Entführung Teil 2

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Amelie

Ich verharrte in meiner Position, während ich jede einzelne Bewegung unserer Gegner musterte. Sie waren zu zweit unterwegs und sie gehörten zu der Truppe, die Sina und mich in der Gasse überfallen hatte. Da war ich mir zu 100 Prozent sicher. Diese überdimensionierten Muskeln der einen Person und die Geschwindigkeit in der Bewegung der anderen Person hatten sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Selbst die Kleidung mit dunklen Shorts und einem eng anliegenden dunklen Muskelshirt war ähnlich der während dem ersten Aufeinandertreffen.
Sie führten auf einer mir unbekannten Sprache eine hitzige Diskussion, während welcher sie häufig mit den Händen in unsere Richtung zeigten. Ihre Gestik verriet, dass sie sich über Bastian und mich unterhielten. Vermutlich waren sie sich uneinig darüber, was nun genau mit uns beiden passieren sollte.

Ich wunderte mich darüber, dass der Strand menschenleer war. Nicht, dass ein Mensch etwas gegen diese beiden Monster ausrichten konnte, aber sie hätten die Polizei rufen können, die immerhin Schusswaffen verwenden konnte. Ein kleiner Schimmer Hoffnung loderte in mir auf. Vielleicht hatten die letzten Menschen am Strand wegen der Kampfszenerie aus Angst die Flucht ergriffen und hatten im gleichen Zug schon längst die Polizei alarmiert. Wir mussten also nur noch wie bei dem ersten Überfall auf die bald eintreffenden Sirenen warten. Dann fiel mir auf, dass der Strand immer menschenleerer geworden war, je weiter ich den von Bastian aufgestellten Fackeln zum Steg gefolgt war. Zu einem Zeitpunkt, als ich noch nicht damit gerechnet hatte, dass unser Treffen auf diese Weise enden würde. Hatte uns überhaupt jemand beobachtet?
Das sonst beruhigende Geräusch der auf den Strand schlagenden Wellen, klang tobender und bedrohlicher. Unter diesen Umständen konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.

Tränen kullerten unaufhörlich über meine Wangen, so dass sie sich gereizt anfühlten. Ich nahm den salzigen Geschmack der Tränen wahr, die sich zunehmend den Weg zwischen meine Lippen hindurch  bahnten. Meine Todesangst war mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben.

"Ich regel das." Diese drei kaum wahrnehmbaren Worte stoppten den unaufhörlichen Fluss meiner Tränen. War es die Bedeutung dieser Worte oder einfach nur der selbstbewusste Klang seiner Stimme, der mir signalisierte, dass er noch lange nicht aufgegeben hatte und mich damit augenblicklich beruhigte? Vermutlich war es eine Mischung aus beidem. Wieso war er sich so sicher? Hatte er eine seiner Visionen gehabt?

"Ich vertraue dir." Bastian war es nach meiner Rettung vor dem Ertrinken wichtig gewesen, dass ich ihm vertraute. Doch zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht in der Lage dazu gewesen. Nachdem er mich in eine seiner Visionen geleitet hatte, war das Eis zwischen ihm und mir endgültig gebrochen. Er hatte mir sein größtes Geheimnis offenbart. Er vertraute mir, dass ich schweigen würde. Ich schenkte ihm mein Vertrauen im Gegenzug. Außerdem glaubte ich zu gerne an seine Worte. Sie gaben mir Hoffnung, aus dieser Situation unbeschadet herauszukommen.

Ich zuckte augenblicklich zusammen, als wie aus dem Nichts diese tiefschwarzen Augen vor mir auftauchten. Sie fixierten mich, während dieser fischähnliche, salzige Geruch in meine Nasen stieg, der mich schon einmal zum Aufstoßen gebracht hatte.

Ich wich seinem unangenehm lang andauerndem Blick aus, senkte demütig meinen Kopf. Ich hatte keine Kraft geschweige denn den Willen ihm Stand zu halten.
Mein Magen verkrampfte, als ich diese eisige Kälte an meinem Kinn spürte. Er drückte meinen Kopf nach oben, so dass ich ihm weiter in die Augen blicken musste.

"Wieso hast du solche Angst?" Ich erschrack, als mich dieser abscheuliche Kerl mit einer tiefen, rauhen Stimme auf meiner Muttersprache ansprach und jedes einzelne Wort unnatürlich in die Länge zog. Er betonte die Worte auf eine gewisse Art und Weise, die sein dreckiges Grinsen untermauerte.
"Wir brauchen dich. Du musst dir keine Sorgen machen." Sein Gesicht war so nah, so dass ich seinen kalten Atem auf meiner Haut spürte, als würde mir bei einer schnellen Fahrt im Winter der Fahrtwind ins Gesicht blasen. Er strich mit seiner trockenen Hand über meine Wange. Die Stellen fingen an zu schmerzen, weil seine schuppenähnliche Haut rauh war. Wäre er nicht mein Angreifer, sondern irgendein normaler Typ auf einer Party, würde ich vermuten, dass er gerade mit mir flirtete. Versuchte er eine positive Beziehung zwischen Entführer und Opfer aufzubauen, damit meine Gefangenschaft für ihn angenehmer war? Dieses einschleimende Verhalten widerte mich an.
"Zumindest vorerst nicht." Dabei lachte er wie ein Verrückter laut los. Obwohl er mich verängstigte, lockerte sich meine innere Spannung, weil er endlich Abstand von mir nahm. Woraufhin er sich genauso schnell wieder räusperte.

"Aber er, er ist uns ein Dorn im Auge." Zwischen seinen Lippen zischte die letzte Silbe hervor, während er mit seinem rechten Zeigefinger auf Bastian zeigte, dem ich noch immer meinen Rücken zuwand. Er gab gequälte Laute von sich, als würde ihm jemand Schmerzen zufügen. Wo war der Muskelprotz abgeblieben? Er musste zu ihm gegangen sein, nachdem ihre Diskussion beendet war. Er massakrierte ihn, damit er auf keine dummen Gedanken kam, während sich Mr. Highspeed rein um mich kümmerte. Hatten sie etwa Angst, dass Bastian gegen einen von ihnen allein gewinnen könnte? Musste ich nur für die passende Ablenkung sorgen? 

"Er hat einen sehr ehrenwerten Kämpfer von uns erledigt. Ich will nicht altmodisch klingen, aber der Drang nach Rache lodert in mir auf." Seine Augen flammten bei dem Gedanken förmlich auf.

"Dreh dich um!" Ich blieb erstarrt stehen. Ich konnte seinem Befehl nicht folgen, weil ich Angst hatte, Bastian hilflos zu sehen und meine Hoffnung zu verlieren.

Ohne Vorwarnung riss er mich unglaublich schnell herum, so dass ich mein Gleichgewicht verlor und auf allen Vieren im Sand landete. Meine Knie schmerzten, ein Wimmern entwich mir. Dieser verdammte Sand brannte in den Schürfwunden.

"Schau ihn dir an!" Er nahm einen Bund Haare und zog an ihm. Ein Aufschrei begleitete das Aufschleudern meines Kopfes nach oben, so dass ich direkt in Bastians Gesicht blicken konnte. Es fühlte sich an, als würde ein Haar nach dem anderen aus meiner Kopfhaut gezogen werden. Dieser Schmerz war nichts gegen den Anblick, der sich vor mir auftat. Der Muskelprotz hatte die volle Muskelmasse seines Oberarms um Bastians Hals geschlungen, während er auf das Signal zum Töten von Mr. Highspeed wartete.

Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt