Viertes Kapitel

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Katherine

„Hier", sagt der Anführer der Gruppe und reicht mir eine kleine Schale.

Ich sitze inmitten etlicher Funken im grossen Keller eines der zerstörten Häuser. Die Holzbank ist hart, aber das Sitzen entlastet meinen krampfenden Rücken, sodass ich leicht einsinke. Dankend nehme ich die Schüssel entgegen und reibe geistesabwesend mein Kreuz. In der Schüssel befinden sich lediglich drei grosse Tabletten. Fragend schaue ich die junge Frau neben mir an. Natürlich habe ich mein ganzes Leben lang nahrungsergänzende Pillen geschluckt, allerdings nie nur. Wo sind die frischen Lebensmittel?

Mein Magen knurrt beim Gedanken an Essen. Wie lange habe ich überhaupt neben dem Bach gelegen? Obwohl ich den Sonnenuntergang nicht sehe, bin ich mir sicher, dass es abends sein muss.

„Was?", fragt die Rebellin mit gehobenen Augenbrauen. „Bist du nicht zufrieden mit deiner Mahlzeit?"

„Das ist doch kein Essen", empöre ich mich verwirrt. Doch die Rebellin schüttelt nur augenrollend ihren Kopf.

Die extrem dünne Frau muss um die 30 Jahre alt sein und hat sehr lange, fast weisse Haare, die bereits einen dunklen Ansatz haben. Ich gehe davon aus, dass sie die Möglichkeit, sie nachzufärben, nicht sehr häufig bekommt. Was wird mit meinem widerspenstigen Haar passieren, wenn ich erst eine Weile hier gelebt habe?

Die fast schwarzen Rehaugen der Frau bohren sich in mich hinein, sodass ich unruhig auf meine Hände schaue.

„Die Tabletten beinhalten alle Nährstoffe, die du brauchst, um deine Kräfte zu behalten. Glaube mir, ich lebe schon seit Jahren davon."

Deshalb das fehlende Fett an ihrem Körper. Aber wie können die anderen dann ihr Gewicht behalten? Skeptisch schiebe ich die erste runde Tablette auf meine Zunge. Sie schmeckt bitter, aber nicht anders, als ich es gewohnt bin.

„Den Luxus von frischem Fleisch können wir uns hier nicht leisten", erklärt mir der Anführer der Funken, der gegenüber von mir abgesessen ist. „Gemüse und Früchte sind ausserdem für die wohlhabenden Stadtbewohner reserviert, was du sicher bereits weißt. So viel Geld haben wir leider nicht zur Verfügung. Noe und Rita sind die Einzigen, die öfters etwas Farbiges auf ihrem Teller zu sehen bekommen."

Rita habe ich bisher noch nicht kennen gelernt, dafür aber Noe. Neugierig schiele ich zum kleinen Jungen hinüber, der uns vorher freudig begrüsst hat. Tatsächlich sehe ich auf seinem Teller einige grüne Ballen, die ich als Rosenkohl kenne, auch wenn ich sie selber selten gekostet habe. Die Portion ist so klein, dass kaum ein Baby davon satt werden würde. Dennoch gabelt Noe freudig einen Ballen auf und kaut genüsslich. Ich lächle beim Anblick.

„Na das ist mal was Neues", meint der Anführer sarkastisch, „ein Lächeln."

Sofort verschwindet mein Grinsen wieder und ich greife nach der zweiten Tablette in meinem Schüsselchen.

„Wie heisst du eigentlich?", frage ich den auffällig blassen Anführer, woraufhin er mich mit seinen grünbraunen Augen intensiv mustert.

„Ernesto."

Ich nicke nur und schaue in meine Schüssel. Mein Magen knurrt noch immer, die Tabletten werden das wohl nicht ändern können.

„Darf ich fragen, wie alt du bist?", frage ich weiter, nur um mich von meinem Hunger abzulenken. Ernesto steckt sich seine letzte Tablette zwischen die Zähne.

„Wieso willst du das wissen?"

Ich zucke mit den Schultern: „Weil du hier der Anführer zu sein scheinst. Und dennoch nicht sehr erfahren aussiehst."

Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt