Drittes Kapitel

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Ernesto

Beigefarbene Wolken bahnen sich langsam einen Weg zu unserem Standort. Der Dreck, der noch immer nicht aus der Luft herausgefiltert worden ist, verfärbt die sofort einsetzenden Regentröpfchen in eine unschöne Farbe. Ich frage mich, wieso sich die Regierung nicht noch mehr für saubere Luft einsetzt. Schliesslich soll Regen einmal durchsichtig gewesen sein.

Ich starre in den Himmel hoch. Ein brauner Tropfen landet auf meiner Wange, dann noch einer. Dass Regen einmal so sauber gewesen sein muss, dass man ihn geradezu trinken konnte, scheint so extrem fremd.

Dank unseren blinden und egoistischen Vorfahren gehöre ich zu der Generation, die noch nie einen staubfreien Regentropfen zu Gesicht bekommen hat.

„Da sind sie endlich", reisst Willow mich aus meinen Gedanken, „gerade noch bevor der Sturm einsetzt."

Sofort suche ich das grüne Feld nach der Gruppe ab, auf die wir schon eine ganze Weile warten. Tatsächlich erkenne ich Nathalia's grünen Haarschopf bereits von Weitem. Erneut wird mir unangenehm bewusst, was für ein leichtes Ziel sie mit ihren leuchtenden Haaren abgibt.

Sobald unsere Leute nah genug sind, zähle ich sie durch. Wie erwartet haben sie jemanden Neues dabei. Unentschlossen, ob ich darüber froh oder besorgt sein soll, trommle ich einige Male mit meinen Fingern auf den Felsbrocken, hinter dem ich kauere. Dann ziehe ich meine schwarze Kapuze über und stehe auf. Der Regen fällt nun in dicken Tropfen, nicht lange und wir werden alle durchweicht. Darauf kann ich sehr gut verzichten.

„Bringst du deinen Blondschopf vor der bösen Brühe in Sicherheit?", zieht Willow spielerisch eine Augenbraue hoch. Ihre silbernen und goldenen Tattoos, die ihren ganzen Körper verzieren, lugen sogar unter ihrer grauen Kapuze hervor.

„Sehr lustig", antworte ich wenig amüsiert.

„Eitelkeit tut Rebellen nicht gut", behauptet sie weiter. „Ganz besonders, wenn sie für ziemlich viel mehr als ihre Frisur Verantwortung tragen."

Während sie leise auflacht und damit offenbar unsere beiden weiteren Begleiter mitansteckt, trete ich hinter der Steinwand hervor. Leicht gereizt über Willow's Kommentar recke ich meine Nase ein bisschen in die Höhe. Niemand wird meinen Stolz so schnell verletzen.

„Kommt lieber her, anstatt unnötig herum zu grinsen", befehle ich schnell. „Nathalia ist jeden Moment da."

Sofort stehen sie alle auf und verteilen sich um mich herum. Nun sind es meine Lippen, die ein kleines Grinsen ziert. Auch wenn meine Leute sich gerne lustig über mich machen: Sie wissen genau, wer das Sagen hat. Und solange sie genauso loyal sind wie ich, kann ich ihnen den einen oder anderen blöden Kommentar verzeihen.

Ich richte meinen Blick erneut auf Feld, wo die ausgesandten Rebellen zielstrebig auf uns zu schreiten. Der Regen scheint sie schneller als gewöhnlich voran zu treiben, denn gerade Nathalia hat nicht wirklich den Hang zur Schnelligkeit.

„Ernesto", grüsst sie freudig, als die Gruppe nur noch wenige Schritte von uns entfernt steht. Obwohl ich Nathalia vollkommen vertraue, kann man nicht vorsichtig genug sein. Gekonnt mustere ich daher meine Rebellen einen nach dem anderen. Mein Blick bleibt an der fremden, jungen Frau hängen, die sich in der Mitte meiner Leute aufhält.

Ihre Kleidung ist zerfetzt, am Schnitt in ihrer Jeans und dem verkrusteten Blut an Schlüsselbein und Bein erkenne ich unschwer, dass die Peilsender bereits entfernt worden sind. Sehr gut.

Obwohl es regnet, hat die junge Frau keine Kopfbedeckung auf, trägt nebst der Hose lediglich ein ärmelloses Top und Turnschuhe. Ihre blassbraune Haut ist bereits nass, die ellbogenlangen Zöpfe hängen wild über ihre Schultern. Sie ist ziemlich gross und mustert meine drei Begleiter und mich mit zusammengebissenen Zähnen.

Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt