Frodo krümmte sich über Flos Körper zusammen und schluchzte verzweifelt.
Ich ging auf ihn zu, zog ihn hoch. Alle starrten mich an, ein Soldat trat vor, bedeutete uns mit seinem Gewehr, vorwärts zu gehen, doch Frodo machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Also legte ich meinen Arm um seine Schulter und übte sanften Druck auf sie aus, sodass er mit mir kommen musste, raus aus dem Kreis, aus der Masse.
Wir waren nur noch zu zweit, doch Flos Tod hatte Frodo so aus der Bahn geworfen, dass es sich anfühlte, als wäre ich ganz allein auf der Welt.
Am Anfang hatte sich Frodo noch halbherzig gewehrt, doch inzwischen ging er stumm neben mir her, die Tränen flossen unaufhörlich seine Wangen hinab. Es schien, als spüre er den Lauf des Gewehrs in seinem Rücken gar nicht.
Ich zwang mich dazu, einen festen Schritt beizubehalten, ihm Sicherheit zu geben, während der Soldat uns schweigend vor sich her schubste.
Wir standen am Rand des Appellplatzes, niemand beachtete uns drei mehr. Die Soldaten brüllten den Gefangenen Befehle zu und alle machten sich wieder an die Arbeit.
Der Soldat führte Frodo und mich schweigend zu einer langen Holzbaracke, die vermutlich als Schlaflager diente. Vorsichtig machte ich die große Tür auf. Ein beißender Gestank stieg mir in die Nase. In dem dunklen Innenraum konnte ich kaum etwas erkennen, doch der Soldat gab uns einen kräftigen Stoß und knallte die Tür hinter uns zu. Je länger wir hier standen, desto mehr gewöhnten sich meine Augen an die staubigen Schatten. Ich erkannte viele Reihen von Betten, dreistöckig bis unter die Decke. In jedem Bett schliefen mindestens zwei Leute, oft mehr. Wie kann es sein, dass hier alles voll ist, wenn draußen nochmal genauso viele Menschen arbeiten?
Ich schritt durch die Reihen, die meisten Insassen schliefen, doch als ich fast am Ende des Raumes angelangt war, sah ich einen kleinen Jungen mit langem, verfilzten Haar auf einem Bett sitzen.
Er sah mich aus klaren, wachen Augen an. Neben ihm lagen zwei schlafende Erwachsene, ein Mann und eine Frau, schrecklich abgemagert. Sie sahen aus wie Skelette.
"Hallo, du. Warum bist du wach?"
Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
"Ich passe auf sie auf. Sonst nehmen sie sie mit"
"Sind das deine Eltern?"
Er nickte. Ich betrachtete sie genauer. Keiner der beiden atmete.
"Sie sind tot", stellte ich fest.
"Ich weiß"
"Warum beschützt du sie?"
"Sie dürfen sie nicht mitnehmen. Sie sind alles, was ich habe"
"Wie lange liegen sie schon hier?"
Es tat weh, diesem kleinen Jungen solche Fragen zu stellen, aber es war notwendig.
"Vier Tage"
"Vier Tage sind sehr lang"
"Vier Tage sind viel zu wenig"
Er schaute mir direkt in die Augen, sein Blick und seine Stimme verrieten, dass er zwar unendlich traurig war über den Tod seiner Eltern, dass er sich aber inzwischen von ihnen verabschiedet hatte.
"Wie heißt du, Kleiner?"
"Karl"
"Karl der Große"
"An mir ist nichts groß. Einfach Karl"
Ich nickte.
"Das hier ist Frodo und ich bin Jako"
"Ihr seid neu, oder?"
"Woher weißt du das?"
"Ihr seid nicht so dünn wie die anderen. Und eure Augen, ihr... Ihr seid noch nicht abgestumpft durch die Arbeit. Die Grausamkeit. Das Leid"
"Unser Freund Flo wurde grade erschossen"
"Hier wird jeden Tag jemand erschossen. Erhängt. Verbrannt. Es ist normal hier. Irgendwann trifft es jeden. Aber jemand Besonderes zu verlieren ist schlimm"
Sein Blick flackerte zu den Leichen seiner Eltern.
"Wieso bist du hier?"
"Glaubst du wirklich, sie brauchen einen Grund, um unschuldige Menschen einzusperren?", murmelte er bitter.
"Hatten sie bei dir einen?"
"Ich habe gestohlen. Einmal nur. Wir hatten nichts mehr zu essen, sind fast verhungert, also bin ich los. Als ich mit dem Diebesgut nach Hause kam, war es schon zu spät. Sie hatten mich längst bemerkt, doch sie waren mir gefolgt, um auch meine Eltern dranzukriegen. Und nun müssen wir alle hier sein und leiden..."
Er zog seine Knie nah an seinen dünnen Oberkörper und umschlang sie mit seinen noch dünneren Armen.
"Warum haben sie dir deine Haare gelassen?", fragte ich, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen. Um ihn abzulenken.
"Hattest du mal längere Haare?", fragte er mit einem prüfenden Blick.
"Sieht man das nicht?"
"Doch. Du musst etwas Schlimmes getan haben, etwas, das über Stehlen hinausgeht. Etwas, das es rechtfertigt, dass sie sich länger als nur ein paar Sekunden mit dir beschäftigen"
"Brauchen sie denn immer einen Grund?", wiederholte ich müde seine Worte von eben.
"Du musst sie gedemütigt haben. So sehr, dass sie auch dich demütigen mussten"
"Ich habe mich nur vor dem Militär versteckt, mit ein paar Freunden..."
Der Junge war hellhörig geworden.
"Welche Freunde?"
"Ist das denn wichtig? Die meisten sind tot..."
"Hast du Namen?"
"Natürlich. Da hätten wir hier Frodo, also Max Krüger. Dann Florian Mundt... Felix Denzer... Fabian Rieck... Steven Schuto..." Ich zögerte. Allein der Name tat weh.
"Und... Marti... Fischer"
In Karls Blick blitzte etwas auf.
"Marti Fischer?"
"Wieso, was ist mit ihm?", fragte ich aufgeregt. "Lebt er etwa?"
"Nun, das... das weiß ich nicht, tut mir leid. Aber er ist so etwas wie eine Legende"
"Eine Legende?"
"Ich weiß nicht, was er getan hat, aber meine Eltern haben ab und zu seinen Namen gesagt, Und einige Soldaten reden auch manchmal über ihn"
Sein Blick war voller Ehrfurcht. Er wirkte viel offener. Da schien ihm etwas aufzufallen.
"Ihr wollt sicher etwas schlafen. Sie haben lange genug hier gelegen. Hilf mir"
Er nahm die Füße seines Vaters und sah mich abwartend an. Erst da merkte ich, dass ich die ganze Zeit gestanden hatte. Ich lehnte Frodos ausgelaugten Körper an den Bettpfosten, er schloss erschöpft die Augen.
Dann nahm ich Karls Vater bei den Schultern und wir legten ihn in den Gang, seine Mutter daneben.
"Sie werden bald kommen und sie holen, keine Sorge"
Karl deutete auf das Bett.
"Ihr seid bestimmt müde"
Ich bugsierte Frodo auf die Matratze, er starrte teilnahmslos an die Latten des Bettes über uns. Ich setzte mich neben Karl.
"Wo schlafen die, die jezz draußen arbeiten?"
"Auch hier. Wir haben Zwölf-Stunden-Schichten. Dann wird gewechselt. Stellt euch auf eine harte Arbeit ein...", murmelte er und gähnte.
"Leg dich hin, Karl, auch du musst schlafen"
Er nickte, rieb sich müde die Augen und ließ sich auf die Matratze sinken.
"Sie kommen morgen und werfen uns aus den Betten", sagte er sehr leise.
"Wer? Die Soldaten?"
"Die andere Gefangenen. Durch das Schichtsystem herrscht hier eine vom Militär gewollte Rivalität...
Jeder kämpft um sein Überleben..."
Mit einem letzten Blick auf seine toten Eltern schlief er ein.••••••••••
Fast vergessen, hochzuladen vor lauter Loot für die Welt.
Ein laaanges Kapitel zur Abwechslung mal :D
Na, habt ihr LFDW überlebt? Ich grade so, die Fancrushtode waren definitiv da xD es war super!
Mal schauen, wann ich wieder wach werde, ich hab insgesamt seit Freitag um 5 Uhr morgens nur 3 1/2 Stunden geschlafen.
War auch ziemlich aktiv auf Twitter, unter anderem deshalb kam hier nicht viel.
Aber wenn ich geistig wieder auf der Höhe bin, kommen noch ein paar Oneshots (genug Ideen habe ich ja, Wünsche und Vorschläge gerne in die Kommentare) und auch bei meinen FF's wieder regelmäßig Kapitel.
Bis dahin, Cheerio, einen schönen Abend noch und gehabt euch wohl^-^
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War No More || Berliner Cluster
FanfictionÜberall herrschte Krieg. Jako musste dabei zusehen, wie einer seiner Freunde nach dem anderen starb. Mit nur noch einer Handvoll von ihnen, Rick, Frodo, Marti und Flo, kämpft er sich durch die Nachkriegszeit, die gezeichnet ist von Hunger, Krankheit...