Zwölftes Kapitel

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Nathalia

„Nathalia!"

Erschrocken drehe ich mich immer noch am Wasser kniend um. Im schwachen Licht des Morgens kommt ein grosser, bärtiger Mann auf mich zugeschritten. Obwohl die Sonne kaum aufgegangen ist, reibe ich mir den ersten Schweiss von der Stirn.

„Hi Trevor", grüsse ich ihn und verschliesse meine Glasflasche. Dann stehe ich auf, gerade als der Funke bei mir ankommt. „Was gibt's?"

„Ernesto hat uns beiden aufgetragen, heute eine Suche durch die Stadt zu unternehmen."

„Gott sei Dank", grinse ich ihn heiter an. „Dann muss ich nicht wieder auf die Suche nach grasigen Dingern gehen. Das habe ich gestern zum ersten Mal gemacht. Einmal reicht, glaub mir. Die Langeweile kannst du dir nicht vorstellen."

Ein Tag in der Stadt verspricht viel mehr Aufregung.

„Ja", erwidert er knapp. Ich merke gleich, dass er nicht in der Stimmung ist, sich mit mir zu unterhalten. Was mich kaum aufhalten wird. Immerhin sollte man immer ein bisschen Freude und Glück versprühen – auch wenn die Menschen das anfangs abwehren.

„Gibt es irgendein bestimmtes Ziel?", frage ich während wir beide in Richtung Halle rauschen. Obwohl wir uns ein wenig vom Bach entfernen, verfolgt mich der Gestank weiterhin. Ich habe absolut null Verständnis dafür, wie Trevor hier ohne ein Bandana auskommt. Er ist auch wirklich der Einzige, der sich das antun will.

„Nein. Wie fast immer müssen wir einfach nach Verstossenen Ausschau halten."

„Und wieso gerade heute?"

„Weiss ich nicht."

„Kommt Ernesto auch mit? Oder Roscoe?"

„Nein."

„Und Katherine?"

„Nein."

„Aber wir nehmen schon den Truck, oder?"

„Ja."

Ich stelle ihm ungefähr zehn weitere Fragen, die er ähnlich gelangweilt beantwortet. Langsam verfliegt mein Spass an der Unterhaltung. Nur gut, dass wir sowieso endlich die Halle erreicht haben. Am Morgen ist die Trainingsfläche schon fast gespenstisch leer. Ohne anzuhalten gehen wir die Treppe hinunter in den Keller.

Nach fünf Minuten tragen wir beide saubere Alltagskleidung und ich zusätzlich eine dunkle Perücke. Unter den dünnen Hemden haben wir beide zwei Schusswaffen und ein Messer angeschnallt. Ausserdem trage ich in einer viel zu schicken Handtasche den Plan, auf dem wir alle abgesuchten Strassen markieren und unterschreiben müssen. In einer blauen Hülle steckt ausserdem unsere einzige Kreditkarte. Bei dem Gedanken an ein ausgiebiges Mittagessen läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Alleine deswegen sind die Ausflüge in die Stadt schon der Hammer.

Als Stadtbewohner getarnt und bewaffnet legen wir den Weg zum Jeep zurück, der gut getarnt zwischen zwei Ruinen steht. Ich öffne die Türe zum schwarzen Auto, das mit einer dünnen Staubschicht überzogen ist. Flink stütze ich mich am Autorahmen ab und stemme mich in das hochgelegte Gefährt. Die Höhe des Jeeps eignet sich perfekt dazu, über das Gelände zu rasen.

Trevor steigt auf den Fahrersitz und schwingt seine Tür gleichzeitig wie ich zu. Das laute Geräusch, das dabei entsteht, scheint in der Stille der Flamme extrem eindringlich.

„Auf geht's", freue ich mich lautstark und lache meinen bärtigen Begleiter an. Er würdigt mich keines Blickes, immerhin erscheint aber auf seinen Lippen ein klitzekleines Lächeln.

Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt