Aufklärung Teil 1

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Amelie


„Du hast mir doch sicherlich noch etwas zu sagen." Mein Vater schaute mich im Schein der untergehenden Sonne vorwurfsvoll an. Er hatte mich zu einem Spaziergang gebeten. Ich stellte mich darauf ein, dass das folgende Gespräch sehr unangenehm werden würde, weshalb ich glücklich darüber war, dass Sina lieber im Zimmer geblieben war und sich weiter ausruhen wollte, wobei sie das Internet nach den aktuellsten Neuigkeiten durchsuchte.

„Was meinst du?" Ich versuchte mich mit einer gespielten Unwissenheit aus meiner ausweglosen Situation zu reden. Dabei blieb ich an der Promenade stehen und wand meinen Körper dem Meer zu, um meinem Vater nicht schon durch meinen Blick zu verraten, dass ich log.

„Du hast heute nicht nur mich, sondern sogar die Polizei angelogen. Das hat mich zutiefst enttäuscht und schockiert. Nun würde ich gerne die Wahrheit von dir hören." Im Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er mich ernst anblickte. Ich bevorzugte das Schweigen als Antwort und lauschte den beruhigenden Geräuschen der Wellen. Meine Entscheidung, niemandem die Wahrheit zu erzählen, stand immer noch fest. Lügen konnte ich nicht wirklich gut, wie ich heute Mittag feststellen musste. Immerhin hatte mich mein Vater direkt durchschaut. Zudem wusste ich, dass ich mich nur zu gerne in meinen eigenen Lügengeschichten verstrickte.

„Amelie, redest du nicht mehr mit mir?" Frank legte seine Hand auf meine Schulter, doch ich rührte mich nicht.

"Siehe mich bitte an, wenn ich mir dir rede." Er griff meine Schulter und schob sie, so dass ich mich automatisch in seine Richtung drehte und ihm in die Augen schaute. Sein Blick war durchdringend und ich konnte ihm nicht standhalten, so dass ich meinen rasch auf den Boden richtete.

„Ich habe schon alles gesagt, was ich dazu weiß.", gab ich kleinlaut von mir.

„Das war alles gelogen und weißt du wieso ich das weiß?"

Ich schüttelte nichtsahnend den Kopf.

„Ich habe eine männliche Stimme gehört, nachdem du mich angerufen und dich nicht mehr gemeldet hattest. Er hat dich mit deinem Namen angesprochen und Sinas Name kannte er auch. Also war mindestens eine für mich unbekannte Person dabei gewesen, die du gar nicht erwähnt hattest." Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er so viel mitbekommen hatte. War er etwa die ganze Zeit am Telefon geblieben, während er über die Hotelrezeption den Notruf alarmiert hatte? Schließlich hatte ich mein Smartphone kaum beschädigt zufällig ganz in der Nähe von dem Ort, an dem ich angegriffen worden war, am Boden liegend gefunden, als wir uns gerade auf den Weg zum Hotel gemacht hatten. Es hatte also nah genug bei Bastian und mir gelegen, so dass jedes einzelne Wort seiner Anweisungen an mich von meinem Vater mitgehört werden konnte.

„Was sagst du dazu?" Seine Stimme klang triumphierend. Er hatte seinen Joker ausgespielt und mich damit bloßgestellt.

Ich schwieg weiterhin. Wie sollte ich mich wieder rausreden ohne meinen Vater weiter zu beunruhigen?

„Wie soll ich dir helfen, wenn du schweigst?" Er legte seine Hände flach zusammen und tippte auf diese Weise ungeduldig mit den Zeigefinger auf seiner Lippe herum.

„Ich brauche keine Hilfe, weil nichts Schlimmes passiert ist." Ich hatte mich wieder gefangen und leistete Widerstand.

„Nichts Schlimmes? Deine Freundin war für kurze Zeit bewusstlos und du hast eine Kopfverletzung. Am besten sollte ich den Urlaub abbrechen.", sprach er mit lauter Stimme. Sein Geduldsfaden war nun endgültig am Ende.

„Bitte nicht.", flehte ich reflexartig. Meine schlimmste Befürchtung könnte sich damit bewahrheiten.

„Dann sag mir, wen du schützt und wieso. Schau mir doch endlich mal in die Augen." Mein Vater war zornig, so wütend hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich fühlte mich unter Druck gesetzt, weil ich überhaupt nicht mehr wusste, wie ich reagieren sollte, so dass mir eine Träne über die Wange kullerte.

„Ich weiß es nicht mehr." Weitere Tränen flossen über meine Wange. Mir war bewusst, dass mein Vater es nicht mochte mich weinend zu sehen und mich schon sehr bald in Ruhe lassen würde. Er hatte über die Jahre herausbekommen, dass es in einigen Situationen einfach besser war, wenn er mich allein ließ und das Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt fortfuhr, wenn sich alle Beteiligten wieder beruhigt hatten. Das wäre momentan wohl das Beste.

„Mir fehlen die Worte." Damit ließ er mich wie erwartet allein und kehrte vermutlich zum Hotel zurück.

Wellen schlugen gegen den Strand und verwirbelten den Sand, genauso wie mein Leben gerade durch diesen Überfall durcheinander geriet. Was hatte ich nur angestellt? Anstatt den ersten Tag mit meiner Freundin und einem gekühlten Cocktail ausklingen zu lassen, nahm ich das Meer mit meinem von Tränen verschwommenen Blick wahr. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Mein Vater war wütend auf mich und mich plagte das schlechte Gewissen, weil ich nicht die komplette Wahrheit preisgab. Wieso tat ich es? Ich hatte befürchtet, dass er den Urlaub abbrechen könnte, wenn er von den unheimlichen Gestalten und Bastian erfahren würde. Doch nun erpresste er mich schon förmlich damit, um die Wahrheit erzählt zu bekommen. Machte es also überhaupt noch Sinn zu schweigen, wenn er anscheinend sowieso eine Rückreise in Betracht zog? Es wäre wohl das Beste für uns alle und vor allem für mein Gewissen, wenn ich zum Hotel zurückkehren würde und mich kooperativer zeigen würde. Vielleicht gab es dann doch noch eine kleine Chance den Urlaub weiter hier zu verbringen.

Mittlerweile hatte ich mich wieder beruhigt und ich wischte die letzten Tränen mit meinem Handrücken weg. Entschlossen meinem Vater und Sina die Wahrheit zu erzählen, machte ich mich auf den Weg zum Hotel. Auf der Promenade schlenderten viele Leute an den kleinen Verkaufsständen vorbei, die anscheinend abends aufgestellt wurden. Eine angenehme Brise wehte umher, was nach einem hitzigen Tag eine schöne Abwechslung darstellte.

Beim Überqueren der Straße kurz vor unserem Hotel traute ich meinen Augen kaum, als mir ein gutaussehender Blondschopf auffiel, der interessiert an unserem Hotel hinaufschaute. Er erinnerte mich sofort an Bastian. Da er mich anscheinend noch nicht entdeckt hatte, bewegte ich mich schnurstracks zurück und stellte mich interessiert an einen dieser Verkaufsstände, der mir Tarnung bot, während ich gespannt darauf wartete, dass sich diese Person umdrehte, damit ich sicher gehen konnte, dass es sich wirklich um Bastian handelte, denn bisher hatte ich nur seinen Hinterkopf gesehen. Er inspizierte scheinbar unser Hotel. Mir wurde diese ganze Angelegenheit langsam sehr unheimlich. Auf einmal drehte er sich um. Diese sehr bekannten tiefblauen Augen von Bastian schauten sich um und ließen den Blick über die Verkaufsstände schweifen. Ich schaute sofort auf den vor mir ausgebreiteten Schmuck in der Hoffnung, dass er mich nicht entdecken würde.

Ein Verkäufer fragte mich auf Englisch, ob ich Interesse an einem seiner Produkte hätte und stellte einige vor. Obwohl ich dankend ablehnte und mich sofort wieder auf Bastian konzentrieren wollte, war er verschwunden.

Die KristallwächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt