Katherine
Die erste Nacht in der Flamme ist unruhig und vollkommen still zugleich. In Willows Keller ist es so dunkel, dass ich nicht einmal meine Hand vor meinen Augen sehe. Immer wieder drehe ich mich auf der weichen Matratze um, wodurch das kaputte Bettgestell jedes Mal klagend ächzt. Und immer wieder wache ich auf, ohne wirklich geschlafen zu haben.
Irgendwann halte ich meine einsamen Gedanken und die absolute Dunkelheit nicht mehr aus und richte mich im Bett auf. Leise stöhnend reibe ich mir meine immer noch müden Augen. Obwohl ich keine Ahnung habe, ob ich zehn Minuten oder vier Stunden dagelegen bin, schwinge ich meine Beine über den Bettrand und stehe vorsichtig auf. Möglichst leise ziehe ich meine kaputte Hose über und schlüpfe in die dreckigen Turnschuhe. Dann taste ich mich der kühlen Steinmauer entlang in die Richtung, in der ich die Treppe vermute. Erleichtert, nichts umgestossen zu haben, setze ich geräuschlos einen Fuss auf den ersten Tritt. Mit jedem weiteren Schritt komme ich dem Mondlicht ein wenig näher und stehe schliesslich im Freien unter ihm. Wie eine Wilde höchstpersönlich starre ich in den Himmel, in dem die Sterne unglaublich deutlich leuchten. Mir stockt der Atem. In der Stadt sieht man durch die ständige Beleuchtung kaum Sterne.
Obwohl ich in der kühlen Nachtluft fröstle, setze ich mich auf einen grossen Betonbrocken in der Nähe. Sofort ziehe ich meine Beine an und schlinge die Arme darum. Ob Lucas auch gerade in den Himmel schaut? Vielleicht, ja. So, wie es in den alten Filmen des ehemaligen Hollywoods vorkommt.
Ob Lucas auch gerettet wurde? Ich hoffe es so sehr. Vielleicht hat man ihn zurück in die Gesellschaft gelassen. Vielleicht hat Cassius ihn zu einer anderen Gruppe Funken gebracht. Mir wird klar, dass ich ohne die Funken keine Chance habe, ihn je wieder zu finden. Mir ist auch bewusst, dass ich selber ohne ihre Hilfe wohl längst schon eingefangen worden wäre. Könnte ich dann trotzdem in den Nachthimmel gucken? Oder wäre ich ohne die Rebellen bereits tot?
Ich weiss, dass ich den Funken mein Leben verdanke. Und ich beschliesse, ihnen wenigstens eine Chance zu geben. Auch wenn mich die Tatsache, dass sie alle fehlerhaft sind, irgendwie abschreckt, haben sie diese wohl verdient. Ausserdem scheinen die Menschen hier ganz in Ordnung zu sein. Nathalia hat eine kindliche Art, die mich an meine jüngere Schwester erinnert. Ernesto findet sich zwar schrecklich wichtig, hat aber für meinen reibungslosen Start bei den Funken gesorgt. Lance und Willow haben beide ein sehr grosses Herz und selbst Marleen kann ich für ihre Worte nicht böse sein. Schliesslich bleibt noch der Tättowierer, Roscoe.
Obwohl er absolut unfreundlich ist keine Manieren hat, fasziniert mich der junge Mann auf eigenartige Weise mehr als alle anderen Funken zusammen. Roscoe. Beim Gedanken an ihn verziehen sich meine Lippen verräterisch. Seine stämmige Figur und die wilden, dunklen Haare sehe ich vor mir, als stünde Roscoe höchstpersönlich hier. Der kräftige Hals, auf dem sein relativ schmales aber wohlgeformtes Gesicht thront. Die blassrosa Lippen mit feinen Fältchen, die sich während dem Sprechen glätten. Vor allem aber die Augen. Sie sind es, die sich in mein Herz gebohrt haben. Unter zwei dunklen Brauen schauen mich in meiner Erinnerung zwei wild glühende Augen an. Das linke so eisblau, als wollte er das Blut in meinen Adern gefrieren lassen, das rechte so waldgrün, als würde er mich im nächsten Moment zum Mittelpunkt der Erde entführen.
Ich weiss nicht, was mit meinem Verstand passiert ist. Für einen Moment scheint er wie ausgeschalten. Doch solange ich die Erinnerung an Roscoe am Leben erhalte, so lange finde ich den Anschaltknopf zu meinem Gehirn nicht. Natürlich habe ich mich schon einmal in einen Jungen verguckt, schliesslich bin ich in eine Gesellschaft mit etlichen perfekten Jungs hineingeboren worden. Aber das mit Roscoe, das ist nicht dasselbe. Das ist nicht Liebe – vielleicht noch nicht, vielleicht wird es das nie werden – es ist eine unbegreifliche Faszination.

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Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?
Science-FictionEs ist kein Geheimnis: Die Ressourcen sind begrenzt. Wasser, Erdöl, Kohle; all das wird irgendwann ausgehen, womöglich schon bald. Aber wie soll man dann eine stetig wachsende Bevölkerung versorgen? Nun, es gibt nur eine Lösung, die auf längere Z...