Dinner Teil 1

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Amelie 

Die Untersuchung im Krankenwagen war schnell vorbei zumindest nach meinem Empfinden. In Anbetracht der fast schon eingestellten Routine, hatte ich mich wohl daran in gewisser Weise gewöhnt. Bei gewohnten Abläufen flog die Zeit dahin, während bei unbekannten Ereignissen die Zeit nahezu stehen blieb. Ohne ein Anzeichen einer folgenschweren Schädigung entließen sie mich mit der Bitte, mich die nächsten Tage zu schonen, was ironischerweise von Anfang an der Plan gewesen war, als ich mit meinen Füßen dieses Hotel, diese Touristenhochburg und diesen gottverdammten Strand betreten hatte.

Kaum waren wir im Hotelzimmer angekommen, begann mein Vater auf und ab zu marschieren. Seine tief in Falten geworfene Stirn verdeutlichte, wie sehr er in seinen Gedanken verloren war. Sina und ich hatten auf den Stühlen platz genommen und verfolgten jede einzelne Bewegung mit unseren Augen. Da das Zimmer klein und mein Vater zügig unterwegs war, blickten wir unangenehm schnell von links nach rechts und von rechts nach links. Durch die entstandene Stille und die hektischen Bewegungen meines Vaters baute sich eine unangenehme Spannung in dem Raum auf, die einem den Atmen stocken und die Härchen am Arm aufstellen ließ. 

"Ich wusste es, ich wusste es, ich wusste, wusste, wusste es!", ertönte die aufgewühlte Stimme meines Vaters, während er seine Hände über seinen Kopf warf und sie schließlich seitlich auf seine Stirn presste. Woraufhin er sie über seine Schläfe bis hin zu seinen Wangen gleiten ließ und damit sein Gesicht unnatürlich in die Länge zog. Seine Mundwinkel richteten sich gen Boden, als würden schwere Gewichte daran hängen. 

Eine Nachfrage, wovon er sprach, schien mir als überflüssig. Die einzige Antwort lautete wohl, dass er fest davon überzeugt war, dass er mein beinahes Ertrinken erahnen hätte müssen. 

"Du hättest es nicht wissen können." Mein kläglicher Versuch ihn zu beruhigen, veranlasste ihn dazu noch weiter herumzuspinnen. 
"Mein Bauchgefühl hat mir von Anfang an dagegen geraten, dich mit Sina ins Meer gehen zu lassen." Er war vor dem Tisch stehen geblieben und hatte seine Arme verschränkt, während er mich mit einem starren Blick fixierte.
"Jeder hätte mit dieser Vorgeschichte seine Bedenken gehabt.", beruhigte ich meinen Vater. Ich musste ihn von diesem Thema ablenken, bevor ich meine Vorahnung in Form eines Traumes ausplauderte und ihn damit noch mehr beunruhigte. Er sollte sich um mich keine Sorgen machen. Es reichte, wenn meine Gedanken ausgefüllt mit irgendwelchen fragwürdigen Kreaturen waren, die aus noch unbekannten Gründen Jagd auf mich machten und einen Beschützer auf die Tagesordnung gerufen hatten, den ich unter diesen Umständen lieber nicht kennen gelernt hätte.

"Weißt du, was mit dir hätte passieren können?" Er lehnte sich mit beiden Armen auf den Tisch und fixierte mich mit einem Blick, den ich selbst in meinem Knochenmark spürte. "Weißt du?", hackte er noch ein weiteres Mal nach. Diese ganze Situation, in der mein Vater mir schilderte, dass ich nun nicht mehr unter den Lebenden weilen könnte, überforderte mich. 

Anstatt eine Antwort geben zu können, stiegen mir erste Tränen in die Augen. Der Gesichtsausdruck meines Vaters wurde weicher, als er realisierte, was er mir mit diesen Vorwürfen antat.
"Es tut mir so Leid. Es tut mir Leid, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht an deiner Seite war, um dir zu helfen und dass ich gerade zu viel Schlechtes geredet habe." Mein Vater war mit allem sichtlich überfordert. "Lass mich dich umarmen." Ich nickte stumm überwältigt von seinen gezeigten Emotionen, während er um den Tisch auf mich zu kam. Ich richtete mich auf und empfing seine innige Umarmung. Er genoss jede Sekunde, die er mich lebend in seine Arme schloss, dabei umklammerte er mich immer fester. Diese Geste beruhigte die gesamte Situation, so dass ich diesen Moment nicht zerstören wollte.
"Dad, du zerdrückst mich. Ich bekomme kaum noch Luft.", brachte ich nach Luft schnappend hervor, als seine Umarmung unangenehm enger wurde.
"Entschuldige. Das war keine Absicht. Mich hat das alles überwältigt." Er löste sofort seinen Griff, lächelte beschämt und verschwand auf dem Balkon. Für ihn war die Zeit gekommen erst seine eigenen Gedanken zu sortieren, bevor er mit seinen Worten nur noch mehr Salz in die Wunde streute. 
"Das war kein Zufall, dass ausgerechnet Bastian dich gerettet hat." Dieser Satz musste Sina die ganze Zeit schon auf der Zunge gelegen haben, bereit dazu im richtigen Moment herauszuplatzen. Sie drehte ihre Augen Richtung Decke, legte ihren rechten Zeigefinger an ihre Lippen und dachte über die Vorfälle nach.
"Ich habe nur noch keine Ahnung wie ich meine Vermutung logisch erklären soll, aber vielleicht kannst du mir auf die Sprünge helfen." Sie lehnte sich mit einem Arm auf den Tisch, so dass sie sich abstützen konnte, um mich mit ihren tiefgrünen Augen zu mustern. 
"Verstehe das bitte nicht falsch. Diese Minuten der Ungewissheit für deinen Vater und mich heute Mittag waren schrecklich. Aber noch viel schlimmer ist es wohl hautnah dabei gewesen zu sein wie du. Ich finde es sehr bemerkenswert, dass du mit mir an diesem Tisch sitzt und sogar deinen Vater versuchst zu beruhigen. Du bist in meinen Augen eine sehr starke Person. Falls dir irgendetwas auf dem Herzen liegen sollte, dann kannst du dich gerne an mich wenden. Ich, als deinenbeste Freundin, bin immer für dich da und das gerade auch in solch einer schweren Situation." Vermutlich hoffte sie, dass ich nun von selbst über das Geschehene reden würde, aber ich war unfähig sofort die passenden Worte zu finden, stattdessen stammelte ich sinnlos aufeinanderfolgende Satzanfänge vor mich her. Ich atmete tief ein, um erneut einen Versuch, einen richtigen Satz hervorzubringen, zu starten. Doch Sina kam mir zuvor: 

"Mir sind ein paar Unstimmigkeiten aufgefallen, die ich gerne ansprechen würde: Bei dem letzten Überfall war Bastian als unser Retter vor irgendwelchen Bösewichten  involviert. Aus diesem Grund kaufe ich dir die Geschichte mit der Strömung nicht ab, zumal ich direkt neben dir gestanden und nichts davon gespürt hatte, was ich doch sehr merkwürdig finde. Vermutlich ist alles andere, was dir passiert ist und wofür du die Strömung als Ausrede verwendet hast, tausendmal schlimmer, aber bitte rede mit mir im Vertrauen darüber. Ich bin deine beste Freundin und würde gerne wissen, wenn du in großen Schwierigkeiten steckst. Falls ich falsch liegen sollte, tut es mir Leid, dir so etwas wie Lüge unterstellt zu haben, aber mein Bauchgefühl und dein Gesichtsausdruck sagen mir, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?", kombinierte Sina besser als mir lieb war, während ich versuchte meinen entrüsteten Blick wieder in den Griff zu bekommen.

"Er hat mir nicht allzu viel erzählt.", antwortete ich Sina warheitsgemäß.

"Was hat er dir denn erzählt?", fragte sie neugierig, während sie sich näher zu mir lehnte und ihre freie Hand auf meinen Oberam legte. Ich blickte auf diese Berührung, die mir in diesem Moment unangenehm war. Sie verdeutlichte wie nah wir beide uns waren und wie wichtig es war, mit Sina ehrlich umzugehen. Doch auf der anderen Seite musste ich vermeiden, dass sich Sina zusätzlich Sorgen machte. 

"Er geht davon aus, dass mehr als nur eine Strömung dahinter steckt.", antwortete ich weiterhin ehrlich. 

"Bastians Auskünfte über das Geschehene waren wie schon erwähnt überschaubar gering gewesen. Um ehrlich zu sein, war ich viel zu schwach, um ein Gespräch zu führen." Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern, als hätte ich selbst kaum einen Versuch gestartet mehr von Bastian zu erfahren. 

"Ich verstehe das vollkommen. Und deshalb ist ein perfektes Treffen mit ihm heute Abend umso wichtiger.", schlussfolgerte Sina. Ich nickte verstohlen. Irgendetwas an Sinas Blick sagte mir, dass sie einen Plan schmiedete. 

"Was wolltest du heute Abend anziehen?" Sie musterte mich von Kopf bis Fuß, soweit es im Sitzen möglich war. 

"Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht." Angesichts der vielen Vorfälle war das meiner Ansicht nach verständlich. Ich war ihr für diesen Themenwechsel dankbar. 

"Dann lass uns Shoppen gehen. Shoppen entspannt mich, Shoppen lenkt mich ab, Shoppen macht Spaß, egal, was sonst passiert ist. Und genau solch eine Ablenkung benötigen wir. Das alles ist verrückt genug, da bringt uns ein wenig Normalität wieder in die Realität zurück." 

Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt