Meer Teil 2

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Amelie



Der Griff um mein Fußgelenk löste sich so plötzlich wie er gekommen war. Die Strömung um meinen Körper verlangsamte sich und verwirbelte mich bis zur Orientierungslosigkeit.

Ich konnte meine Augen nicht öffnen, weil das Salzwasser zu sehr brannte. Wie sollte ich also an die Oberfläche finden, wenn ich nicht wusste, wo sie sich befand? Das Wasser donnerte in meine Ohren und erzeugte einen unerträglichen Druck, der mich aufschrien ließ. Jede einzelne Pore füllte sich in meinem Mund mit diesem salzigen widerlichen Geschmack. Blasen gefüllt mit lebensrettendem Sauerstoff entwichen meinem Mund, so dass meine Lunge anfing zu brennen vor Schmerz. Panisch reagierte mein Körper wie von selbst mit hektischen und unkontrolliert wirkenden Bewegungen meiner Arme und Beine. Das ausgestoßene Adrenalin machte sie kräftiger, mein Körper durchströmte eine Hitzewelle. Doch dieser Kräfteschub hielt nicht lange an. Ich spürte wie das Leben zuerst aus meinen Gliedmaßen und dann aus meinem restlichen Körper wich. Erste Erinnerungen aus meiner Vergangenheit schienen vor meinem inneren Auge zu verschwimmen, als sich auf einmal zwei kräftige Arme um meine Taille schlangen und...

Ich hustete den letzten Rest Wasser aus mir heraus, der den Weg zu meiner Lunge noch versperrt hatte, und schnappte gierig nach Luft. Meine Augen waren weit aufgerissen, dennoch erkannte ich nichts, weil meine Sicht noch zu verschwommen war. Ich zitterte am ganzen Körper und das definitiv nicht, weil ich fror, ganz im Gegenteil, die Sonne brannte auf meiner Haut, so dass ich in kürzester Zeit getrocknet war. Solch ein Zittern hatte ich zuletzt während des Überfalls an meinem Körper erlebt. Es war die Angst, die tief in meinen Knochen vibrierte. Verwirrt blickte ich mich um, als eine männliche Stimme ertönte:

"Hab keine Angst, ich bin bei dir. Endlich bist du wieder bei Bewusstsein. Ich habe mir Sorgen gemacht. Du warst viel zu lange ausgeschieden.", sagte eine aufgewühlte, männliche Stimme. Ich musste nicht lange über die Stimme nachdenken.

"Bastian.", flüsterte ich mit schwacher Stimme. Die Zuordnung fiel mir für meinen Geschmack schon viel zu leicht. Er klang jedoch nicht so gefasst wie sonst. Konnte ich darin etwa erhliche Sorge erkennen oder spielte er ein grausames Spiel mit mir, dass mich zum zweiten Mal in große Gefahr gebracht hatte? Bei unserem letzten Treffen hatte er vorgegeben, dass er mir nichts antun und mich für immer in Ruhe lassen wollte. Hatte ich ihm mein Vertrauen damals zu voreilig geschenkt? Mein Herz schlug schneller, die Wärme, die ich zuvor während meinem Überlebenskampf gespürt hatte, durchströmte mich wieder und mein Körper bereitete sich auf eine mögliche Flucht vor. Ich wollte meinen Blick schärfen, aber die Sonne schien direkt in mein Gesicht, weshalb sie mich blendete. Meine Versuche mich aufzusetzen scheiterten, zu sehr hatte mich mein Überlebenskampf geschwächt.

"Ich helfe dir." Er schmiegte seine Hand sanft um meinen Ellbogen, um mich zu stützen. Seine strahlend blauen Augen betrachteten mich mit einem weichen Blick, bedacht jede einzelne Bewegung vorherzusehen, um mir mein Aufrichten so angenehm wie möglich zu gestalten. Doch anstatt ein Gefühl der Geborgenheit, breitete sich in mir eine starke Abneigung gegen jede seiner Berührungen aus. Mein Magen verkrampfte sich und die Härchen an meinem Arm stellten sich auf. Täuschte er seine Hilfsbereitschaft nur vor? Ich starrte die Stelle angewidert an, an der er mich berührte. Seine Hände fühlten sich trügerisch weich und warm an. Ich befreite mich aus seinem Griff und wich auf meinen Ellbogen krabbelnd zurück, doch durch den sandigen Untergrund rutschte ich viel mehr als das ich voran kam.

"Du fürchtest dich vor mir. Genau das, was ich erreichen wollte, damit du dich von mir fern hälst. Aber bitte vertrau mir dieses eine Mal." Ich blieb stehen, weil mich etwas in seiner Stimme berührte. Er klang zutiefst gekränkt, während er vor mir im Sand kniete. Seine Haltung schien für einen kurzen Augenblick gebeugt und alles andere als imposant und einschüchternd zu sein. Diesen Moment der Schwäche, während dem er seinen Gefühlen freien Lauf gelassen hatte, realisierte er sofort. Woraufhin er merklich seine innere Mauer aufrichtete, so wie er sich vor mir. Der Sand klebte überall an seinem nassen Körper, selbst seine sonst perfekt gestylten Haare waren durcheinander und voller Sandkörner. Er musste alles dafür gegeben haben, um mich zu reanimieren.

"Es waren deine Hände, die ich als letztes gespürt hatte, bevor ich bewusstlos geworden bin. Du hast mich gerettet." Er nickte ohne seine tiefblauen Augen von mir ab zu wenden. Sein Blick war eindringlich, aber ich hielt ihm Stand. Es gab nur ihn und mich an diesem verlassenen Strandabschnitt. Mein Puls erhöhte sich automatisch, während ich merkte, wie sich mein Gesicht kirschrot färbte. Dieser Mann verwirrte mich merklich und beeinflusste meine Körperreaktionen mehr, als mir lieb war. Ich atmete tief ein, weil ich meine Gedanken sortieren musste. 

"Ich weiß nicht recht, ob ein einfaches Dankeschön in diesem Fall ausreicht. Du bist zum zweiten Mal mein Schutzengel gewesen. Es tut mir so leid, dass ich misstrauisch gewesen bin und schlecht von dir gedacht habe." Bastian wendete sich von mir ab und unterbrach mich: 

"Bitte bezeichne mich nicht als Schutzengel. Das bin ich auf keinen Fall. Ich habe nur meinen Auftrag versucht zu erfüllen und dich, eine Unschuldige, dabei ungewollt in das ganze Geschehen mit einbezogen." Er klang innerlich zerrüttet und traurig, als er die für ihn offensichtlichen Tatsachen aussprach. 

"Was meinst du damit?", fragte ich verwirrt über sein unerwartetes Eingeständnis. 

"Ich sollte dich zurück zu deinem Vater und Sina bringen. Sie machen sich sicherlich große Sorgen.", gefasst kam Bastian auf mich zu geschritten ohne meine Frage auch nur ansatzweise zu beantworten. Aus irgendeinem Grund wollte er nicht darüber sprechen. Er beugte sich gerade zu mir nieder, bevor ich meine Hand gegen ihn aufstemmte. 

"Halt! Ich lasse mich nirgendwohin bringen, bevor du mir nicht endlich mehr über all die Geschehnisse erzählst!" Das war meine Chance endlich Licht ins Dunkle zu bringen.  





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