Cecilia
Dank der Dunkelheit, die draussen schon herrscht, spiegelt das grosse Fenster mein Gesicht. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Zufrieden verschiebe ich eine Locke meines seidigen, braunen Haares ein wenig, sodass sie perfekt neben den anderen Strähnen sitzt. Glücklich mit meinem Aussehen lasse ich meinen Blick durch die Scheibe nach draussen wandern.
Da ich im elften Stock eines Gebäudes aus Glas arbeite, habe ich nachts einen faszinierenden Ausblick über die Dächer meiner Heimat. Unzählige Strassenlichter und Fenster verleihen der Stadt einen Anschein von einem goldigen Sternenmeer. Einmal mehr erfüllt mich die Sichtung des Neuen Amerika mit Stolz.
„Gute Nacht, Cecilia", verabschiedet sich auch der letzte meiner Kollegen. Süss lächelnd drehe ich mich ein wenig um, sodass ich ihm kurz zuwinken kann.
„Auf Wiedersehen."
Einmal vom Fenster weggedreht sitze ich wieder auf meinen glasigen Stuhl. An meinem Pult, welches säuberlich aufgeräumt ist, lege ich sofort die Ellbogen auf die Glasplatte. Ohne mein Makeup zu verschmieren, stütze ich mein Kinn leicht auf meine verknoteten Handflächen. Die geöffnete Seite auf meinem Bildschirm fasziniert mich mit jeder Sekunde mehr. Nun, da ich ganz alleine im Büro zu sein scheine, habe ich alle Ruhe, mir jede Einzelheit einzuprägen. Wie ich eine gute, späte Nachtschicht liebte! Nicht, weil ich keine bessere Beschäftigung habe. Nein, ganz einfach, weil ich es mag, vor dem Einschlafen eine Aufgabe gelöst zu haben.
Geduldig mustere ich das Bild der jungen Frau, das in der Datei vorhanden ist. Dann lese ich die wenigen Informationen, die sie beschreiben.
Katherine Augustin
20 Jahre alt
Diagnose: UV (Unbekannter Virus)
Dann überfliege ich die Erzählung des Oberwachmanns, der ihren Ausbruch mitverfolgt hat. Dank seines Versagens habe ich nun das Vergnügen, die Fehlerhafte aufzufinden. Manchmal macht mich die Arbeit in der Verwaltung der Testlabore fast schon selber krank. Ständig mit Rebellen und Fehlerhaften zu tun zu haben ist nicht leicht. Genau deshalb schätzt mich die Konsulin wohl auch so sehr. Beim Gedanken an ihr persönliches Lob letztes Jahr recke ich die Nase etwas höher in die Luft.
Diese Katherine wird sich nicht lange vor mir verstecken können. In den vergangenen Jahren habe ich bereits drei Rebellen eingefangen und vier Fehlerhafte, die anscheinend nicht einmal bei den Rebellen Anschluss gefunden haben, ausfindig gemacht. Meine Suche nach den Ausgestossenen wird nie ein Ende haben, dessen bin ich mir sicher. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass es Menschen wie mich gibt. Dank den perfekten Menschen unter uns, die sich für eine sichere Gesellschaft einsetzten, wird die Rebellion nie wirklich funktionieren können. Das weiss ich einfach.
Entschlossen drucke ich die Datei aus und hole sie mit wenigen Schritten auf meinen dunkelblauen Pumps beim Drucker ab. Dann stecke ich sie an eine weisse Pinnwand, die zwischen dem Fenster und meinem Schreibtisch steht. Säuberlich umkreise ich ihren Namen und suche in weiteren zwei Stunden alle möglichen Informationen über ihr bisheriges Leben: ihre Hobbies, ihre Freunde, ihre Gewohnheiten, ihre Lieblingsorte. Zusammen mit zusätzlichen Angaben über ihre Familienmitglieder notiere ich alles auf der Pinnwand.
Sobald ich mit der Vernetzung der verschiedenen Stichworte fertig bin, mache ich einen Schritt von meinem Notizenbord zurück. Allgemein macht diese Katherine Augustin den Eindruck, eine perfekte junge Frau zu sein – fehlerhaft macht sie nur dieser seltsame Virus. Wohlwissend nicke ich: Kranke Menschen kann das Neue Amerika genauso wenig gebrauchen wie dumme.
Ich bin mir sicher, dass die Familie der jungen Frau nicht hinter ihrem Verschwinden steht. Schliesslich scheint sie ansonsten eine perfekte Abstammungsgeschichte zu haben. Sogleich habe ich meinen Startpunkt gefunden. Morgen früh werde ich den Augustins einen kleinen Besuch abstatten.
Zufrieden stecke ich den Deckel auf den roten Marker. Dann lege ich ihn in die dafür vorgesehene Schublade und nehme meinen Blazer vom Hacken.
Erneut habe ich den Grundstein dafür gelegt, ein besseres Neues Amerika zu gewährleisten. Was kann man von einer zukünftigen Konsulin auch Anderes erwarten. Nun werde ich ganz sicher ruhig schlafen können.
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Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?
FantascienzaEs ist kein Geheimnis: Die Ressourcen sind begrenzt. Wasser, Erdöl, Kohle; all das wird irgendwann ausgehen, womöglich schon bald. Aber wie soll man dann eine stetig wachsende Bevölkerung versorgen? Nun, es gibt nur eine Lösung, die auf längere Z...