Vierzehntes Kapitel

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Ernesto

Die Steuerung des alten Jeeps ist eine Kunst. In der Stadt gibt es kaum noch Autos, aber diejenigen, die für eine Arbeit gebraucht werden, haben einen voll funktionsfähigen Autopiloten. Zu meiner Zeit in der Gesellschaft habe auch ich einen vollautomatisierten Seat gefahren, da ich fast jeden Tag an einem anderen Platz gearbeitet habe. Ausser Gas geben und bremsen habe ich in meinem Auto kaum etwas mithelfen müssen.

Der Jeep ist dagegen nicht nur von Hand zu steuern, sondern besitzt auch noch eine uralte Kupplung und etliche Schalter für Licht, Scheibenwischer und Heizung. Was würde ich jetzt für einen schicken, klimatisierten Kleinwagen geben.

Nach einer mühsamen Fahrt erscheint am Horizont endlich die kleine Ansammlung von Gebäuden. Ich verlangsame den Wagen bis wir die erlaubte Geschwindigkeit fahren.

„Ernesto, Ernesto, Ernesto", singt Nathalia schräg und wirft sich auf dem Beifahrersitz in Pose. Obwohl ich um Etliches besser singe als sie, lasse ich ihr die Freude. Während ein mir unbekanntes Lied läuft, singt sie unzählige Male meinen Namen über die schnelle Melodie. Dass ich das Lied nicht erkenne zeigt, wie lange ich wirklich schon von der Gesellschaft weg bin. Gerade die Musik vermisse ich unglaublich. Mit dem Kopf wippend trommle ich mit meinen Daumen auf das Steuerrad.

„Nathalia, Nathi, Nathi", singe ich zurück, woraufhin die junge Rebellin neben mir verstummt. Ich werfe ihr einen freudigen Blick zu, konzentriere mich danach aber wieder auf die Strasse.

„Sing weiter", fordert Nathalia mich auf und boxt mich auf den Oberarm.

„Wir sind sowieso gleich da", schüttle ich den Kopf. „Dreh die Musik ab. Wir sollten eine Parkmöglichkeit suchen."

Mit jeder Minute kommt das Dorf näher. Nun kann ich bereits das projektzierte Banner über der Strasse erkennen, auf der eine junge Schönheit für Proteinpillen wirbt. Ihr strahlendes Lachen und ihre gesunden Züge lassen keinen Zweifel, dass das Produkt wirkt.

„Dort", ruft Nathalia plötzlich und zeigt mit ihrem Finger auf eine Abzweigung, die rechts um die Häuser führt. Ihre neongrünen Haare wehen im Wind, der durch das offene Fenster bläst, um ihre Wangen. „Von da aus ist es nicht mehr weit ins Zentrum."

Ich nicke. Dass ich bereits weiss, dass unsere Mission glücken wird, nimmt ihr irgendwie den ganzen Reiz. Eigentlich sollte ich froh über die Sicherheit sein, allerdings wäre manchmal ein bisschen mehr Spannung gar nicht so verkehrt.

„Du solltest dich bereit machen", ordere ich sie an und verlangsame den Jeep. Dann biege ich rechts ab. Die Seitenstrasse ist etwas holprig, so dass Nathalia ziemlich Mühe hat, all ihre Haare unter die dunkle Mütze zu stecken.

„Das ist ja wie eine Achterbahn", gluckst sie fröhlich. „Nicht, dass ich wüsste, wie sich so eine anfühlt. Aber ich habe mir immer vorgestellt, dass man schrecklich umher geworfen wird. Glaubst du nicht auch, Ernesto?"

„Kann sein", erwidere ich knapp und halte mit verengten Augen Ausschau nach einem Parkplatz. Obwohl das Dorf auf einer Ebene inmitten von Feldern platziert ist, finde ich bald eine kleine Gruppe an Gebüschen und Bäumen. Die Sonne steht schon so weit unten, dass der Schatten der Pflanzen bis über die Strasse reicht. Die Felder um uns sind in oranges Licht getaucht, die Fenster der Häuser in nicht allzu weiter Entfernung werden goldig beschienen. Der Motor erklingt in der Stille der Natur so laut, dass wir die Idylle zu zerstören scheinen.

„Das ist so aufregend", freut sich der Funke weiter.

„Wir müssen sehr vorsichtig sein", antworte ich gleichgültig. Nathalia etwas vorzuenthalten gefällt mir überhaupt nicht, aber dieses Mal geht es nicht anders. Obwohl ich kein hervorragender Schauspieler bin, kauft sie mir meine Sorge sofort ab. Ohne sich eine Sekunde still zu halten dreht sie die Musik endlich ab und montiert ihr Bandana. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie sich im Seitenspiegel betrachtet.

Fehlerhaft - Bist du das Leben wert?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt