Katherine
Heute ist mein Geburtstag. Es sollte der schönste Tag im Leben jeder 20-jährigen sein. Eigentlich.
Starr vor Unglauben und mit Todesangst, die tief in meinen Knochen sitzt, starre ich auf das Resultat. Unmöglich. Das kann unmöglich wahr sein.
Zwei mitleidige Augenpaare schauen mich prüfend an, wenden sich aber sogleich wieder den Testresultaten zu.
Mein Blut gefriert in meinen Adern. Meine Gedanken verklumpen zu einem einzigen Eisbrocken: Fehlerhaft. Das Urteil trifft mich mitten ins Herz. Ich bin fehlerhaft.
Wie in einem Traum höre ich die Ärztin leise mit ihrem Gehilfen flüstern. All das scheint so fern, sodass mein Verstand die Konsequenzen der Daten kaum wahrhaben will.
Plötzlich wird die Tür zum durch und durch weissen Testraum geöffnet und zwei Soldaten treten an meine Seite. Und nun begreife ich endlich.
Ich habe gerade mein Todesurteil vorgezeigt bekommen.
„Fehlerhaft", verkündet die Ärztin resigniert und schaut mich für eine Sekunde entschuldigend an. Dann nickt sie in meine Richtung.
„Die Daten sind sehr ungewöhnlich. Schicke sie an den Abteilungsleiter, vielleicht hat er schon einmal einen ähnlichen Fall gesehen", erklärt die Ärztin ihrem Gehilfen und rückt ihre Brille zurecht.
Mehr von ihrem Gespräch bekomme ich nicht mit. Als mich die zwei starken Männer an meinen Armen packen, erschrecke ich mich so sehr, dass ich einen Satz zur Seite machen würde. Allerdings halten mich die Soldaten so extrem fest, dass nur mein Herz einen Sprung machen kann. Auf meinem Rücken breitet sich eine Gänsehaut aus. Ich winde mich in dem starren Griff, versuche, einen Blick auf einen meiner Peiniger zu erhaschen.
Im nächsten Moment drücken mich die Männer hoch, so dass ich wohl oder übel auf meinen Beinen lande.
„Was?", frage ich niemanden, ungläubig voraus starrend. Mein Gehirn hat abgeschaltet, meine Muskeln handeln instinktiv.
„Lasst mich sofort los", knurre ich wenig glaubwürdig. Vergeblich versuche ich immer wieder, meine Beine in den Boden zu stemmen, um unseren Zug aufzuhalten. Während die Männer mich rasch vorwärts tragen, verschwimmt meine Sicht immer mehr. Mir wird schlecht und eiskalt. Ich will weinen und schreien und... Einfach nur leben.
Da der Boden mir nicht hilft, schmeisse ich meinen Körper ruckartig in die Luft. Auf der rechten Seite wird mein Arm für den Bruchteil einer Sekunde frei, sodass ich mit der Hand sofort an den linken Arm greife. Während mein Körper noch immer bebt und meine Füsse aufzugeben drohen, kralle ich mich in das Fleisch des Soldaten, dert mich noch immer fest hält.
Doch sogleich ist auch der zweite Mann wieder zur Stelle und reisst so sehr an mir, dass ich für einen Moment glaube, mein Körper wäre in der Mitte getrennt worden. Der Schmerz jagt meine Wirbelsäule hinauf bis in meinen Hals. Doch meine Panik ist grösser als aller Schmerz.
„Jack, halt sie endlich fest", befielt einer der Männer seinem Kumpan. „Das kann doch nicht so schwer sein."
Tränen treten in meine Augen, sodass nun auch der letzte Lichtpunkt in meiner Sicht verschwindet. Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit. Wird sich so der Tod anfühlen?
Ich habe meinen Test nicht bestanden. Und nun werde ich entsorgt.
„Bitte", klage ich hilflos, doch die Soldaten zerren meinen widerspenstigen Leib weiter voran. „Bitte, gebt mir noch eine Chance."
Keine Reaktion. Langsam aber sicher ist mein Körper am Ende. Meine Kräfte schwinden, meine Beine schmerzen von den ganzen Aufschlägen auf dem Boden und mein Kopf schwirrt. Ist das wirklich mein Ende?
„Was zur...", flucht eine dunkle Stimme, die sogleich verstummt wird. Obwohl meine Sicht noch immer schwindet, spüre ich eindeutig, wie sich die Griffe um meine Arme lösen. Ich bin frei.
„Katherine?", fragt eine vertraute Stimme gehetzt. Ich drehe mich um, kann unter den Tränen aber nur die Umrisse eines hochgewachsenen Mannes ausmachen.
„Katherine! Komm, schnell. Wir haben nicht viel Zeit."
Selbst mit meinem unscharfen Verstand erkenne ich die Stimme. Sie gehört zu Lucas, meinem grossen Bruder.
Seine Hand, die nun langsam an Schärfe annimmt, packt meinen Arm.
„Hier entlang", weist er mich an und reisst mich mit sich den Gang hinunter.
„Lucas?", bringe ich nun endlich unter Tränen heraus. Meine Gedanken finden nun überhaupt keinen Sinn mehr. Alles scheint wie ein einziger böser Traum.
Doch Lucas' Haut auf der meinen gibt mir Kraft. Seine Anwesenheit bedeutet Hoffnung. Also erhöhe ich mein Tempo, bis ich auf einer Ebene mit Lucas um unser Überleben renne. Schnell wische ich mir den Rest meiner Tränen aus den Augen. Meine Beine tragen mich voran, die vielen Zöpfe auf meinem Kopf peitschen immer wieder auf meinen Rücken.
Obwohl meine Lunge kaum mit der Sauerstofflieferung nachkommt, rennen wir weiter und weiter die Gänge entlang. Plötzlich setzen irgendwelche Alarmglocken ein und Stimmen erklingen am Ende des Ganges.
„Hier", schnauft Lucas atemlos und öffnet eine Tür zum Treppenhaus. Ich stürze hinein und renne hinter ihm die steile Treppe runter. Bald schon höre ich Rufe über uns. Sie sind uns dicht auf den Fersen.
Irgendwie schaffen wir es in das Erdgeschoss, wo wir völlig erschöpft aus dem Treppenhaus stürzen. Der Ausgang führt nicht etwa zurück ins Gebäude, sondern scheint als eine Art Hintereingang zu dienen.
„Da!", ruft eine Stimme hinter uns, bevor die Türe zum Treppenhaus zu schwingt.
„Katherine, schnell", keucht Lucas, „wir müssen zum Auto."
Zu spät. Hinter uns erklingen erneut hektische Rufe. Während ich mit Vollgas auf das einzige Auto in Sichtweite zu renne, erklingen die ersten Schüsse. Bald, ach so bald, haben wir es geschafft. Völlig entgeistert und in Todesangst versuche ich, den Schüssen zu entfliehen.
Plötzlich durchfährt mich ein eisiger Schmerz. Sie haben mich getroffen. Mein Hirn schaltet aus, sobald die erste elektrische Welle meinen ganzen Körper verkrampfen lässt.
„Katherine!", höre ich Lucas' Stimme am Ende des Abgrunds. Dann stürze ich hinein.
DU LIEST GERADE
Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?
Science FictionEs ist kein Geheimnis: Die Ressourcen sind begrenzt. Wasser, Erdöl, Kohle; all das wird irgendwann ausgehen, womöglich schon bald. Aber wie soll man dann eine stetig wachsende Bevölkerung versorgen? Nun, es gibt nur eine Lösung, die auf längere Z...