Dreiundzwanzigstes Kapitel

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Willow

Noch vor zehn Minuten habe ich einsam auf meinem Posten gesessen und meine Haare neu geflochten. Und nun schaue ich direkt in Ernestos wutentbranntes, verzerrtes Gesicht.

Als ich den Truck habe kommen sehen, ist mir das Blut in den Adern gefrohren. Und gleichzeitig endlich aufgetaut. Auch wenn Ernesto Roscoe am Morgen verflucht hat, sind wir uns alle nicht sicher gewesen, ob die Gruppe Funken wirklich freiwillig die Flamme verlassen hat. Immerhin hat deren Rückkehr den schlimmsten Verdacht vernichtet. Und gleichzeitig prophezeit, dass Ernesto ausflippen wird.

„Haltet sie alle zusammen", brüllt unser Anführer furios und mit sechs Funken im Schlepptau. Angst erfüllt mich. Dieses Mal hat er uns sogar aufgetragen, die Waffen gleich mitzunehmen. Wäre Ernesto wirklich in der Lage... Ich glaube nicht. Ich hoffe, dass seine Wut nicht so weit reicht.

Ihm dicht auf den Fersen schreiten wir zügig durch die Ruinen, deren Stein im brennenden Sonnenlicht der Mittagssonne bereits erwärmt ist. Tausend Gedanken rasen durch meinen Kopf, während ich meine Schusswaffe gegen den Boden richte.

Obwohl ich vollkommen hinter Ernesto stehe, will ich unbedingt den Frieden in der Flamme wahren. Ich presse meine Augen einen Moment lang zusammen und hoffe inständig, dass niemand verletzt werden wird.

„Roscoe!", schreit Ernesto rot vor Wut, als wir nur noch wenige Meter vom Truck entfernt sind. „Roscoe, du Arschloch! Komm sofort her!"

Fast zu lässig steigt der stämmige Rebell aus dem Fahrersitz des Jeeps und schlägt die Tür hinter sich zu. Von der Ladefläche löst sich eine ansehliche Gruppe an halb verhüllten Funken.

„Damit kommst du nicht davon", schreit unser Anführer lauthals und reisst sich sein Bandana vom Gesicht. Alle Vorsicht ist vergessen. „Nicht dieses mal. Du bist so ein mieser Verräter. Und ziehst die Anderen noch mit in dein Verderben? Geht's noch?"

Obwohl Roscoes Augen sich gefährlich verengen, erwidert er nichts. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich auf diese Standpauke bereits vorbereitet hat. Er ist nämlich eher nicht der Typ, der die Fassung spontan behält.

Während Ernesto sich weiter entsetzt, versuchen sich einige der Funken vom Auto zu entfernen.

„Nicht so schnell", löst sich Ernestos Blick endlich von Roscoe, „ihr kommt nicht so einfach davon. Was fällt euch ein, bei so einer dämlichen Aktion mitzumachen?"

Kein einziger Funke - unter denen ich Pike, Seth und Katherine schnelle erkenne – sagt etwas dazu. Stattdessen schauen sie einfach zu Boden.

„Meine Nerven", beklagt sich Ernesto weiter. Obwohl mir die Funken im Verhör genauso leidtun wie er, möchte ich ihn am liebsten in den Arm nehmen. Ihn wenigstens ein bisschen beruhigen. Mein Blick wandert über seine erröteten Wangen, die in der prallen Sonne glühen. Seine Haare sind bereits mit Schweiss versetzt. Trotzdem ist er so unglaublich hübsch.

„Trevor, Willow, Leo", ruft seine schöne Stimme und ich schrecke aus meinen Gedanken. „Nehmt die sieben Funken mit und lasst sie nicht entwischen. Ich werde sie mir später vornehmen. Wir treffen uns im Hauptgebäude."

„Ernesto", wendet da Leo vorsichtig ein, „wir müssen zurück auf unsere Posten. Oder jemand muss für uns die Wache übernehmen."

„Dann kümmert euch gefälligst darum!", brüllt Ernesto ungewöhnlich harsch zurück und lässt Leo kopfschüttelnd zurück. Im nächsten Atemzug steht unser Anführer direkt vor Roscoe und schaut ihn wutentbrannt an.

Die ganze Situation verpasst mir eine Gänsehaut. Seit Wochen haben wir keinen solchen Aufstand mehr gehabt. Was ist mit dem Zusammenhalt der Funken passiert?

Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt