auf und schaute in Bastians strahlend blaue Augen, die von seiner dunkelblau schimmernden Maske erhellt wurden. Sie waren wachsam. Er wartete offensichtlich auf eine Erklärung. Ich fragte mich, ob er diese Innigkeit wie ich als romantische Hingabe empfand. Seinem Ausdruck nach zu beurteilen, war es nur ein Mittel zum Zweck, um mich zu beruhigen und herauszufinden, wieso ich schon seit Ewigkeiten tiefe Gewässer mied.

"Diese Tatsache hätte ich vermutlich erwähnen sollen.", stellte ich kichernd fest, während ich meinen Blick ungehalten durch die Gegend schweifen ließ.

"Das hätte uns diesen Schockmoment erspart." Ehrliche Besorgnis klang in seiner Stimme mit. Selbst er hatte nicht erwartet, dass mich ein Sprung ins Wasser in eine solche Hilflosigkeit treiben würde.

"Entschuldige."

"Wieso meidest du tiefere Gewässer? Für euch Menschen gibt es im Sommer doch fast nichts Schöneres als mit Freunden seinen Spaß im Freibad zu haben?"

"Private Gründe." Ich versuchte das Gespräch mit knappen Antworten abzuwimmeln. Meine verstorbene Mutter sollte kein Gesprächsthema zwischen Bastian und mir sein.

"Ich verstehe." Wie ein Gentleman akzeptierte er, dass ich genaue Details verschwieg.

"Ich will euch beiden Turteltäubchen nicht stören, aber die Jungs warten bereits auf uns." Bettys Stimme hallte in meiner Maske wider.

Ich blickte Bastian hilflos an, weil ich nicht wusste, was ich mit meinen Armen und Beinen anstellen sollte, um voranzukommen.

"Halt dich an mir fest. Ich helfe dir, bei unseren Fahrzeugen anzukommen." Er löste seinen Griff und drehte mir seinen Rücken zu.

Ich klammerte mich wie eine Schlange mit meinen Beinen um Bastians Bauch und mit meinen Armen umschloss ich Bastians Hals, so dass ihm genügend Bewegungsfreiheit blieb.
Seine Muskelbewegungen waren fließend. Die verschiedenen Muskelpartien spannten und entspannten sich in einem angenehmen Rhytmus, als würde ich auf einem edlen Ross ohne Sattel sitzen, während wir nah an der Wasseroberfläche entlangschwammen.

"Ich hoffe, dass ich dir nicht zu schwer bin."
Bastian lachte auf.
"Ich nehme dich auf meinem Rücken kaum wahr. Du bist federleicht und das liegt nicht nur an der Tatsache, dass wir uns unter Wasser befinden."
"Dann brauche ich wohl kein schlechtes Gewissen zu haben."
"Auf keinen Fall. Ich müsste mich schämen, wenn mir das hier etwas ausmachen würde. Hebe deine Arme hoch."
Zögerlich befolgte ich seinem Befehl und streckte meinen linken Arm aus, während ich mich mit meinem rechten weiterhin an ihm festhielt.
"Beide.", forderte er mich auf. Es klang wie eine Empfehlung, der ich nur zu gerne folgte, weil ich Bastian vertraute.
Ich spannte meine Beine kräftiger an und hob meinen Oberkörper ab, um meine Arme weit nach oben zu werfen.
"Das ist ein unglaubliches Gefühl.", schrie ich auf. Meine Stimme musste unangenehm in Bastians Maske hallen.
Ich berührte mit meinen Handflächen die Wasseroberfläche, ich wollte nach ihr greifen. Doch sie prallte wie zu erwarten an meinen Händen ab. Ich spaltete sie und ein Gribbeln entfaltete sich auf meiner Haut.
"Diese Grenzfläche steht für die Abtrennung zwischen deiner und meiner Welt." Als Bastian tiefer tauchte, entglitt sie mir endgültig.
"Ich heiße dich in meiner Welt willkommen."
Die Worte hallten in meinem Kopf wider. Mein Herz schlug schneller, Röte stieg mir ins Gesicht und auf meiner Stirn sammelten sich unter der Maske feine Schweißperlen. Dieser Satz leitete womöglich das größte Abenteuer meines Lebens ein.

"Du klammerst dich fester an mich und dein Herzschlag hat sich beschleunigt. Hast du Angst? Willst du  vernünftig werden? Noch ist nichts endgültig entschieden. Du hast die Wahl." Wie konnte Bastian nur solch gute Menschenkenntnisse besitzen, so dass ihm meine Reaktion sofort auffiel?

Ich biss mir auf die Lippen, wollte nichts Falsches sagen und so Überzeugend wie möglich rüberkommen.

"Auf keinen Fall. Ich bin einfach etwas aufgeregt. Wer kann mir das übel nehmen? Ich wäre kein Mensch, wenn mich das kalt lassen würde."

"Ich wollte dir nur alle Möglichkeiten offen lassen. Du weißt, welche ich favorisiere." Sein Ton war vorwurfsvoll. Doch mein Wille war stärker. Dennoch verlangte es mir viel Kraft ab, ihm standzuhalten.

Zusammen trafen wir innerhalb von wenigen Minuten an ihren Fortbewegungsmitteln an.

Ich hatte mir herkömmliche U-boote vorgestellt. Doch vor mir türmte sich ein Unterwasserfahrzeug auf, dass mich an Flugzeuge ohne Flügel oder eine modernere Version unserer Raketen, die wir ins Weltall schickten, erinnerten.

Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt